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Gaspoker Putins mit Timoschenko in Moskau

Auch der interne Machtkampf in der Ukraine hatte den Streit mit Russland eskalieren lassen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Mit von Müdigkeit gezeichneten Gesichtern traten die Regierungschefs Russlands und der Ukraine - Wladimir Putin und Julia Timoschenko - in den frühen Morgenstunden des Sonntags in Moskau vor die Presse, um das Ende des über zweiwöchigen Gasstreits zwischen Moskau und Kiew zu verkünden.

Demzufolge einigten sich beide Seiten sowohl für russische Gaslieferungen an die Ukraine als auch für deren Durchleitung nach Europa auf »europäische Preise«. Diese folgen der Entwicklung der Ölpreise und liegen momentan bei durchschnittlich 450 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Für das laufende Jahr, so Putin, werde Russland der Ukraine einen Rabatt von 20 Prozent gewähren. Dafür verzichte Kiew im gleichen Zeitraum auf die Erhöhung der Transitgebühren. Gegenwärtig zahlt Gasprom der Ukraine für die Durchleitung von 1000 Kubikmetern pro 100 Kilometer 1,75 Dollar, den EU-Staaten dagegen mindestens drei. Lieferabkommen und Transitprotokoll sollen an diesem Montag von Gazprom und dem ukrainischen Staatskonzern Naftogaz unterzeichnet werden. Unmittelbar danach, so Timoschenko, werde das Gas Richtung Westen gepumpt.

Den Feinschliff beider Dokumente hatten Timoschenko und Putin am Sonnabend in zwei Verhandlungsrunden besorgt, die insgesamt fast zwölf Stunden dauerten. Zuvor hatte der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko in einem Telefonat mit seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedjew nochmals deutlich gemacht, dass für ihn nur eine Paketlösung in Frage komme: Ohne neues Lieferabkommen keine Wiederaufnahme des Transits. An eben diesem Problem war am Sonnabend auch der Moskauer Gasgipfel gescheitert, zu dem Medwedjew westeuropäische Staats- und Regierungschefs eingeladen hatte. Die schickten allerdings lediglich ihre Energieminister. Diese segneten denn auch nur ein Projekt ab, für das Putin zuvor schon bei einem Treffen mit Vertretern europäischer Importeure - darunter auch deutscher - sowie von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag in Berlin Rückendeckung erhalten hatte. Dabei geht es um ein internationales Konsortium, das sich mit Russland die Kosten für das sogenannte technische Gas teilt, das bei der Durchleitung nach Europa auf ukrainischem Gebiet für den nötigen Druck in der Pipeline sorgt. Die Kosten dafür belaufen sich nach Schätzungen von Gazprom-Chef Alexej Miller allein im ersten Quartal 2009 auf rund 730 Millionen Dollar. Eine Summe, die die Ukraine nicht länger aus eigener Tasche bezahlen will und - weil sie von der Krise noch mehr als Russland gebeutelt wird - auch nicht aufbringen kann.

Um Russland wie Europa gefügig zu machen, hatte Kiew unmittelbar vor dem Krisengipfel erneut den Transit russischer Lieferungen nach Europa verweigert. Sie übernehme die »volle Verantwortung« dafür und verlange »gerechte Preise«, erklärte Regierungschefin Timoschenko, die zeitgleich ein erstes Vier-Augen-Gespräch mit Putin hatte. Ebenso verlange sie den Verzicht auf Zwischenhändler. Gemeint war Rosukrenergo, über das die Ukraine in den letzten drei Jahren einen Mix aus teurem russischem und billigem zentralasiatischem Gas gekauft hatte.

Dass Medwedjew diese Forderung erfüllte, dürfte ausschlaggebend für Timoschenkos Einlenken bei den Verhandlungen mit Putin gewesen sein. In Moskau laufen Gerüchte um, wonach ihr innenpolitischer Erzrivale - Präsident Juschtschenko - über Strohmänner Anteile an Rosukrenergo hält. Er hatte den Vermittler beim ersten Gasstreit Anfang 2006 überhaupt erst ins Gespräch gebracht. Seine zahlreichen Gegner behaupten, Juschtschenko wolle vor allem mit den Geldern von Rosukrenergo seinen Wahlkampf finanzieren, wenn Ende 2009 der Präsidentensessel in Kiew neu vergeben wird.

Nicht zuletzt durch das interne Machtgerangel in Kiew war der Gaskonflikt mit Russland derartig eskaliert. Weder Juschtschenko noch Timoschenko wollten sich vor dem Votum in diesem Jahr die Verantwortung für die Quasi-Verdoppelung der Gaspreise aufhalsen. Beide spielten daher auf Zeit, um Russland wie Europa mürbe zu machen. Ob an diesem Montag wirklich wieder Gas fließt, bleibt daher abzuwarten.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Januar 2009

Aktuelle Meldungen

Ukraine nimmt Gastransit "in wenigen Stunden" wieder auf - Timoschenko

MOSKAU, 19. Januar (RIA Novosti). Die Ukraine wird "in wenigen Stunden" den Transit von russischem Gas nach Europa wieder aufnehmen.
Das kündigte die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko am Montag (19. Jan.), nach der Unterzeichnung der neuen Gasverträge in Moskau an. Das Gas werde nach Europa weitergeleitet, sowie Russland mit seinen Lieferungen begonnen habe, sagte sie. Alle Vereinbarungen zum Transit von russischem Gas seien ebenfalls in schriftlicher Form ausgefertigt worden. Die Durchleitungsgebühr bleibe (wie 2008) bei 1,7 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter und 100 Kilometer. "Für die Wiederaufnahme des Gastransits sind keine zusätzlichen Garantien erforderlich", betonte die ukrainische Regierungschefin.

Gazprom gibt durchschnittlichen Erdgaspreis für Ukraine und Europa bekannt

MOSKAU, 20. Januar (RIA Novosti). Nach Angaben des russischen Gaskonzerns Gazprom liegt der durchschnittliche Gaspreis für die Ukraine dieses Jahr unter 250 US-Dollar je 1000 Kubikmeter und für europäische Verbraucher bei rund 280 Dollar.
Das teilte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des russischen Energiekonzerns, Alexander Medwedew, am Dienstag in Moskau mit.
Zuvor hatte Gazprom bekannt gegeben, in diesem Jahr 40 Milliarden Kubikmeter Gas (2008 waren es 50 Milliarden Kubikmeter) an die Ukraine zu liefern.

Laut dem Gasliefervertrag, der am Montag von Gazprom und dem ukrainischen Versorger Naftogas Ukrainy unterzeichnet wurde, basiert der Gaspreis für die ukrainischen Verbraucher auf der europäischen Preisformel mit einem 20-prozentigen Nachlass. Im Gegenzug bekommt Russland einen ermäßigten Tarif für den Gastransit durch die Ukraine.
Im ersten Quartal 2009 wird Gazprom Erdgas an die Ukraine zu einem Preis von 360 Dollar je 1000 Kubikmeter verkaufen. Danach wird der Preis jedes Vierteljahr entsprechend dieser Formel geändert.

Gazprom-Chef Alexej Miller teilte am heutigen Dienstag (20. Jan.) bei einem Treffen mit Präsident Dmitri Medwedew mit, dass der Gaspreis künftig sinken könne, weil er an den Ölpreis gekoppelt sei.
Ab dem 1. Januar 2010 will Gazprom Erdgas an die Ukraine zu einem europäischen Marktpreis ohne jegliche Rabatte verkaufen.

Gazprom erwägt Schadenersatzforderung wegen Gasstreit mit Ukraine

MOSKAU, 20. Januar (RIA Novosti). Gazprom kann seinem Vize-Vorstandsvorsitzenden Alexander Medwedew zufolge eine Entschädigung wegen der Verluste durch den Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine fordern.
"Was die vorangegangene Situation mit der nicht genehmigten Gasentnahme betrifft, so ist diese registriert worden", sagte der stellvertretende Chef der russischen Energieholding am Dienstag in einer Telefonkonferenz.
"Wir behalten uns das Recht vor, Schadenersatz entsprechend den geltenden Verträgen zu fordern", so Medwedew.
Wie der russische Vize-Premier Igor Setschin am vergangenen Freitag geäußert hatte, belaufen sich die Verluste Russlands wegen der jüngsten Situation mit dem Gastransit durch die Ukraine nach Europa auf 1,2 Milliarden US-Dollar.
Der russische Präsident Dmitri Medwedew hatte die Regierung aufgerufen, die Verluste Russlands im Zusammenhang mit der Verhinderung des Gastransits über die Ukraine nach Europa zu berechnen.

Gazprom forderte am 3. Januar in einer Klage vor dem internationalen Schiedsgericht in Stockholm, das Staatsunternehmen Naftogas Ukrainy zu einem reibungslosen Transit des russischen Gases nach Europa zu verpflichten.
Gazprom-Chef Alexej Miller und Naftogas-Chef Oleg Dubina haben am (gestrigen) Montag ein Abkommen über den Transit russischen Gases durch die Ukraine in den Jahren 2009 bis 2019 unterzeichnet. Die Ukraine erhält somit einen Preisnachlass von 20 Prozent vom europäischen Durchschnittspreis und lässt den Transittarif vom vergangenen Jahr für das Jahr 2009 weiter gelten.

Am Dienstag (20. Jan.) wurde der Gastransit durch die Ukraine wieder aufgenommen.

Alle Meldungen aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti; http://de.rian.ru


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