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Wer nachgibt, sieht sich als Verlierer

Der Spielraum im Gaspoker ist für Moskau ebenso wie für Kiew gering

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine bedroht die Gasversorgung Europas. Kiew und Moskau schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu.

Erstmals seit dem Stopp der Gaslieferungen an die Ukraine trafen die Chefs des russischen Energiekonzerns Gazprom und des ukrainischen Versorgers Naftogaz wieder zusammen. Gazprom-Chef Alexej Miller und Naftogaz-Chef Oleg Dubina hätten in der Nacht zu Donnerstag in Moskau über Wege aus dem Gasstreit beraten, bestätigte ein Gazprom-Sprecher. Fortgesetzt wurde das Gespräch am selben Tag in Brüssel.

Dubina und Miller hatten sich zuletzt am 31. Dezember getroffen, im Streit um unbezahlte Rechnungen und den Preis für russisches Gas aber keine Einigung erzielt. Russland drehte deshalb am Folgetag den Gashahn für den ukrainischen Markt zu. Und nachdem sich die Ukraine – wie die russische Seite behauptet – fortan aus den Transitleitungen nach Westeuropa bedient hatte, wurden sämtliche Leitungen über die Ukraine gekappt.

Formell geht es bei dem Gerangel um Preise, Transitgebühren und widersprüchliche Verträge, die beiden Seiten eine sehr kreative Interpretation ermöglichen. Wladimir Putins ehemaliger Wirtschaftsberater, Andrej Illarionow, der auf dem Höhepunkt des Gaskriegs Anfang 2006 zurückgetreten war, sieht dahinter jedoch hohe Politik. Schon die Schere, die sich bei den Preisen für die GUS-Staaten auftut, macht für ihn deutlich, dass das entscheidende Kriterium nicht die geografische, sondern die politische Nähe zu Russland sei. Ein Verbündeter wie Armenien, das an Iran grenzt und von Gazprom über eine Pipeline beliefert wird, die den Kaukasus quert, muss gegenwärtig 176 US-Dollar für 1000 Kubikmeter berappen, ab Juli 200. Für die Ukraine, die direkt an Russland grenzt, wären nach Illarionows Meinung dagegen maximal 280 Dollar »wirtschaftlich begründet«.

Aber auch die will Kiew nicht zahlen. Gazprom hatte der Ukraine anfänglich sogar einen besseren Preis gemacht: 250 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Voraussetzung wäre ein Jahresvertrag, den die Ukraine in Erwartung fallender Gaspreise jedoch ablehnte. Weshalb Russland inzwischen Weltmarktpreise von deutlich über 400 US-Dollar fordert – sofort und ohne Übergangsfristen. Obwohl Wladimir Putin mit seiner ukrainischen Kollegin Julia Timoschenko im vergangenen Oktober eine schrittweise Erhöhung des Preises auf Weltmarktniveau im Laufe von drei Jahren vereinbart hatte.

Die Ukraine betrachtet ihr Angebot, maximal 235 US-Dollar zu zahlen, als ersten Schritt auf diesem Weg. Mehr gebe die ukrainische Kasse nicht her. Tatsächlich ist das Land von der Krise wegen weltweit sinkender Nachfrage nach Metallen noch mehr gebeutelt als Russland. Deshalb auch wollte man sich nur für das erste Quartal 2009 vertraglich binden. Ein weiterer Grund: Bei den nächsten Präsidentenwahlen werden sich Präsident Viktor Juschtschenko und Premier Julia Timoschenko einen Kampf bis aufs Messer liefern. Wer der Nation höhere Gaspreise zumutet, hat schon verloren, noch bevor in Kiew der erste Stimmzettel in die Urne fliegt.

Angesichts dieser Zwänge dürfte es Moskau schwer haben, die Ukraine zum Einlenken zu bewegen. Selbst nachzugeben aber rechnet sich politisch für Russland auch dann nicht, wenn Timoschenko die Wahl gewinnt. Hoffnungen auf deren Loyalität Moskau gegenüber wären wohl auch höchst trügerisch.

Westeuropa ist in einer ähnlich unkomfortablen Situation: Druck auf Juschtschenko auszuüben, würde bedeuten, die eigene Ostpolitik in Frage zu stellen. Gegnerschaft zu Russland, deren wahre Gründe die EU nicht einmal in Ansätzen hinterfragte, qualifizierte ihn und seinen georgischen Kollegen Michail Saakaschwili zu Lichtgestalten, die nur mit Samthandschuhen angefasst werden dürfen.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Januar 2009


Drushba-Pipeline ohne Druck

In Österreich werden die Vorräte knapp

Von Hannes Hofbauer, Wien *


Kein Gas für Österreich: Die Lager leeren sich. Mitte dieser Woche kam es erstmals seit über 40 Jahren zu einem Lieferstopp russischen Erdgases in Österreich. Wie lange die Vorräte reichen, ist ein gut gehütetes Staatsgeheimnis.

Während der Sowjetzeit hatte die »Drushba«-Pipeline immer unter Druck gestanden. Am 6. Januar 2009 strömte kein Gas mehr durch die Röhre. Die »Freundschaft« war leer. Zuständig für die Energieversorgung im Lande ist die Österreichische Mineralölverwaltung (OMV). Sie ist zugleich der größte Industriebetrieb des Landes.

Seit diversen Investitionen in Osteuropa und der Übernahme der rumänischen »Petrom« im Jahr 2004 gilt der mehrheitlich privatisierte Konzern mit erheblichem Staatsanteil als »Global Player« in Europa. Die OMV beschäftigt derzeit 30 000 Mitarbeiter (davon 25 000 in Rumänien) und weist einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Euro aus. Hervorgegangen ist die OMV aus der »Sowjetischen Mineralölverwaltung« (SMV), die anlässlich des Rückzuges der Roten Armee im Jahre 1955 ihre Zelte in Österreich abgebrochen hatte. Im Jahr 1968 wurde der erste Vertrag über Erdgaslieferungen mit der Sowjetunion geschlossen. Ohne sibirisches Gas droht sibirische Kälte

Nur wenige Kilometer von der slowakischen Grenze entfernt befindet sich im niederösterreichischen Baumgarten eine Gasdrehscheibe, von der Pipelines nach Italien, Slowenien und Deutschland abgehen. Über diesen Verteiler liefen in den vergangenen Jahren 45 Milliarden Kubikmeter Erdgas, das ist etwa ein Drittel der von Russland in die Europäische Union gelieferten Menge. Österreichs jährlicher Erdgasverbrauch liegt bei acht Milliarden Kubikmeter, wovon gut die Hälfte aus Sibirien kommt. Sämtliche Wiener Haushalte hängen am russischen Gas.

Etwa 30 Prozent des Erdgases stammen aus anderen Staaten, vornehmlich Norwegen, und für 18 Prozent ist die eigene österreichische Erdgasförderung im östlich von Wien gelegenen Marchfeld zuständig. Die ebenfalls dort gelegenen Gasspeicher sind zu 60 Prozent gefüllt. Wie lange sie reichen, stellt derzeit das wohl am besten gehütete Geheimnis der kleinen Republik dar. Nach sehr unterschiedlichen Auskünften des neu im Amt befindlichen Wirtschaftsministers Reinhold Mitterlehner soll Gas für die Industrie nur mehr für wenige Tage vorhanden sein. Den Haushalten wird indes versichert, auch in den kommenden Wochen nicht frieren zu müssen. Die auffälligen Vergleiche mit Sarajevo, Sofia und Belgrad, wo Gas bereits teilweise vollständig abgeschaltet worden ist, geben dem geübten politischen Beobachter indes zu denken. Krisensitzung erarbeitete Notfallplan

Eine Krisensitzung am Donnerstag hat den Plan einer sogenannten »intelligenten Großkundensteuerung« entworfen, nach dem sich die 100 Großverbraucher von Gas beim Verbrauch abstimmen sollen. Auch werden Heizwerke kurzfristig auf Erdöl oder Kohle umgerüstet. Zudem forderte Mitterlehner die Bevölkerung auf, sparsam mit Energie umzugehen und die Etagenheizungen um ein bis zwei Grad abzusenken. Ein morgendliches Duschverbot ist noch nicht erlassen worden.

Angesichts durchschnittlicher nächtlicher Temperaturen von minus 15 bis minus acht Grad wirken Politiker und OMV-Manager hilflos. Dass Österreich bereits mehr als 25 Prozent seines Energiebedarfs mit Hilfe erneuerbarer Energiequellen – vor allem Wasserkraft –, deckt, hilft bestenfalls mittelfristig. Denn dieser Anteil könnte laut Experten vergleichsweise leicht ausgebaut werden.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Januar 2009


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