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Verwirrspiele im Gasstreit zwischen Moskau und Kiew

Keine Einigung bei Verhandlungen über Preis und Vertragslaufzeit

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Am Neujahrstag um 10.00 Uhr Moskauer Zeit, als viele Moskauer sich nach einer durchfeierten Nacht mit Sekt und Kaviar im warmen Bett noch mal auf die andere Seite drehten, drosselten die diensthabenden Ingenieure in der Verdichterstation bei Kursk kurz vor der ukrainischen Grenze die Durchflussmenge bereits auf einen Bruchteil.

Um 11.48 Uhr meldete Radio »Echo Moskwy«, Russland habe die Gaslieferungen an die Ukraine soeben vollständig eingestellt. Ein Gazprom-Sprecher bestätigt dies wenig später. Die Lieferungen nach Europa seien davon nicht betroffen und lägen weiter bei 300 Millionen Kubikmeter pro Tag.

Kurz bevor die Kremlglocken das neue Jahr einläuteten, hatte Gazprom-Chef Alexej Miller persönlich mitgeteilt, dass die Verhandlungen mit der Ukraine ergebnislos verlaufen seien. Obwohl Gazprom seine Preisvorstellungen erheblich zurückgeschraubt hatte. Noch am Dienstag war von bis zu 418 Dollar für tausend Kubikmeter die Rede gewesen, tags darauf nur noch von 250, ein »Freundschaftspreis«, wie Ministerpräsident Wladimir Putin sagte., der unter dem Weltmarktniveau liege. Die Ukraine indes, die bisher für eben diese Menge 179,5 Dollar zahlt, wollte maximal 201 Dollar zahlen – und zudem nur einen Vertrag für das erste Quartal 2009 abschließen. In der Hoffnung, dass die Preise für Gas, die sich an denen für Öl orientieren, weiter fallen. Gazprom dagegen pocht auf Jahresverträge.

Je weiter die Uhren verrückten, desto heftiger eskalierte am letzten Tag des alten Jahres auch Gefeilsche um Preise und Konditionen. Zunächst war von einem Schreiben der ukrainische Regierung die Rede gewesen, in dem es um eine angebliche rechtliche Handhabe für die Beschlagnahmung des für Westeuropa beistimmten Gases ging. Dieses Schreiben war bei Gazprom jedoch nicht eingegangen, später dementierte auch das Kiewer Außenministerium dessen Existenz: Die Ukraine garantiere den reibungslosen Transit von Gas nach Westeuropa. Gleichzeitig rief die Erklärung Russland dazu auf, die Lieferungen an die Ukraine im bisherigen Umfang und zu den alten Preisen fortzusetzen, bis ein neues Abkommen ausgehandelt ist.

Unklar ist bislang auch, ob die Ukraine ihre Rückstände für bereits getätigte Lieferungen beglichen hat. Bis sich hiesige Banken am Nachmittag des 31. Dezember in die zehntägigen Neujahrsferien verabschiedeten, waren die 1,4 Milliarden Dollar, die Kiew nach eigener Darstellung überwiesen hat, auf den Konten von Gazprom angeblich nicht eingegangen.

Dies und andere Verwirrspiele erklärte Gazprom-Chef Miller nicht zuletzt mit dem Machtgerangel zwischen dem ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko und Premierministerin Julia Timoschenko. Diese, so russische Medien, habe sogar vorgehabt, sich mit neuen konstruktiven Vorschlägen direkt in die Verhandlungen des ukrainischen Importeurs Naftogaz mit Gazprom in Moskau einzubringen, um in letzter Minute die Abschaltungen zu verhindern. Juschtschenko habe sie jedoch zurückgepfiffen.

Schon als Gazprom der Ukraine zum Jahreswechsel 2006 kurzzeitig den Gashahn zudrehte, kam auch in Westeuropa erheblich weniger an. Um Widerholungen zu vermeiden, hatte der Konzern die EU schon Mitte Dezember aufgerufen, Druck auf Kiew auszuüben. Anderenfalls würden die Probleme Russlands mit der Ukraine auch die Probleme Europas werden.

Der Westen indes konnte sich bisher nur zu Mahnungen an beide aufraffen, ihren Streit durch einen Kompromiss zu beenden. Russland-Kritiker unterstellen Moskau eine bewusste Zuspitzung im Gas-streit, um Europa das Projekt der Ostsee-Pipeline schmackhaft zu machen. Die Leitung käme ohne Transitländer aus. Das Vorhaben ist in der EU immer noch umstritten, weil dadurch angeblich die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen weiter wächst. Pläne für Pipelines aber, die unter Umgehung Russlands auf die Vorkommen Zentralasiens zurückgreifen, waren – weil die Staaten Region sich nicht eindeutig festlegen wollten – schon vor der Krise wenig realistisch. Jetzt dürften sie wegen der damit verbundenen Kosten noch schwerer zu realisieren sein.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2009


Rußland stoppt Gaslieferungen an die Ukraine

Verhandlungen über neues Abkommen abgebrochen. Versorgung der EU unbeeinträchtigt **

Der russische Gasmonopolist Gasprom hat am Donnerstag wie angekündigt die Lieferungen an die Ukraine eingestellt. Die habe ausstehende Rechnungen über 2,1 Milliarden Dollar nicht bezahlt, sagte Gasprom-Vorstandschef Alexej Miller zur Begründung. Ein nach Angaben des staatlichen ukrainischen Gasversorgers Naftogas bereits überwiesener Betrag von 1,5 Milliarden Dollar sei noch nicht eingegangen. Zudem fehlten dann immer noch 600 Millionen Dollar »Strafgebühren«. Beide Seiten versicherten, daß die Gaslieferungen an Westeuropa nicht beeinträchtigt würden. Miller erklärte, sein Unternehmen werde seinen Verpflichtungen gegenüber den Kunden in der EU in vollem Umfang nachkommen. Ein ukrainischer Regierungsberater teilte mit, sein Land werde alle Verträge erfüllen und das Gas in Richtung Westen weiterleiten. Für die Versorgung der eigenen Bevölkerung verfüge man über Reserven, die bis April ausreichen würden.

Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zufolge haben die deutschen Gasversorgungsunternehmen für eventuelle Lieferengpässe ausreichend vorgesorgt. »Alle erforderlichen Maßnahmen wurden eingeleitet, um adäquat reagieren zu können«, betonte Glos am Donnerstag. Deutschland verfüge über große Speicherkapazitäten, und die deutschen Gasbezugsquellen und Transportwege seien sehr diversifiziert.

Außer um die ausstehenden Zahlungen geht es in dem Streit auch um ein neues Lieferabkommen. Die Verhandlungen darüber waren am Mittwoch gescheitert. Zwar hatte Gasprom seine ursprüngliche Forderung nach einer Erhöhung des Preises für 1000 Kubikmeter Gas auf 418 Dollar bis auf 250 Dollar reduziert, die ukrainischen Vertreter bezeichneten jedoch 201 Dollar als Obergrenze. Und auch das nur, wenn Rußland im Gegenzug einer höheren Durchleitungsgebühr für die ukrainischen Pipelines zustimme. (AP/jW)

** Aus: junge Welt, 2. Januar 2009


Rußland bezichtigt Ukraine des Gasdiebstahls

Noch keine Einigung über künftige Lieferkonditionen. Ölpreis steigt zeitweise auf über 44 Dollar pro Barrel ***

Im Konflikt um den Stopp der Lieferungen von Erdgas aus Rußland an die Ukraine zeichnet sich noch immer keine Lösung ab. Der russische Energiekonzern Gasprom hat der Ukraine vorgeworfen, für Empfänger in Westeuropa bestimmtes Gas zu »stehlen«. Dies werde von ukrainischer Seite offen zugegeben, sagte Gasprom-Sprecher Sergej Kuprijanow am Freitag vor Journalisten in Moskau. Statt der von russischer Seite geforderten Durchleitung von 303 Millionen Kubikmetern Gas habe die Ukraine für die kommenden 24 Stunden nur den Transport von 296 Millionen Kubikmetern zugesagt. Das ukrainische Energieunternehmen Naftogas wies den Vorwurf umgehend zurück. Es werde lediglich aus »technischen Gründen« eine gewisse Menge zurückgehalten.

Rußlands stellvertretender Außenminister Alexander Gruschko forderte eine Sondersitzung des EU-Parlaments zum Gasstreit. Seine Regierung stehe »im engen Kontakt mit unseren Partnern der Europäischen Union«, sagte Gruschko dem Fernsehsender Westi. Die russische Vertretung bei der EU habe dem Europaparlament am Freitag eine Sondersitzung vorgeschlagen, damit Rußland seine Sicht der Lage darstellen könne. Der ukrainische Staatspräsident Viktor Juschtschenko sagte in Kiew, er erwarte in Kürze die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem russischen Gasprom-Konzern und ihren erfolgreichen Abschluß bis zum 7. Januar. Strittig sind sowohl die Höhe der Schulden, die die Ukraine zu begleichen hat, als auch der künftige Lieferpreis für russisches Erdgas. Der Rohölpreis ist infolge des Streits in den vergangenen Tagen deutlich gestiegen. Zeitweise wurden am Neujahrstag 44,60 Dollar pro Barrel (159 Liter) gezahlt, nachdem der Preis am Mittwoch noch unter 38 Dollar gelegen hatte. Am Freitag ging der Preis auf 42,39 Dollar zurück, nachdem die Ukraine versichert hatte, der Transit von Erdgas nach Westeuropa werde nicht behindert.(AP/jW)

*** Aus: junge Welt, 3. Januar 2009


Gasstreit ohne Eskalation

Dissens Russland–Ukraine trifft EU und Deutschland bislang nicht Der eskalierte Streit zwischen Moskau und Kiew um Gaslieferungen wirkt sich bisher nicht auf die EU aus. ****

Brüssel/Moskau/Kiew (Agenturen/ND). »Es hat keine Änderungen bei den Volumen gegeben«, erklärte eine Sprecherin der EU-Kommission am Freitag in Brüssel. Zusicherungen seien eingehalten worden. Die Sprecherin sagte, am Freitag nächster Woche werde die sogenannte Gas-Koordinationsgruppe der EU mit Vertretern der 27 Mitgliedstaaten zu einem schon länger geplanten Treffen in Brüssel zusammenkommen, um die Lage zu erörtern. Dazu werde auch ein Vertreter des russischen Energiekonzerns Gazprom erwartet. Die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew über neue Gaspreise und Lieferverträge waren gescheitert. Die Ukraine hatte der EU einen reibungslosen Transit von russischem Gas zugesagt.

Nach dem Lieferstopp für russisches Gas in die Ukraine hat die Bundesregierung Moskau und Kiew eindringlich zur Lösung ihres Streits aufgefordert. Versorgungsengpässe in Deutschland sind nach Regierungsangaben vom Freitag auf absehbare Zeit nicht zu befürchten. »Beide haben sich in dieser Situation als verlässliche Partner zu erweisen«, sagte Vizeregierungssprecher Thomas Steg.

Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko garantierte Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in einem Schreiben den reibungslosen Transport von russischem Gas über separate Pipelines nach Westeuropa. Zudem reiste eine ukrainische Regierungsdelegation nach Prag, um bei der neuen EU-Ratspräsidentschaft mögliche Befürchtungen von Engpässen zu zerstreuen. Die tschechische Regierung, die für für die nächsten sechs Monate die Ratspräsidentschaft innehat, lehnte eine Einmischung in die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew ab.

»Ministerpräsident Mirek Topolanek ist der Ansicht, dass es für die EU nicht akzeptabel ist, dass ein bilateraler Konflikt die Gasversorgung der EU negativ beeinflussen könnte«, sagte Topolaneks Sprecher Jiri Potuznik nach dem Treffen. »Da es ein bilateraler Konflikt ist, sieht Topolanek keine Notwendigkeit zum Eingreifen.«

Sprecher Steg sagte, die Bundesregierung habe »die feste Erwartung«, dass die Beteiligten in der Lage seien, die Probleme zu lösen und auch die Zusagen über Lieferungen einzuhalten. Beide Seiten seien aufgefordert, schnell und konstruktiv zu handeln und Vereinbarungen zu treffen.

Die 46 Untertage-Gasspeicher, die deutsche Unternehmen unterhielten, seien »gut gefüllt«, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. Fast 25 Prozent des Jahresbedarfs lagerten in den Speichern. Falls sich die Gasmengen aus Russland verringern, könne auf der Basis unterbrechbarer Verträge auf andere Energie-Arten umgestiegen werden.

Unterdessen ist in dem Energiestreit zwischen Kiew und Moskau vorerst keine Lösung in Sicht. Die unter einer schweren Wirtschaftskrise leidende Ukraine will in diesem Jahr für das Gas aus Russland höchstens 201 Dollar je 1000 Kubikmeter bezahlen und zudem mehr Gebühren für den Transit verlangen. Russland fordert 250 Dollar. Das ist eine Erhöhung um etwa 70 Dollar des bisher von der Ukraine bezahlten Preises, aber deutlich weniger, als Westeuropa bezahlt. Laut Gazprom-Chef Alexej Miller liegt der aktuelle Marktpreis bei 418 US-Dollar je 1000 Kubikmeter Gas.

**** Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2009


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