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"Der USA-Justiz geht es um Rache"

George Pumphrey über die Verhaftung des Afroamerikaners George Wright *


Diese Woche meldete »nd« nach Agenturen, dass 41 Jahre nach seinem Ausbruch aus einem US-Gefängnis ein seitdem »gesuchter Verbrecher« in Portugal gefasst wurde. George Pumphrey, in Berlin lebender US-Amerikaner mit französischem Pass, kennt den »Verbrecher« George Wright. Roland Etzel befragte für das "neue deutschland" (nd) Pumphrey.


Wo sind Sie George Wright zum ersten Mal begegnet?

Das war in Paris. Dorthin war ich wegen politischer und rassistischer Verfolgung in meiner Heimat geflüchtet. George Wright hatte mit vier anderen Afroamerikanern ein Flugzeug von den USA nach Algerien entführt und war später von dort nach Paris gekommen. Eine französische Untergrundorganisation, die Hilfe für Befreiungskämpfer in der Dritten Welt leistete, unterstützte uns. So lernten wir uns kennen.

Was haben Sie damals unternommen?

Mit George Wright und den anderen vier haben wir die politischen Entwicklungen verfolgt, endlos diskutiert, uns gemeinsam vom Linksextremismus hin zum Marxismus entwickelt und Kontakte mit anderen Befreiungsbewegungen aus Afrika und Lateinamerika geknüpft.

In der Agenturmeldung heißt es, Wright sei »einer der meistgesuchten Verbrecher« der USA. Da stellt man sich ein Monster vor.

Vor fast 50 Jahren war er an einem Raubüberfall beteiligt, bei dem eine Person getötet wurde – jedoch nicht von ihm. Aber nach US-Gesetzen wird in diesem Fall jeder Beteiligte als Mörder verurteilt. George erhielt eine Strafe von »15 bis 30 Jahren Gefängnis«.

Die Strafe hat er aber nicht abgesessen, das soll er, laut FBI, jetzt nachholen.

Den US-Behörden geht es nicht um das Verbrechen, das vor 50 Jahren verübt wurde. Ihr Auslieferungsantrag an Portugal ist politisch motiviert. Im Gefängnis wurde George wie viele andere Gefangene in den 60er und 70er Jahren politisiert. Es war die Zeit der großen Kämpfe: Bürgerrechtsbewegung, Black Panther, Antikriegsbewegung. Er wollte daran teilhaben. Mit drei anderen Häftlingen brach er dann im Jahre 1970 aus. Mit einem der drei, George Brown, tauchte er in Detroit unter, wo sie Melvin und Jean McNair und Joyce Tillerson kennenlernten. Melvin war desertiert, weil er nicht gegen Vietnam kämpfen wollte.

Wie sah denn ihre Tätigkeit aus?

Sie merkten schnell, dass sie als von den Behörden Gesuchte nur eine Belastung für die Bewegung waren. Sie beschlossen, ein Flugzeug zu entführen, um sich der internationalen Sektion der Black Panthers in Algerien anzuschließen. Für die war auch die 1 Million Dollar Lösegeld bestimmt. Flugzeugentführungen waren zu jener Zeit häufig und meist ohne irgendwelche Probleme. Als George und seine Freunde am 31. Juli 1972 eine Maschine in ihre Gewalt brachten, war das bereits die 44. Flugzeugentführung jenes Jahres in den USA.

Zurück nach Paris. Wie ging es dort mit ihnen weiter?

Sie lebten im Untergrund und schlugen sich mit Schwarzarbeit durch, als sie im Mai 1976 aufgrund eines Auslieferungsantrags der USA verhaftet wurden – bis auf George Wright, der mit unserer Hilfe nach Portugal flüchten konnte. Meine Frau Doris und ich initiierten ein Verteidigungskomitee, dem bald zahlreiche bekannte französische Persönlichkeiten angehörten. Es wurde eine große politische Kampagne und das Gericht verweigerte die Auslieferung in Anerkennung ihrer politischen Motivation im Kampf gegen den Rassismus. Die Vertreter der US-Behörden schäumten natürlich.

Wie begründete das Gericht seine Entscheidung?

Nach internationalem Recht war Frankreich im Fall einer Nichtauslieferung verpflichtet, die Flugzeugentführung nach französischem Recht zu richten. Der Prozess fand 1978 statt. Inzwischen hatten sich viele Organisationen, Gewerkschaften, Politiker – von den Gaullisten bis zu den Kommunisten –, ein Nobelpreisträger, Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche, bekannte ehemalige Widerstandskämpfer, Kulturschaffende und Schauspieler, darunter James Baldwin oder die weltberühmten Filmschauspieler Yves Montand und Simone Signoret, der Solidaritätskampagne angeschlossen. Auch fast alle bürgerlichen Medien berichteten sympathisierend über den Fall. Die Verteidigung und die Angeklagten plädierten dafür, die Tat vor dem Hintergrund des Rassismus in den USA zu betrachten. Am Ende stand der Rassismus in den USA vor Gericht. Die Geschworenen urteilten entsprechend. Die Strafen für die Entführung fielen milde aus.

Der jetzt verhaftete George Wright war da schon untergetaucht. Wissen Sie wo?

Ob er die ganze Zeit in Portugal war, weiß ich nicht. Offenbar hat er aber schon seit vielen Jahren mit seiner Familie ruhig und unbehelligt in Sintra, einer 30 000-Einwohner-Stadt 25 km westlich von Lissabon gelebt. Presseberichten zufolge arbeitete er, ist bekannt und beliebt.

Warum wurde um die Verhaftung so ein Aufhebens veranstaltet?

Die martialische Berichterstattung hat wenig mit der historischen Wahrheit dieses Falles zu tun. Wenn in einem Justizsystem Rehabilitierung vorgesehen ist, dann ist George Wright ein gutes Beispiel. Ich denke, es geht dem US-Justizministerium vor allem um Rache. Die politische Schlappe damals in Paris haben sie nie verwunden.

* Aus: neues deutschland, 1. Oktober 2011


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