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Etappensieg für Occupy Wall Street

Reinigungsaktion wird verschoben

Von Max Böhnel *

Ein unerwarteter Etappensieg für Occupy Wall Street in letzter Minute! Bis auf Weiteres wird der besetzte Zucchotti-Park weder „gereinigt" noch geräumt. Diese Entscheidung verkündete ein Sprecher des Bürgermeisters eine knappe halbe Stunde vor dem befürchteten Showdown in einer Erklärung. Es hiess unter anderem: „Spät nachts erhielten wir eine Nachricht von den Eigentümern des Zuchotti-Parks, Brookfield Properties, dass die geplante Parkreinigung verschoben wird, und dass die ursprüngliche Bitte um Polizeihilfe während der Reinigungsoperation zurückgezogen wird". Die Grundstücksfirma sei zu der Ansicht gelangt, dass sie sich ohne Intervention der Stadt mit den Protestlern einigen könne. Aber die Stadt werde die Situation weiter beobachten.

Gut 1500 Menschen waren abends und bis in die frühen Morgenstunden in den Park geströmt, um die als Reinigungsaktion verkleidete Räumung zu verhindern. Geplant war flächendeckender passiver Widerstand mithilfe mehrere Menschenketten. Hunderte von Demonstranten hielten die ganze Nacht über Wache. Als um 6.40 Uhr die Nachricht eintrudelte, jubelte die Menge. Davor hatten Freiwillige stundenlang den Park mit Wasser, Besen und Reinigungsmitteln geschrubbt und Müll eingesammelt – und das live über www.occupywallstreet.com und andere Webseiten. „Bloomberg soll sich um den Dreck der Wall Street und den Filz in seinem eigenen Bürgermeisteramt kümmern", sagte der 20-jährige Besetzer Miguel Cantaro, während er sich auf einen mitgebrachten Besen lehnte. Selbst mehrere heftige Regenschauer hielten Sympathisanten, aber auch Anwälte des nationalen Anwaltsvereins nicht davon ab, sich dazuzugesellen.

Auch der nationale Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO hatte in der Nacht mit einer Email seine Mitglieder dazu aufgerufen, sich am Freitagmorgen am Park einzufinden, um den bedrängten Demonstranten beizustehen. Der Park dürfte heute morgen zu den saubersten Plätzen von New York zählen. Jetzt erweitert sich der politische Spielraum für Proteste und Aufklärung über den eigentlichen Grund für die Besetzungsaktionen, die sich in den vergangenen vier Wochen in Dutzende von amerikanischen Grossstädten und Hunderten von kleineren Gemeinden ausgedehnt haben: Arbeitslosigkeit, Privatisierungswahn, Verschuldung, Armut und „99 Prozent Bevölkerung versus das eine Prozent Superreiche und Mächtige".

Am heutigen Morgen wollten die New Yorker Demonstranten mit Besen ausgerüstet in Richtung Wall Street ziehen, um „auszumisten". Für den Abend und die Nacht wurden Familien mit Kindern eingeladen, im Park zu übernachten. Und am Samstag sollte zum riesigen „Times Square" gezogen werden, um am weltweiten Protesttag 15. Oktober teilzunehmen.

* Aus neues deutschland, 14.10.2011



Occupy Wall Street Turns Back Eviction Threat

by Mike Hall **

Following a huge and rapid public outcry that included hundreds of thousands of online petition signatures and phone calls to New York City Mayor Michael Bloomberg's office, a threatened clean-up/eviction of Occupy Wall Street protesters was postponed early this morning.

Yesterday afternoon (13 Oct) , Bloomberg said the city would use force if necessary to evict the protesters who have been camped in the privately owned Zuccotti Park for nearly a month. He claimed the action was needed to "clean up" the park and that the protesters would be allowed to return, but under strict rules that in effect would shut down the 24/7 protest against Wall Street greed.

As soon as the threat was made public, MoveOn.org, the AFL-CIO and other progressive groups launched a huge online and e-mail campaign to fight back against the eviction. In just a matter of hours, more than 20,000 people signed an AFL-CIO petition calling on Bloomberg to respect the protesters' First Amendment rights. (Many thanks to everyone who took part!)

Also, New York City Central Labor Council (NYCLC) President Vincent Alvarez met yesterday with Bloomberg and urged the mayor to respect the protesters' rights and allow them to remain in the park.

AFL-CIO President Richard Trumka denounced the threatened closing of the park, saying,

It is clear that what is being threatened in Zuccotti Park is nothing but silencing the voices and stomping out the rights of Americans. The AFL- CIO stands with Occupy Wall Street and the 99 percent of Americans just trying to level the massively unequal playing field.

Representatives from the real estate company that owns the park and Occupy Wall Street met late last night and early this morning and reached an agreement to develop a clean-up plan on their own that would not include forcible eviction. Occupy Wall Streeter Tyler Combelic told CNN:

We're extremely excited. This is an example of what people power can do.

The protesters have been cleaning the park since they began their action and have formed on Occupy Wall Street Sanitation Operation. Says New York City Councilmen Charles Barron:

You want to clean up something? Clean up these crooks on Wall Street.

In other news from Occupy Wall Street, National Nurses United (NNU) will set up a first aid station in Zuccotti Park to provide basic medical assistance to the protestors. RN volunteers from NNU will staff the first aid station. The union says it will set up similar first aid stations in other cities where the protests are growing.

** Source: http://blog.aflcio.org



Putzen gegen Räumung

Aktivisten von »Occupy Wall Street« säubern Park in New York, um gegen ihre drohende Vertreibung zu protestieren. Große Unterstützung für spontane Bewegung

Von Philipp Schläger, New York ***


Nur wenige Tage, nachdem er den Demonstranten suggeriert hatte, im Zuccotti-Park auf unbestimmte Zeit bleiben zu können, verkündete New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg am Mittwoch eine andere Botschaft. Aufgrund der sanitären Bedingungen müsse der Platz im südlichen Manhattan zum Wochenende vorübergehend für Reinigungsteams geräumt werden, forderte er bei einem kurzen Besuch des Protestcamps. Seit vier Wochen demonstrieren Aktivisten der Kampagne »Occupy Wall Street« (OWS, Besetzt Wall Street) im Zuccotti-Park für soziale Gerechtigkeit, Demokratie und eine nachhaltige Umweltpolitik.

Was am 17. September mit einer Aktion von wenigen hundert Demonstranten in unmittelbarer Nähe der New York Stock Exchange, der wichtigsten Börse der USA, begonnen hatte, griff seitdem auf zahlreiche weitere Städte der USA über. Es entstand eine spontane Bewegung, deren Vorbild der »arabische Frühling«, die Zeltstädte der »Empörten« in Spanien und Israel und die sozialen Proteste von Griechenland bis Indien sind. Für den weltweiten Protesttag an diesem Samstag rechnet die Bewegung mit Aktionen in mehr als 800 Städten in 71 Ländern.

Weil die Polizei in New York das Aufbauen von Zelten verboten hat, schützten sich die Aktivisten bislang mit Isomatten, Schlafsäcken und Plastikplanen gegen Regen und niedrige Temperaturen. Nach der für Freitag vorgesehenen Reinigung des Parks sollen nun auch diese nach dem Willen des Parkeigentümers, der Immobiliengesellschaft Brookfield Office Properties, nicht mehr zugelassen werden. OWS sieht deshalb in der Putzaktion und den neuen Regeln den Versuch einer dauerhaften Räumung. Seit Beginn der Aktion haben Putzteams der Demonstranten den Platz sauber gehalten. Am Donnerstag reagierten sie mit einer selbst organisierten, großangelegten Putz- und Verschönerungsaktion auf die drohende Räumung. Überall schrubbten Gruppen den Boden mit Reinigungsmitteln, andere pflanzten Blumen.

In New York versuchte die Polizei, den Protest von Anfang an durch aggressives Vorgehen im Keim zu ersticken. Doch die Massenverhaftungen friedlicher Demonstranten erhöhten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Von Tag zu Tag wuchs die Beteiligung an den Aktionen, Bürger im ganzen Land spendeten Geld, Kleidung und Essen zur Unterstützung der »Occupy«-Aktionen, und Gewerkschaften schlossen sich an. Nach einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage der Rundfunkgesellschaft NBC und des Wall Street Journal findet »Occupy Wall Street« mit 37 Prozent deutlich mehr Zustimmung als die immer noch verhältnismäßig starke, rechtsextreme »Tea Party«-Bewegung, die auf 26 Prozent kommt. Noch deutlicher fiel die Zustimmung in einer weiteren Umfrage des Magazins Time aus. Hier bewerteten sogar 54 Prozent der US-Amerikaner die Aktionen positiv, während sich nur 27 Prozent hinter die »Tea Party« stellten.

»Occupy Wall Street« muß bei den täglichen Demonstrationen auf den engen Fußwegen am Straßenrand bleiben. Das galt sogar für die rund 10000 Menschen, die zu einem gemeinsamen Demonstrationszug mit Gewerkschaften in der vergangenen Woche kamen. Auf das Vorgehen der Polizei reagierten die Demonstranten mit Kreativität und guter Organisation. Das »Volksmikrophon«, bei dem die Zuhörer die Worte des Redners laut wiederholen, ersetzt bei Versammlungen das verbotene Megaphon. Im Park organisieren sie ständig besetzte Infostände, ein Medienzentrum und eine »Volksbibliothek«, eine Kantine, medizinische Versorgung und juristische Betreuung. Um Besuchern den Zugang zu erleichtern, sind Wege mit Klebeband markiert. Der anhaltende Spendenfluß ermöglichte eine zweite Ausgabe der tausendfach verteilten Protestzeitung Occupied Wall Street Journal.

Während die großen Medien und die Politiker die Bewegung zu Beginn entweder völlig ignorierten oder ins Lächerliche zogen, wird ihr Ton nun ernster. US-Präsident Barack Obama und sein Vize Joe Biden äußerten Verständnis für die Bewegung. Rechte Politiker reagierten hingegen mit Angriffen. In seiner Kolumne für das Wall Street Journal bezeichnete der republikanische Stratege Karl Rove die Demonstranten als »verrückt«. Der republikanische Fraktionsführer im Repräsentantenhaus, Eric Cantor, sprach vom »wachsenden Pöbel«.

*** Aus: junge Welt, 15. Oktober 2011


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