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Vage Vorschläge vor dem Wahlvolk

Über US-Präsident Obama schwebt bereits der Schatten der "lahmen Ente"

Von Max Böhnel, New York *

In seiner Ansprache zur Lage der Nation konzentrierte sich USA-Präsident Barack Obama auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Den Kongress forderte er dabei zu einem »Jahr der Taten« auf.

Die Regierungserklärung, die Obama am Dienstagabend (Ortszeit) vor Senatoren und Kongressabgeordneten abgab, dauerte über eine Stunde. Etwa 50 Millionen US-Amerikaner verfolgten sie live im Fernsehen mit. Er sei stark daran interessiert, mit den beiden Kammern des Parlaments zusammenzuarbeiten. Falls diese Kooperation nicht in Gang komme, werde er seine Vorstellungen wo immer möglich im Alleingang mit Präsidialverordnungen durchdrücken, kündigte Obama an. Es gehe ihm um das Wachstum von Wirtschaft und der Mittelschicht sowie neue Aufstiegsmöglichkeiten. »Einige Vorschläge erfordern parlamentarisches Handeln«, sagte Obama, »aber Amerika steht nicht still und ich auch nicht.« Er werde nötigenfalls »Schritte ohne Gesetzgebung unternehmen«.

Obama leitet sein sechstes Amtsjahr ein und hat die Lähmung von gesetzgeberischen Initiativen zu befürchten. Bevor er sich zur »lame duck« (lahme Ente) wandelt, die die Regierungsgeschäfte nur noch aussitzt, will Obama also doch noch aktiv werden. Dabei präsentierte der USA-Präsident allerdings wenig Innovatives. Er sprach von der Schaffung neuer Arbeitsplätze, der ökologischen Umwandlung der Wirtschaft, einer Einwanderungsreform und einer Neuordnung des Steuerwesens.

Der Staatschef streifte sein Vorhaben, die Verfügbarkeit von Waffen einzuschränken und das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen. Reformvorschläge in diesen Bereichen machen seit Obamas Amtsantritt die Runde – umgesetzt worden ist davon bisher keines.

Einen Teil seiner Rede nutzte der Präsident, um auf die wachsende soziale Ungleichheit hinzuweisen. Dabei bemühte er das von der »Occupy Wall Street«-Bewegung erfundene Bild vom immer reicher werdenden »1 Prozent«. Doch seine Reformvorstellungen zur »Stärkung der Mittelschicht und der arbeitenden Familien« blieben vage. Den Kongress forderte er auf, die nur für ein halbes Jahr geltende Arbeitslosenhilfe zu verlängern. Zwar erhöht Obama per Rechtsverordnung den Mindestlohn für Mitarbeiter des Bundes auf 10,10 Dollar pro Stunde. Doch die Steigerung begünstigt nur einen kleinen Teil dieser mehrheitlich weitaus besser bezahlten Auftragnehmer. Ansonsten blieb es bei der bloßen Aufforderung an den Kongress, den bundesweit geltenden Mindestlohn von 7,25 Dollar generell zu erhöhen.

Außenpolitisch beließ es Obama bei groben Federstrichen. Den NSA-Skandal streifte er nur in innenpolitischer Hinsicht. Vom Imageverlust der USA im Ausland schwieg er. Wichtig aus europäischer Sicht war allerdings Obamas klare Aussage, er werde etwaigen, vom Kongress vorgeschlagenen Sanktionsverschärfungen gegen Iran einen Riegel vorschieben, um die Verhandlungen mit Teheran nicht zu behindern.

Ausdrücklich bekannte sich der USA-Präsident außerdem zum Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union. Diese »Trade Promotion Authority«, der zufolge der Kongress Handelsverträge entweder nur abnicken oder ablehnen kann, wird Obama allerdings gegen einen Teil seiner eigenen Parteimitglieder, der Demokraten, im Kongress durchdrücken müssen.

Trotz statistisch positiver Zahlen, die eine wachsende Wirtschaft, langsam sinkende Arbeitslosigkeit und die Reduzierung des Defizits im Staatshaushalt untermalen, liegt Obama Umfragen zufolge in der Gunst der US-Amerikaner ziemlich weit unten. Seit über einem halben Jahr stimmen weniger als die Hälfte der vom »Wall Street Journal« Befragten seiner Amtsführung zu. Dasselbe galt für George W. Bush in dessen zweiter Amtszeit.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. Januar 2014


Bescheidene soziale Agenda

Olaf Standke über US-Präsident Obamas Rede zur Lage der Nation **

Der einstige Hoffnungsträger droht nach seinem fünften Jahr im Weißen Haus mit demoskopischen Tiefstwerten so früh wie kaum ein anderer Präsident in zweiter Amtszeit zur sprichwörtlichen »lahmen Ente« zu mutieren. Also beschloss Barack Obama, sich neu zu erfinden, verspricht ein Jahr des Handelns – und setzt auf die soziale Frage. Wieder einmal, könnte man nach früheren »Regierungserklärungen« ohne nachhaltige Folgen kritisieren. Aber Obama trifft damit durchaus einen Nerv, wie Umfragen in den USA zeigen. Denn auch 50 Jahre, nachdem Präsident Johnson der Armut den Krieg erklärt hat, ist der Sieg so fern wie »Gottes eigenes Land« von sozialer Gerechtigkeit, besitzen die reichsten zehn Prozent inzwischen doch schon die Hälfte des Volksvermögens.

Die Wirtschaft wächst wieder, Aktienkurse und Konzerngewinne steigen, den Großverdienern ging es nie besser, doch der Durchschnittslohn stagniert ebenso wie die Armutsrate; ein Fünftel aller Kinder lebt in Not. Wenn nötig und möglich, will Obama seine Pläne vom partiell erhöhten Mindestlohn bis zur temporär verlängerten Arbeitslosenhilfe im Alleingang durchsetzen, vorbei am blockierten Kongress. Nur wollen die Republikaner, die Parlamentswahlen im Herbst fest im Blick, selbst diese letztlich bescheidene soziale Agenda mit allen Mitteln verhindern.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. Januar 2014 (Kommentar)


Taube und Falke

Obama zur Lage der Nation

Von Rainer Rupp***


Die jährliche Rede von US-Präsidenten zur Lage der Nation hielt der jetzige Amtsinhaber in der Nacht zum Mittwoch. Die gestaltete sich für die meisten Anwesenden zur Leibesübung: Die Ausführungen Barack Obamas wurden permanent durch stehende Ovationen unterbrochen. An ihnen beteiligten sich selbst die oppositionellen Republikaner immer dann, wenn der von den Demokraten gestellte Oberkommandierende über amerikanische Helden in Uniform sprach. Sie opfern sich, war zu hören, rund um die Welt auf, um die Heimat zu schützen, Demokratie und Marktwirtschaft zu verteidigen oder sonstiges »Gutes« zu tun. Ganze fünf Minuten der rund einstündigen Rede widmete Obama der herzzerreißenden Geschichte eines in Afghanistan schwer verwundeten US-Kriegers, der dank eisernen Willens wieder einigermaßen gehen kann. Der Invalide durfte als Ehrengast neben der First Lady sitzen und deren Ehemann feierte ihn als Symbol der Stärke und des Durchhaltewillens der USA. Für so etwas gab es Beifall, der nicht enden wollte.

Das alles hat mit der realen Lage der Nation wenig zu tun. Die Mehrheit der US-Bevölkerung erlitt trotz Kurshöchstständen an den Börsen auch im vergangenen Jahr einen realen Einkommensverlust, 71 Prozent sind mit dem Zustand der Wirtschaft unzufrieden. Obama aber hatte bereits die in zehn Monaten stattfindenden Kongreßwahlen fest im Blick und versprach u.a. eine Erhöhung der Mindestlöhne, mehr Unterstützung beim Schulgeld und weitere soziale Wohltaten. Die hatte er bereits bei seinem Amtsantritt vor fünf Jahren in Aussicht gestellt. Für deren Blockade im Kongreß machte er die Republikaner verantwortlich und behauptete, er wolle jetzt auf einmal notfalls alle Vorhaben am Parlament vorbei mit Hilfe von Dekreten durchsetzen. Angesichts des Desasters der 2013 eingeführten Gesundheitsreform nehmen ihm das offenbar nicht viele ab: 59 Prozent der US-Bürger trauen Obama laut Wall Street Journal für den Rest seiner Amtszeit nichts mehr zu.

Die letzten 15 Minuten seiner Rede verwandte Obama darauf, widersprüchliche außenpolitische Botschaften auszusenden, präsentierte sich als Taube und Falke zugleich. So kündigte er das »Ende« des Krieges in Afghanistan an und im gleichen Atemzug dessen Fortsetzung durch weitere Stationierung von US-Truppen für »Anti-Terror«-Operationen. Angeblich will er den seit dem 11. September 2001 bestehenden »permanenten Kriegszustand beenden«, aber gleichzeitig »die Militärausgaben weiter erhöhen«, um für »zukünftige Missionen und Interventionen im Ausland« gerüstet zu sein. Ähnlich steht es um seine Erklärungen zu den Verhandlungen mit Iran, zu Syrien oder zum Einsatz von Killer­drohnen. Der rhetorische Spagat zwischen Beruhigung der US-Bevölkerung, deren große Mehrheit Frieden will, auf der einen Seite und Befriedigung der Forderungen des martialischen, imperialistischen US-Establishments auf der anderen gelang nicht.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. Januar 2014

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