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"Unsere Führungsstärke basiert (auch) auf dem guten Vorbild unserer Werte"

Bericht des US-Präsidenten Obama zur Lage der Nation 2015 – hier: außenpolitischer Teil - Die Rede im Wortlaut


Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus dem Bericht zur Lage der Nation, die die Außenpolitik betreffen. Präsident Barack Obama hielt die Rede am 20. Januar 2015 vor beiden Kammern des Kongresses. Die Übersetzung besorgte der Amerika Dienst.

BARACK OBAMA:

Mr. Speaker, Herr Vizepräsident, Mitglieder des Kongresses, liebe Mitbürger!

Wir befinden uns im 15. Jahr dieses neuen Jahrhunderts. Vor 15 Jahren kam der Terror in unser Land. In diesen 15 Jahren haben zwei Generationen einen langen und kostspieligen Krieg geführt und unser Land und die ganze Welt haben eine massive Rezession erlebt. Es waren und sind für viele noch immer harte Zeiten.

Aber heute Abend schlagen wir ein neues Kapitel auf.

Amerika, für alles, was wir durchgemacht haben, für die Entschlossenheit und die schwere Arbeit, die erforderlich war, um die Schwierigkeiten zu überwinden, für alle Aufgaben, die noch vor uns liegen, gilt:

Der Schatten der Krise ist vorübergezogen und unsere Nation ist stark.

Unsere Wirtschaft exportiert heute mehr denn je und die Exporteure zahlen ihren Mitarbeitern im Allgemeinen höhere Löhne. Doch während ich zu Ihnen spreche, will China die Regeln für die am schnellsten wachsende Region der Welt schreiben. .... Diese Regeln sollten von uns geschrieben werden. Wir sollten gleiche Bedingungen für alle schaffen. Deshalb rufe ich beide Parteien dazu auf, mir die Handelsförderungsbefugnis zu erteilen, damit ich die amerikanischen Arbeitnehmer schützen kann – mit starken neuen Handelsvereinbarungen von Asien bis Europa, die nicht nur frei sind, sondern auch gerecht.

Ich glaube an eine klügere amerikanische Führungsstärke. Wir führen am besten, wenn wir militärische Macht mit starker Diplomatie kombinieren, wenn wir unsere Macht durch den Aufbau von Koalitionen stärken, wenn unsere Ängste uns nicht blind machen für die Chancen, die dieses neue Jahrhundert bietet. Genau das tun wir momentan, und das zeigt weltweit Wirkung.

Erstens stehen wir auf der ganzen Welt geeint an der Seite von Menschen, die zur Zielscheibe von Terroristen werden – in einer Schule in Pakistan ebenso wie auf den Straßen von Paris. Wir werden die Terroristen und ihre Netzwerke weiterhin gnadenlos verfolgen, und wir behalten uns das Recht vor, unilateral zu handeln, wie wir es unablässig getan haben, seit ich mein Amt angetreten habe, um Terroristen auszuschalten, die eine unmittelbare Bedrohung für uns und unsere Verbündeten darstellen.

Wir haben in den letzten 13 Jahren allerdings auch einige Erfahrungen gemacht, die uns teuer zu stehen kamen.

Statt in den Tälern Afghanistans Amerikaner patrouillieren zu lassen, haben wir die afghanischen Sicherheitskräfte ausgebildet, die nun die Führung übernommen haben, und wir haben die Opfer gewürdigt, die unsere Soldatinnen und Soldaten gebracht haben, indem wir den ersten demokratischen Machtübergang des Landes unterstützt haben. Statt umfangreiche Bodentruppen ins Ausland zu entsenden, gehen wir Partnerschaften mit Ländern von Südasien bis Nordafrika ein, um Terroristen, die die Vereinigten Staaten bedrohen, Zufluchtsorte zu verwehren. Im Irak und in Syrien stoppen die amerikanische Führungsstärke und unsere militärische Macht den Vormarsch der IS-Terrormiliz. Statt uns in einen weiteren Bodenkrieg im Nahen Osten hineinziehen zu lassen, führen wir eine breite Koalition an, zu der auch arabische Länder gehören, um diese Terrorgruppe zu schwächen und letztlich zu zerstören. Wir unterstützen außerdem eine moderate Opposition in Syrien, die uns bei diesen Bestrebungen behilflich sein kann, und helfen Menschen überall auf der Welt, die sich gegen die moralisch bankrotte Ideologie des gewalttätigen Extremismus wenden. Diese Bestrebungen erfordern natürlich Zeit. Sie erfordern Konzentration. Aber sie werden erfolgreich sein. Heute Abend rufe ich den Kongress auf, der Welt zu zeigen, dass wir geeint hinter dieser Mission stehen, indem er eine Resolution für den Einsatz von Gewalt gegen die IS-Terrormiliz verabschiedet. Wir brauchen dieses Mandat.

Zweitens demonstrieren wir die Macht der amerikanischen Stärke und Diplomatie. Wir stehen zu dem Prinzip, dass größere Länder die kleineren nicht schikanieren dürfen – indem wir uns gegen die russische Aggression wenden, die Demokratie in der Ukraine unterstützen und unseren Bündnispartnern in der NATO zur Seite stehen. Im vergangenen Jahr, als wir die schwierige Aufgabe bewältigt haben, gemeinsam mit unseren Verbündeten Sanktionen zu verhängen, als wir unsere Präsenz in den Frontstaaten verstärkt haben, haben einige behauptetet, Putins Aggression sei eine meisterliche Zurschaustellung von Strategie und Stärke. Das habe ich mehrfach gehört. Nun, heute sind die Vereinigten Staaten stark und mit ihren Bündnispartnern geeint, während Russland isoliert ist und seine Wirtschaft am Boden liegt.

So führen die Vereinigten Staaten – nicht mit Getöse, sondern mit beständiger und dauerhafter Entschlossenheit.

In Kuba beenden wir eine Politik, die ihr Haltbarkeitsdatum schon lange überschritten hatte. Wenn das, was man tut, 50 Jahre lang nicht funktioniert hat, dann ist es an der Zeit, etwas Neues auszuprobieren. Unsere neue Kuba-Politik hat das Potenzial, die Altlast des Misstrauens in unserer Hemisphäre abzubauen, beseitigt den Vorwand für die Beschränkungen in Kuba, setzt sich für demokratische Werte ein und reicht der kubanischen Bevölkerung die Hand der Freundschaft. In diesem Jahr sollte der Kongress die Arbeit für die Beendigung des Embargos aufnehmen. Papst Franziskus hat gesagt, Diplomatie sei die Arbeit „kleiner Schritte“. Aus der Summe dieser kleinen Schritte ist neue Hoffnung für die Zukunft Kubas entstanden. Wir sind überglücklich, dass Alan Gross nach einem jahrelangen Gefängnisaufenthalt wieder dort ist, wo er hingehört. Willkommen zu Hause, Alan. Wir freuen uns, dass Sie hier sind.

Unsere Diplomatie ist in Bezug auf Iran in vollem Einsatz. Dort haben wir zum ersten Mal seit zehn Jahren die Fortsetzung des Atomprogramms aufgehalten und den Atommaterialvorrat des Landes abgebaut. Bis zum Frühjahr haben wir die Chance, ein umfangreiches Abkommen auszuhandeln, das verhindert, dass Iran in den Besitz von Kernwaffen gelangt, den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten, einschließlich Israel, Sicherheit bietet und gleichzeitig einen weiteren Konflikt im Nahen Osten vermeidet. Es gibt keine Garantien dafür, dass die Verhandlungen zum Erfolg führen werden, und ich halte alle Optionen offen, um zu verhindern, dass Iran an Atomwaffen kommt. Neue Sanktionen dieses Kongresses würden zum jetzigen Zeitpunkt allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Scheitern der Diplomatie führen, die Vereinigten Staaten von ihren Verbündeten entfremden, es schwerer machen, Sanktionen aufrechtzuerhalten und dazu führen, dass Iran sein Atomprogramm wieder aufnimmt. Das wäre wenig sinnvoll. Deshalb werde ich mein Veto gegen jede Gesetzesvorlage für neue Sanktionen einlegen, die diese Fortschritte gefährdet. Die Amerikanerinnen und Amerikaner erwarten von uns, dass wir Krieg nur als letztes Mittel erwägen, und ich beabsichtige, diesen klugen Leitzsatz zu beherzigen.

Drittens blicken wir über die Themen hinaus, die uns in der Vergangenheit beschäftigt haben, um das kommende Jahrhundert zu gestalten.

Kein anderes Land, kein Hacker sollte in der Lage sein, unsere Netzwerke abzuschalten, unsere Handelsgeheimnisse zu stehlen oder in die Privatsphäre amerikanischer Familien und insbesondere unserer Kinder einzudringen. Daher stellen wir ebenso wie im Kampf gegen den Terrorismus sicher, dass unsere Regierung nachrichtendienstliche Erkenntnisse einbezieht, wenn es darum geht, Cyber-Bedrohungen zu bekämpfen. Heute Abend halte ich den Kongress dazu an, endlich die Gesetze zu verabschieden, die wir benötigen, um der sich entwickelnden Bedrohung durch Cyber-Angriffe besser begegnen, Identitätsdiebstahl bekämpfen und die Informationen unserer Kinder besser schützen zu können. Dieses Ziel sollte parteiübergreifend verfolgt werden. Wenn wir nicht handeln, macht das unser Land und unsere Wirtschaft angreifbar. Wenn wir handeln, können wir weiter die Technologien schützen, die Menschen auf der ganzen Welt ungeahnte Möglichkeiten eröffnet haben.

In Westafrika arbeiten unsere Soldaten, Wissenschaftler, Ärzte, Schwestern und Pfleger daran, Ebola zurückzudrängen, retten unzählige Menschenleben und stoppen die Ausbreitung der Krankheit. Ich könnte nicht stolzer auf sie sein, und ich danke dem Kongress für die parteiübergreifende Unterstützung ihrer Bestrebungen. Aber diese Arbeit ist noch nicht abgeschlossen – und die Welt muss diese Erfahrung nutzen, um eine effektivere globale Strategie zur Verhinderung der Ausbreitung künftiger Epidemien zu entwickeln, in intelligente Entwicklung zu investieren und extreme Armut zu beseitigen.

Im asiatisch-pazifischen Raum erneuern wir unsere Bündnisse und stellen sicher, dass andere Nationen sich an die Regeln halten – beim Handel, bei der Beilegung von Streitigkeiten über Seegrenzen und wenn es darum geht, sich an der Bewältigung internationaler Herausforderungen wie der Nichtverbreitung von Atomwaffen und an Katastrophenhilfe zu beteiligen. Keine Herausforderung – keine einzige – stellt eine größere Bedrohung für zukünftige Generationen dar als der Klimawandel.

2014 war das wärmste Jahr seit Beginn der Klimaaufzeichnungen. Ein Jahr zeichnet noch keine Tendenz, dies aber schon: 14 der 15 wärmsten Jahre seit Beginn der Klimaaufzeichnungen fielen in die ersten 15 Jahre dieses Jahrhunderts.

Ich habe gelegentlich gehört, wie Leute versucht haben, diese Hinweise mit dem Argument zu entkräften, sie seien keine Wissenschaftler und wir hätten nicht genügend Informationen, um zu handeln. Nun, ich bin auch kein Wissenschaftler. Aber ich kenne einige sehr gute Wissenschaftler bei der NASA, der NOAA [U.S. National Oceanic and Atmospheric Administration] und an unseren großen Universitäten. Die besten Wissenschaftler der Welt sind alle der Meinung, dass unsere Aktivitäten das Klima verändern und wir weiterhin steigende Meeresspiegel, noch stärkere Hitzewellen, gefährliche Trockenperioden und Überschwemmungen und massive Störungen erleben werden, die noch mehr Wanderungsbewegungen, Konflikte und Hunger auf der ganzen Welt auslösen können, wenn wir nicht mit größter Entschlossenheit handeln. Dem Pentagon zufolge ist der Klimawandel eine unmittelbare Bedrohung für unsere nationale Sicherheit. Wir sollten uns entsprechend verhalten.

Deshalb haben wir in den vergangenen sechs Jahren mehr denn je getan, um den Klimawandel zu bekämpfen, von der Art und Weise, wie wir Energie produzieren, bis hin zu unserer Energienutzung. Deshalb haben wir mehr öffentliches Land und mehr Gewässer unter Naturschutz gestellt als jede andere Regierung vor uns. Und deshalb werde ich es nicht länger zulassen, dass dieser Kongress die Gesundheit unserer Kinder aufs Spiel setzt, indem er unsere Bemühungen zurückschraubt. Ich bin entschlossen sicherzustellen, dass amerikanische Führungsstärke den Antrieb für internationale Maßnahmen gibt. In Peking haben wir eine historische Ankündigung gemacht: Die Vereinigten Staaten werden ihren CO2-Ausstoß in der Hälfte der Zeit reduzieren und China hat sich erstmals dazu verpflichtet, Emissionen zu begrenzen. Weil die beiden größten Volkswirtschaften der Welt sich zusammengetan haben, schließen sich jetzt andere Länder an, was Anlass zu der Hoffnung gibt, dass die Welt dieses Jahr endlich ein Abkommen schließen wird, um diesen einen Planeten, den wir haben, zu schützen.

Unsere Führungsstärke basiert auf noch einer weiteren Säule – und das ist das gute Vorbild unserer Werte.

Als Amerikaner achten wir die Menschenwürde auch dann, wenn wir bedroht werden, weshalb ich Folter verboten und daran gearbeitet habe sicherzustellen, dass unserer Nutzung neuer Technologien wie Drohnen angemessene Grenzen gesetzt werden. Aus diesem Grund sprechen wir uns gegen den beklagenswerten Antisemitismus aus, der in einigen Teilen der Welt wieder an die Oberfläche getreten ist. Deshalb lehnen wir beleidigende Stereotype von Muslimen ab – denn die überwiegende Mehrheit von ihnen teilt unser Engagement für den Frieden. Deshalb verteidigen wir die Meinungsfreiheit, treten für politische Gefangene ein und verurteilen die Verfolgung von Frauen, religiösen Minderheiten und Menschen, die lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender sind. Wir tun diese Dinge nicht nur, weil sie richtig sind, sondern weil sie uns letztlich auch mehr Sicherheit bringen werden.

Als Amerikanerinnen und Amerikaner fühlen wir uns der Gerechtigkeit zutiefst verpflichtet – es ergibt daher keinen Sinn, drei Millionen Dollar pro Gefangenem auszugeben, um ein Gefängnis zu erhalten, das von der Welt verurteilt wird und Terroristen als Anwerbehilfe dient. Seit ich Präsident bin, haben wir verantwortungsvoll daran gearbeitet, die Zahl der Insassen von Guantanamo zu halbieren. Jetzt ist es Zeit, diese Aufgabe abzuschließen. Ich werde mich weiter unermüdlich für die Schließung einsetzen. Guantanamo passt nicht zu uns. Es ist Zeit, Guantanamo zu schließen.

Als Amerikaner schätzen wir unsere bürgerlichen Freiheiten – und wir müssen dieses Bekenntnis aufrechterhalten, wenn wir in unserem Kampf gegen terroristische Netzwerke eine möglichst große Zusammenarbeit mit anderen Ländern und der Wirtschaft wollen. Einige haben die Debatten über unsere Überwachungsprogramme schon hinter sich gelassen, aber ich habe das nicht. Wie versprochen haben unsere Nachrichtendienste unter Einbeziehung der Empfehlungen von Datenschützern hart daran gearbeitet, die Transparenz zu erhöhen und mehr Sicherheitsmaßnahmen gegen möglichen Missbrauch einzubauen. Im nächsten Monat werden wir einen Bericht dazu herausgeben, wie wir unser Versprechen halten, unser Land zu sichern und gleichzeitig den Datenschutz zu stärken.

Statt in die Vergangenheit blicken wir in die Zukunft. Wir stellen sicher, dass wir Macht und Diplomatie aufeinander abstimmen und sie klug einsetzen. Wir schaffen Bündnisse, um neuen Herausforderungen und Chancen zu begegnen. Wir gehen stets mit dem Beispiel unserer Werte voran. Das macht uns außergewöhnlich. Das hält uns stark. Deshalb müssen wir weiter danach streben, uns an den höchsten möglichen Maßstäben zu messen – an unseren eigenen.

Originaltext: Obama’s 2015 State of the Union Address.
Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten; http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/



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