Streit um Kiew mit Moskau in Brüssel
Gegenseitige Kritik beim Treffen der EU-Außenminister mit russischem Amtskollegen / Janukowitsch zu Putin
Von Klaus Joachim Herrmann *
28 EU-Außenminister berieten seit Montagmorgen in Brüssel. Zum Mittagessen standen die Ukraine und ein Gespräch mit Sergej Lawrow, dem Amtskollegen aus Russland, auf dem Programm.
Auf dem EU-Außenministertreffen sollten »die wichtigsten Aspekte der bilateralen Beziehungen zwischen der EU und Russland« besprochen werden. Mit gegenseitiger Kritik hätten sich die Gegenüber »nicht zurückgehalten«, hieß es. Bei unterschiedlichen Auffassungen sei es geblieben. Die waren vorher klar. So warfen sich die beiden Seiten Einmischung vor. EU- und USA-Politiker waren Teilnehmer der Demonstrationen auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz. Mit Verweisen auf üble wirtschaftliche Folgen gegen eine EU-Assoziation des Nachbarlandes machte Moskau Stimmung.
So schimpfte Schwedens Außenminister Carl Bildt über russische »Missinformationen und teilweise echte Lügen«. Russlands Außenminister Lawrow sprach von »Hysterie«, »Realitätsverlust« und »schamloser« Einmischung. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Alexej Puschkow, klagte, die USA behandelten die Ukraine schon »wie eine Art Halbkolonie«.
Nach wiederholten Rücktrittsforderungen gegen Präsident Viktor Janukowitsch, Premier Mykola Asarow und das ganze Kabinett kam es derweil in Kiew zu einer Art Gegenbewegung. So hieß es nach einer Sitzung der Fraktion der regierenden Partei der Regionen, es sollten Minister entlassen werden, die ungenügend vor gefährlichen wirtschaftlichen Folgen einer EU-Assoziierung gewarnt hätten. Genannt wurden Wirtschafts- und Handelsminister Igor Prassolow, Außenminister Leonid Koschara und Industrieminister Michail Korolenko.
»Das geplante Assoziierungsabkommen mit der EU würde der Ukraine wirtschaftlich nützen«, versicherte aber die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zum Auftakt der Gespräche in Brüssel. Es biete neben Handelsvorteilen auch die Chance, Investitionen im Agrarbereich und im Energiesektor auszubauen. Der ukrainische Präsident habe ihr in der vergangenen Woche versichert, das Abkommen unterzeichnen zu wollen, bekräftigte Ashton.
Die EU-Ostpartner, so hatte Lawrow am Wochenende verdeutlicht, seien der Konkurrenz mit den europäischen Waren nicht gewachsen. Es werde dennoch versucht, sie mit konkurrenzfähigeren Produkten aus Europa zu überschwemmen. Die entsprechende Produktion in der Ukraine werde zerstört und Russland bekomme Probleme. Denn mit den Staaten, die ein Assoziierungsabkommen unterschrieben hätten, gebe es auch keine Handelsschranken mit Russland.
Zu alldem passten die Reisepläne Viktor Janukowitschs. Er wurde am Dienstag in Moskau zu Verhandlungen erwartet. Ein gutes Dutzend Abkommen, so zum Schiff- und Flugzeugbau, liege auf dem Tisch. Dazu ließen sich vielleicht die heiß ersehnte Senkung des Gaspreises und ein Milliardenkredit vereinbaren, verlautete aus dem Moskauer Präsidialamt. Der Kreml, so wurde allenthalben erwartet, würde sich den Verbleib des alten sowjetischen Nachbarn in seiner unmittelbaren Einflusszone und möglicherweise sogar dessen Eintritt in die Zollunion etwas kosten lassen. Dieser Union jedoch werde Kiew bei diesem Gipfel mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht beitreten, hieß es in der ukrainischen Hauptstadt. Zudem habe das Land bei den Energielieferungen »nicht nach Rabatten gefragt«. Es gehe um europäische Preise, unterstrich Premier Asarow.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. Dezember 2013
Wiktor als "Verlierer"?
Ukrainischer Präsident Janukowitsch reist geschwächt nach Moskau. Ohne greifbare Verhandlungserfolge droht ihm Machtverlust. Oligarchen gehen auf Distanz
Von Reinhard Lauterbach **
Der Besuch, zu dem der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch am heutigen Dienstag in Moskau erwartet wird, könnte sich schnell als Wende-, vielleicht auch als Endpunkt seiner politischen Laufbahn erweisen. Janukowitsch muß mit greifbaren Ergebnissen – zumindest Ermäßigungen beim Gaspreis und frischen Krediten – nach Kiew zurückkehren, wenn er sich dort an der Macht halten will. Ansonsten ist absehbar, daß er sich der politischen Offensive der aus dem Ausland unterstützten Pro-EU-Opposition nicht mehr lange wird erwehren können – zumal seine reichen Unterstützer immer mehr auf Distanz gehen.
Als Wiktor Janukowitsch am 21. November entschied, die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU auf Eis zu legen, schien er jemand zu sein, der noch eine Reserveoption im Ärmel hatte: die engere Verbindung mit Rußland. Mit der realpolitischen Bedeutung intensiverer Handelskontakte mit dem nordöstlichen Nachbarn hatte Janukowitsch seinen Schritt auch begründet. Einen knappen Monat später hat sich seine Situation dramatisch verschlechtert. Daß es die prowestlichen Oppositionsparteien geschafft haben, seit Wochen Dauerdemonstrationen im Kiewer Stadtzentrum zu veranstalten, ist dabei nicht das einzige Problem des Präsidenten. Man kann über die Illusionen den Kopf schütteln, die die EU-Begeisterung der Leute auf dem Maidan speisen. Man kann sich entrüsten über die Demagogie der Oppositionsführer, die sich nur angesichts der unverhohlenen Einmischung westlicher Politiker in die innerukrainischen Auseinandersetzungen nicht direkt lächerlich machen. Es bleibt aber eine Tatsache, daß die Pro-EU-Kräfte die politische Hegemonie an sich gerissen haben, daß es ihnen gelingt, die Agenda des Landes zu bestimmen, und daß der Polizeieinsatz gegen die Besetzer des Maidan vom 30. November unisono als Gewaltorgie verurteilt wird, obwohl die Aktion objektiv weit hinter der Härte zurückblieb, mit der beispielsweise die hessische Polizei die Occupy-Demonstranten in Frankfurt am Main behandelt hatte.
Im Vergleich zu den Mobilisierungserfolgen der Pro-EU-Kräfte blieb das, was das Janukowitsch-Lager an zivilgesellschaftlicher Unterstützung aufbieten konnte, bescheiden. Eine als Großdemonstration angekündigte Aktion am vergangenen Wochenende blieb nicht nur zahlenmäßig weit unter den Erwartungen der Organisatoren – von maximal 50000 statt der erwarteten 200000 Demonstranten sprach sogar die Polizei. Die Demonstranten wirkten wenig engagiert, kaum jemand war in der Lage, die politische Zielsetzung seines Kommens zu formulieren. Kein Wunder, daß sich alsbald auf dem Maidan die Lesart breitmachte, die Leute seien für ein Tageshonorar von umgerechnet 20 Euro angeworben worden. Ausgeschlossen ist dies nicht; solches Vorgehen nennt sich »administrative Ressourcen ausnutzen« und kennzeichnet eine Spezifik des ukrainischen Politikstils.
Entscheidend für Janukowitschs geschwächte Position ist aber nicht so sehr die laue Mobilisierung seiner Anhänger. Gefährlicher für ihn ist, daß auch die ukrainischen Großunternehmer, die ihn in den vergangenen Jahren als Garanten ihrer Geschäfte unterstützt oder wenigstens geduldet haben, Schritt für Schritt von ihm abrücken. Der erste war der »Schokoladenkönig« Petro Poroschenko, der schon vor einigen Tagen auf dem Maidan auftrat. Er hatte auch schon die »Orange Revolution« vor neun Jahren gesponsert, sein Seitenwechsel kam also nicht überraschend. Nun aber scheinen auch der Gashändler Dimitro Firtasch, der Stahlbaron und Schwiegersohn des früheren Präsidenten Leonid Kutschma, Wiktor Pintschuk, und selbst Janukowitschs engster Pate Rinat Achmetow, Herr über den Großteil der Kohlegruben des Donbaß, diesen Schritt zu erwägen. Man erkennt das daran, wie ihre jeweiligen Fernsehsender über die innenpolitischen Auseinandersetzungen berichten: Die relativ freundlichen Reportagen der letzten Tage zeigen, daß die Herren zumindest beginnen, sich für den Fall eines »Regimewechsels« abzusichern.
** Aus: junge Welt, Dienstag, 17. Dezember 2013
Unverzichtbares Glacis und unsicherer Kantonist
Rußlands Haltung zur Ukraine ist zwiespältig, Rückendeckung für Janukowitsch nicht garantiert
Von Reinhard Lauterbach ***
Der amerikanische Informationsdienst Stratfor ist dafür bekannt, gelegentlich Klartext zu sprechen. Vor einigen Tagen verbreitete das der realpolitischen Fraktion des Militärs und der Geheimdienste nahestehende Portal eine Analyse der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine. »Die Ukraine liegt tief im Herzen Rußlands; wenn sie aus dem russischen Einflußbereich herausgenommen würde, wäre das europäische Rußland nicht mehr zu verteidigen«, hieß es darin kurz und bündig. Das amerikanische Engagement zugunsten der prowestlichen Demonstranten in Kiew brachten die Autoren ebenso lakonisch auf den Punkt: Die innenpolitische Unruhe in Kiew sei aus US-Sicht die ideale Gelegenheit, Rußland zu hindern, aus seinen weltpolitischen Erfolgen in Sachen Syrien und Iran weiteres Kapital zu schlagen, und Moskau zu zwingen, seine Kräfte in seiner näheren Umgebung zu verausgaben.
So explizit ist zumindest die veröffentlichte Meinung in Rußland nicht. Für den internen Gebrauch schildern die elektronischen Medien – die Hauptinformationsquelle der Bevölkerung – die Entwicklungen in der Ukraine als unverständliches Chaos. Offiziöse Kommentatoren behaupten als Sahnehäubchen, die EU wolle in der Ukraine die Homoehe einführen. Das stimmt zwar nicht, weil Brüssel dazu überhaupt keine Kompetenzen hat, aber die Linie der Propaganda ist eindeutig: Die Bevölkerung soll vor einer Wiederholung des »orangen Szenarios« und vor allem davor gewarnt werden, sich auf Ähnliches im eigenen Lande einzulassen.
Der ukrainische Außenhandel mit Rußland und den übrigen GUS-Staaten lag lange Zeit ungefähr gleichauf mit dem Export der Ukraine in die EU. Rußland ist aber in erheblich geringerem Maße von Importen aus der Ukraine abhängig als umgekehrt. Eine Umfrage der Moskauer Wirtschaftszeitung RBK Daily unter russischen Unternehmern kam in der vergangenen Woche auf einen Wert von vier Prozent des russischen Außenhandels, der bei einer EU-Assoziierung in Gefahr kommen könnte. Die Verflechtung russischer und ukrainischer Unternehmen beim Bau von Weltraumtechnik oder Waffen ist von Rußland in den letzten Jahren systematisch zurückgefahren worden. Zumindest im jüngeren Teil der russischen Elite herrscht gegenüber der Ukraine ein mißtrauisch-spöttischer Ton vor: Gott behüte, daß die Ukraine jemals der Eurasischen Zollunion beiträte, äußerte sich zuletzt etwa Fjodor Lukjanow von der außenpolitischen Zeitschrift Russia in Global Affairs: Sie wäre dort ein schlimmerer Spaltpilz als Großbritannien in der EU (jW-Interview vom 27.11.13). Das aber sind inoffizielle Äußerungen; offiziell hat Präsident Wladimir Putin vergangene Woche in seiner Jahresbotschaft die Hoffnung bekundet, daß sich die politischen Kräfte in Kiew einigen könnten.
In Wiktor Janukowitschs Ohren muß auch das als Warnsignal angekommen sein. Denn es bedeutet ja, daß sich Rußland mit jeder politischen Führung in Kiew einigen werde, Janukowitsch also nicht unersetzlich ist und Moskauer Unterstützung für seine Wiederwahl – oder kurzfristig seinen Amtserhalt – kein Selbstläufer. Wenn es Janukowitsch nicht gelingt, die Ukraine geordnet in nähere Beziehungen zu Rußland zu bringen, dann ist er für Moskau nutzlos; zumal er eben nicht die russische Marionette ist, zu der ihn die Oppositionsführer auf dem Maidan machen. Er vertritt – oder vertrat bisher – jenen Teil der ukrainischen Geschäftswelt, der mit Rußland gern Geschäfte macht, aber nicht von ihm geschluckt werden möchte.
Fraglich ist also, ob Rußland jetzt tief in die Tasche greift, um Janukowitsch vielleicht mit billigerem Gas und günstigen Krediten an der Macht zu halten. Die Alternative hat im vergangenen Sommer die Kiewer Wochenzeitung Zerkalo Nedeli skizziert. Sie veröffentlichte ein angebliches Planungspapier aus dem Kreml mit dem Rat, statt auf den unzuverlässigen Janukowitsch auf einen neuen Mann zu setzen. Aufbauen solle ihn eine gemeinsame Kampagne »slawischer« Verbände und der dem Moskauer Patriarchat unterstehenden orthodoxen Geistlichkeit. Der Inhalt des Papiers ist in Moskau nie dementiert worden.
Selbst wenn dieser Plan aufginge, bliebe allerdings die Frage, was ein solcher prorussischer Präsident dann im Sinne seiner Auftraggeber leisten sollte. Die politische Spaltung der Ukraine würde er kaum überwinden können. Den Vorwurf, Rußland plane nach der politischen auch die territoriale Spaltung der Ukraine nach dem Szenario der Abspaltung Abchasiens und Nordossetiens von Georgien 2008, erhebt einstweilen nur das Maidan-Lager. Ein solches Vorgehen wäre in der Tat für Rußland hoch riskant. Denn es wäre nicht nur mit dem offiziellen Prinzip der Unverletzlichkeit der bestehenden Staatsgrenzen unvereinbar, es würde mit großer Wahrscheinlichkeit auch Themen wie den tschetschenischen Separatismus auf die Tagesordnung zurückbringen.
*** Aus: junge Welt, Dienstag, 17. Dezember 2013
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