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Blockade im ukrainischen Parlament

Russland warnt die NATO *

Die prowestliche Opposition in der Ukraine will das Parlament bis zum Rücktritt der Regierung blockieren. Der Europarat kündigte unterdessen eine Vermittlung in Kiew an.

Auch nach dem verlorenen Misstrauensvotum gegen die ukrainische Regierung beharrt die prowestliche Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko auf einem Machtwechsel. Tausende Ukrainer forderten am Mittwoch vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Nikolai Asarow dessen Rücktritt. Im Parlament besetzten Abgeordnete der Opposition das Rednerpult und erzwangen einen Abbruch der Sitzung. »Wir werden das Parlament so lange blockieren, bis die Regierung zurückgetreten und Julia Timoschenko freigelassen ist«, sagte Arseni Jazenjuk von der Partei der inhaftierten ehemaligen Regierungschefin. Klitschko kündigte eine Verschärfung der Proteste an. »Wir machen weiter mit unserem Kampf gegen diese korrupte Regierung. Die Tage von Janukowitsch sind gezählt«, sagte er der »Bild-Zeitung«.

Auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz setzen Tausende prowestliche Ukrainer die 13. Nacht in Folge bei Temperaturen unter Null ihre Proteste gegen Janukowitsch fort. Die Demonstranten hielten noch immer mehrere Gebäude in der Hauptstadt besetzt. Die Proteste richten sich gegen eine Abkehr des Landes von der EU.

Statement by the NATO Secretary General on events in Ukraine

Tonight in Kyiv, many Ukrainians continue to show their strong support for their country's closer relations with the European Union. It is the right of people everywhere to express their views in a democratic way.

I appeal to all parties to refrain from violence and the use of force at all cost. Violence and force are not the way to resolve political differences in a democratic society. I urge everyone to proceed in accordance with constitutional and democratic norms. NATO fully respects all Ukrainians and the democratic ideals of the Ukrainian nation.

I call on Ukraine, as the holder of the Chairmanship in Office of the OSCE, to fully abide by its international commitments to respect the freedom of expression and assembly.

NATO Press Release (2013) 137, Sunday, 1 December 2013



Der Europarat kündigte an, in der Ukraine vermitteln zu wollen. Generalsekretär Thorbjørn Jagland (Norwegen) traf sich am Mittwoch in Kiew unter anderem mit Regierungschef Asarow und den Vorsitzenden der Parlamentsparteien, hieß es aus Straßburg.

Der amtierende Bundesaußenminister Guido Westerwelle teilte mit, nach einigem Zögern doch zu einem Ministertreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach Kiew zu fliegen. Er werde auch bilaterale Gespräche führen, kündigte Westerwelle in Brüssel am Rande eines NATO-Außenministertreffens an. Dort hatte Russlands Außenamtschef Sergej Lawrow die Militärallianz wegen einer Erklärung ihrer Außenminister gegen die Gewalt in der Ukraine kritisiert. Nach einem Treffen mit seinen NATO-Kollegen warnte er den Westen eindringlich vor einer Einmischung in der Ukraine.

Lawrow sagte, die NATO-Erklärung gebe ein völlig »verzerrtes Bild der Lage«. Das Land müsse seine »verfassungsmäßige Ordnung« wiederherstellen. »Das ist eine Angelegenheit der Ukraine, eine innere Angelegenheit. Ich kann das Ausmaß der aggressiven Aktionen der Opposition nicht verstehen.«

Der ukrainische Vizeregierungschef Juri Bojko traf am Mittwoch in Moskau ein. Mit dem russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedjew wollte er dort über einen Rabatt für russische Gaslieferungen sprechen. Präsident Viktor Janukowitsch hält sich derweil in China auf, um über Investitionen in der Ukraine zu verhandeln. Ende der Woche wird Janukowitsch in Russland erwartet.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Dezember 2013


Zu spät in Kiew

Klaus Joachim Herrmann über die ukrainische Mission des Europarates **

Was die Europäische Union versäumte, versucht der Europarat nun halbwegs zu richten. Der Dialog, den er in der Ukraine als Vermittler zwischen den Parteien in Gang setzen will, wäre Voraussetzung für den nächsten Schritt – das schwierige Ausbalancieren der Interessen von EU, Ukraine und Russland. Denn gerade auch die EU hat die Ukraine in ihre heutige Lage gebracht: mit Druck, Verlockung und der Strategie des Zurückdrängens des Moskauer Einflusses in die Grenzen Russlands.

Wer da Folgen nicht mitgedacht haben will, wäre fahrlässig oder naiv – die EU ist beides kaum. Damit hat sie die Krise in der Ukraine und im Verhältnis mit Russland billigend in Kauf genommen. Nicht aus Jux und Dollerei verabschiedeten sich Kiews Spitzen vorerst von der Osteuropäischen Partnerschaft. Sie suchten in der Zerreißprobe zwischen Brüssel und Moskau den Weg des etwas geringeren Schadens.

Wenn es den Demonstranten auch um den Europakurs geht, die Oppositionsführer wollen längst die Macht im Staate. Julia Timoschenko wettert, der Westen dürfe die »autoritäre Politik« des Präsidenten nicht dulden. Boxer Klitschko ruft zur Blockade, weil die »korrupte« Regierung stürzen soll. Themenwechsel: Das ist kein Streit um Europa mehr, das ist einer um die Herrschaft in der Ukraine. Der Europarat könnte zu spät gekommen sein.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Dezember 2013 (Kommentar)


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