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Wasser abgraben

In mehreren US-Bundesstaaten arbeiten Politiker an Gesetzentwürfen, um die Tätigkeit des Geheimdienstes NSA einzuschränken. Es geht auch um Versorgungsleitungen

Von Rainer Rupp *

Noch vor einem Jahrzehnt war in den USA blindes Vertrauen in die staatlichen Autoritäten weit verbreitet – es ist dahin und hat einer wachsenden Skepsis bzw. einem zunehmendem Zynismus Platz gemacht (Siehe Spalte). Die Appelle Präsident Barack Obamas, die stets nach dem Motto »Vertraut uns, wie sind von der Regierung« abgefaßt sind, werden inzwischen von der Mehrheit der Bevölkerung als lächerlich empfunden. So konnte auch seine jüngste »Rede zur Lage der Nation« z. B. die NSA-Kritiker im eigenen Land nicht beruhigen, im Gegenteil. Allerdings wird die veränderte Stimmung nicht von allen Politikern ignoriert. Das ist u.a. in der wachsenden Zahl von Anti-NSA-Gesetzesinitiativen auf der Ebene der US-Bundesstaaten ersichtlich. Dort tun sich immer mehr libertäre Republikaner mit progressiven Demokraten zusammen, um die NSA zumindest in einzelnen Regionen der USA zu bremsen. Sie wollen nicht länger auf die im US-Kongreß in Washington bisher ausgebliebenen Maßnahmen gegen den Geheimdienst warten.

Monsterbau

Ihr Plan ist u. a., mit Hilfe neuer Gesetze lokale NSA-Einrichtungen von allen Versorgungseinrichtungen wie Wasser und Strom abzuschneiden. Zudem soll die Zusammenarbeit von Justiz- und Sicherheitsbehörden einzelner Bundesstaaten mit der NSA verboten werden. Wer dem als staatlicher Angestellter, z. B. als Polizist oder Staatsanwalt, zuwiderhandelt und die NSA bei der Suche nach angeblich Verdächtigen unterstützt oder sonstige »Amtshilfe« leistet, soll mit mindestens einem Jahr Haft wegen Beihilfe zum Verfassungsbruch bestraft werden. Da die NSA keine Befugnisse für Polizeiarbeit vor Ort hat, mußte das bisher die jeweilige Behörde eines Bundesstaates für sie erledigen. Alle durch gesetzwidrige NSA-Schnüffeleien zusammengetragenen »Beweise« sollen in Zukunft vor staatlichen Gerichten unzulässig sein. Das entspräche den Regelungen der US-Verfassung.

In kurzer Zeit wurden in die regionalen Parlamente von zehn US-Bundesstaaten entsprechende Gesetzentwürfe eingebracht: Arizona, Kalifornien, Indiana, Oklahoma, Washington, Tennessee, Mississippi, Kansas, Missouri und New Hampshire. Im zum größten Teil aus Wüste bestehende Bundesstaat Utah wird derzeit ein Gesetz vorbereitet, mit dem das kurz vor der Vollendung stehende, 1,5 Milliarden US-Dollar teure neue Hyperdatenverarbeitungszentrum der NSA blockiert werden soll. Diese Anlage benötigt täglich 1,7 Milliarden Gallonen – das entspricht 6,41 Milliarden Liter – Wasser, um die elektronischen Systeme zu kühlen. Sollte es Utah gelingen, dem Geheimdienst das Wasser abzudrehen, hätte die Spitzelagentur den Monsterbau sprichwörtlich in den Sand gesetzt – als Denkmal ihrer Sammelwut. Allerdings dürfte das ein Wunsch bleiben. Es ist unwahrscheinlich, daß die regionalen Initiativen tatsächlich die NSA lahmlegen, selbst wenn sie Gesetze durch die Parlamente bringen,.

Washingtons Juristen verweisen darauf, daß Bundesrecht das Recht der Einzelstaaten bricht. Dagegen argumentieren die NSA-Gegner, das gelte nur, wenn ein Bundesgesetz verfassungskonform sei. Das ist nach ihrer Ansicht hier nicht der Fall, weil die US-Administration den vierten Zusatz zur Verfassung ignoriere, der die Privatsphäre aller Bürger vor staatlichen Eingriffen jeder Art schützt. Dies kann nur durch Gerichtsbeschluß aufgehoben werden, und auch dann nur, wenn ein begründeter Verdacht gegen eine oder mehrere Personen besteht.

Verfassungskonflikt

Gutachten namhafter US-Rechtswissenschaftler haben bereits dargelegt, daß die verdachtslose Massenüberwachung der NSA nicht nur einen Verfassungsbruch, sondern auch einen Verstoß gegen eine Reihe von geltenden Gesetzen darstellt. Das erläuterte z.B. Professor Christopher Jon Sprigman kürzlich in einem ausführlichen Artikel des US-Nachrichtenmagazins Forbes (im Internet: kurzlink.de/sprigman).

Wenn die Anti-NSA-Entwürfe aus den Bundesstaaten Gesetzeskraft erlangen sollten, ist mit einem aufsehenerregenden und langen Verfassungsstreit zwischen beiden staatlichen Ebenen zu rechnen. Im Unterschied zu bisherigen Klagen von Bürgerrechtsaktivisten gegen die Bundesregierung würde dieser Konflikt zwischen ebenbürtigen Gegnern ausgetragen werden. Das wiederum würde zwangsläufig zur längst überfälligen, gründlichen Durchleuchtung der illegalen und kriminellen NSA-Praktiken führen und zu einer öffentlichen Debatte über sie. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Vorgehen zum zumindest offiziellen Verbot der NSA-Spionage im Inland führt, ist hoch. Eine solche formelle Schranke dürfte auch das eigentliche Ziel der Initiatoren sein. Drohungen wie die Kappung von Wasser- und Elektrizitätsleitungen für die NSA sollen vor allem vermutlich Druck erzeugen, um letztlich Washington die juristische Auseinandersetzung mit den Bundesstaaten aufzuzwingen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 8. Februar 2014


Auftritt eines Lügenmauls im Geheimdienstausschuß des US-Senats: James Clapper

Von Rainer Rupp **

Der jüngste Auftritt James Clappers, seines Zeichens »Director of National Intelligence« und somit oberster Chef aller 16 US-Geheimdienste, bot ein Musterbeispiel für die Sichtweise an der Spitze des sicherheitspolitischen Establishments der USA: Nicht nur verzerrte Wahrnehmung, dort stehen die Dinge auf dem Kopf. Clapper verbrachte am 29. Januar bei einer Anhörung vor dem Geheimdienstausschuß des US-Senats viel Zeit damit, den Wistleblower Edward Snowden zu beschimpfen. Der hat unter erheblichen Risiken für sein leibliches und materielles Wohlergehen die kriminellen Machenschaften der National Security Agency (NSA) publik gemacht. Nun lamentierte Clapper, die Enthüllungen Snowdens hätten »das Vertrauen der Öffentlichkeit unterhöhlt«. Dabei waren es er selbst und US-Präsident Barack Obama, die das Mißtrauen kräftig schüren.

Clappers Beitrag zum Verlust des Glaubens an der US-Führung geht auf Anfang Juni vergangenen Jahres zurück, als die Snowden-Enthüllungen öffentlich wurden. Bei einer schleunigst anberaumten Anhörung im US-Kongreß war der Geheimdienstchef damals nicht nur äußerst sparsam mit der Wahrheit gewesen; er hatte auch unter Eid gelogen. Das hätte als Offizialdelikt sofort strafrechtliche Folgen haben müssen. Statt dessen stellte sich Obama hinter das amtliche Lügenmaul. Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Caitlin Hayden, tönte: »Der Präsident hat volles Vertrauen in Direktor Clapper und seine Führung der Nachrichtendienste«. Lediglich ein Mitglied des Kongresses, der republikanische Abgeordnete Justin Amash aus Michigan, war mutig genug, Clappers Kopf zu fordern. Begründung: Der hatte unter Eid die Frage verneint, ob die NSA massenweise US-amerikanische Bürger ausspioniere. Amash forderte: »Meineid ist ein schweres Verbrechen. Mr. Clapper sollte sofort zurücktreten«. Und die juristischen Folgen tragen.

Clapper blieb im Amt, von einer Anklage war nichts zu hören. Im Establishment beider Parteien im Kongreß erfreut er sich weiterhin großer Beliebtheit und Unterstützung. Dort möchte man zwecks sozialer Kontrolle der US-Bevölkerung die NSA-Programme unbedingt beibehalten. Außerdem ist Clapper ein Liebling der einflußreichen demokratischen Senatorin Dianne Feinstein, die im Geheimdienst­ausschuß sitzt. Dort distanzierte sich in der vergangenen Woche lediglich der demokratische Senator Ron Wyden deutlich vom Mainstream und ging so weit, das Offensichtliche festzustellen: »Die Überwachungsprogramme selbst« seien es und die »Kultur der Desinformation« zu deren Vertuschung, die für die Untergrabung des öffentlichen Vertrauens verantwortlich sind. Aber Wyden stellt als Stimme der Vernunft in diesem Ausschuß entschieden eine Minderheit dar. Nach seinem Statement kam der republikanische Senator Saxby Chambliss schnell wieder auf den Zweck der Sitzung zurück: Alle Verantwortung auf andere abzuschieben. Er warf den Medien theatralisch vor, mit ihrer Berichterstattung über die NSA »die nationale Sicherheit« zu gefährden.

** Aus: junge Welt, Samstag, 8. Februar 2014


US-Umfragen: NSA-Frust breitet sich aus

Von Rainer Rupp ***

US-Schnüffelpräsident Barack Obama hat die Empörung seiner Wähler über die NSA-Massenbespitzelung nicht mitbekommen. In seiner Rede zur Lage der Nation am 17. Januar kündigte er einige Reförmchen an, die auf ihrem langen Weg durch die Bürokratie des US-Überwachungsstaats irgendwo steckenbleiben dürften. Auch im US-Kongreß, in dem Republikaner und Demokraten als Vertreter des Establishments die Oberhand haben, tut sich so gut wie nichts (siehe Keller). Daher richten sich die Hoffnungen der sich ständig vergrößernden Zahl der NSA-Gegner in den USA auf zweierlei: Einerseits auf Gesetzesinitiativen und Maßnahmen auf der Ebene der US-Bundesstaaten, andererseits auf einen wachsenden, überparteilichen Widerstand von Kongreßabgeordneten, die eher den Graswurzelbewegungen beider Parteien, der konservativen Tea Party und der fortschrittlichen Occupy Wallstreet, zugerechnet werden müssen.

Laut jüngsten Umfragen lehnen weit über die Hälfte der Amerikaner das gegen US-Bürger gerichtete NSA-Spionageprogramm rundweg ab. Laut einer Umfrage von USA Today und dem Pew Research Center vom 20. Januar glauben nur noch 21 Prozent den Beteuerungen Obamas, er wolle die NSA-Aktivitäten einschränken, 73 Prozent vertrauen dem Präsidenten nicht. Auch aus der Umfrage von Anzalone Liszt Grove Research vom 14. Januar geht hervor: 57 Prozent der Befragten gehen davon aus, daß die staatlichen Sicherheitsbehörden die von der NSA gesammelten Daten mißbrauchen. Die größte Sorge der Bürger gilt dabei der Tatsache, daß ihre persönlichen Daten den Regierungs­angestellten leicht zugänglich sind. 70 Prozent der Befragten fanden es »sehr besorgniserregend«, daß die NSA-Angestellten und deren Auftraggeber praktisch ungehindert Zugang zu ihren persönlichen Finanzinformationen und ihren E-Mails haben. Zu erwarten ist, daß bei den bevorstehenden Kongreßwahlen im November NSA-Gegner, vor allem Vertreter von Graswurzelbewegungen beider Parteien, besonders gut abschneiden.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 8. Februar 2014


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