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Deutschland bleibt der größte Stationierungsort der USA in Europa

Reaktionen aus dem Auswärtigen Amt auf das neue Stationierungskonzept der USA

Die Ankündigung von US-Präsident Bush, die amerikanischen Truppen in Europa und Asien zum Teil abzuziehen und neu zu gruppieren (vgl. "Bush's Einsatzkonzept", wird in den Medien hier zu Lande relativ breit diskutiert. Dabei spielen Fragen der regionalen Betroffenheit von Standortschließungen eine größere Rolle. Diskutiert wir aber auch über möglicherweise "auftauchende Sicherheitslücken" sowie über das deutsch-amerikanische Verhältnis allgemein.

Auffallend ist die Stille, die uns aus dem Verteidigungsministerium anschreit. Man gibt sich einerseits gelassen, lässt andererseits aber nichts durchschimmern, was nach handfesten Informationen aussehen könnte. Die Website des Ministeriums meldet Fehlanzeige.

Auskunftsfreudiger - jedenfalls was die politische Interpretation des neuen US-Einsatzkonzepts betrifft - zeigt sich dagegen das Auswärtige Amt. Der SPD-Politiker Karsten Voigt äußerte sich in zwei Interviews am 17. und 18. August, die wir im Folgenden dokumentieren. (Quelle für beide Dokumente: www.auswaertiges-amt.de)


"Keine Sicherheitsgefahr durch Abzug von US-Truppen"

Interview von Karsten D.Voigt, Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, mit dem "Deutschlandfunk" am 17.08.2004 (Auszug)

Frage/Durak: Weil die USA Europa und Asien künftig militärisch kaum noch als festen Truppenstandort brauchen, wird die Zahl der amerikanischen Truppen reduziert, also auch in Deutschland. Was vor Monaten schon angekündigt worden war, hat Präsident Bush gestern... präzisiert. Sechzigtausend bis siebzigtausend Militärangehörige und etwa einhunderttausend Zivilangestellte werden in den nächsten zehn Jahren nach Hause geholt.... Herr Voigt, was geht uns Deutschen, was den Amerikanern auf lange Sicht verloren im Zuge dieses Abzuges?

Antwort/Voigt: Natürlich waren die amerikanischen Soldaten, die hier in Deutschland stationiert waren, wenn sie zurückgekehrt sind in die USA gleichzeitig die besten Botschafter für deutsch-amerikanische Beziehungen. Es gibt Umfragen, die zeigen, dass diese amerikanischen Soldaten mit positiven Eindrücken von Deutschland zurückgekehrt sind in die Heimat und dass sie deshalb das Deutschlandbild in den USA auch positiv in der gesamten Nachkriegszeit beeinflusst haben.

Wenn nun die Amerikaner ihre GIs nicht mehr in Deutschland oder Europa haben, verlieren auch diejenigen das Interesse an Europa, an Europa, will fragen, verliert die Weltmacht an Bodenhaftung?

Nein, Deutschland bleibt der größte Stationierungsort der USA in Europa. Die Amerikaner werden gleichzeitig die Stellungen in Europa besonders in Deutschland dazu nutzen, nicht mehr um sich gegen Feinde in Europa zu wehren, die gibt es nämlich nicht mehr, sondern um hier hochbewegliche Einheiten zu haben, die kommen hier neu her, die für Einsätze gedacht sind außerhalb von Europa oder am Rande von Europa. Und gleichzeitig werden sie das Generalkonsulat in Frankfurt weiter ausbauen, um es als Knotenpunkt zu benutzen, für die Versorgung ihrer diplomatischen Einrichtungen in Europa insgesamt. Das wird ein Generalkonsulat mit bis zu tausend Mitarbeitern. Das heißt, insgesamt bleiben die deutsch-amerikanischen Beziehungen auch im militärischen Bereich und im diplomatischen Bereich außerordentlich eng und sehr wichtig, aber sind davon geprägt, dass Deutsche und Amerikaner entweder gemeinsam oder die Amerikaner allein, jetzt Bedrohungen von Europa abhalten, die von außerhalb von Europa kommen.

Es gibt ja Möglichkeiten, die Begegnungen zu fördern, vor allen Dingen mit normalen Leuten und nicht nur mit Eliten wie beispielsweise in diesen Führungsgremien, es gibt Austauschprogramme, Jugendprogramme auch unter den Parlamenten, wie steht es da?

Es gibt kein Land der Welt mit dem Deutschland so viele Austauschprogramme hat wie mit den USA. Das fängt im Schulbereich an und geht bis hin zu Seniorenvereinigungen, das geht von wissenschaftlichen Gruppierungen von Mitarbeitern von Kongressen und als jemand, der doch gut einmal im Monat in den USA ist, kann ich einfach sagen, Deutschland ist das Land, das in Washington nach wie vor über das dichteste Netz aller europäischen Staaten verfügt, im Bezug auf den Kongress, in Bezug auf die think tanks, in Bezug auf gesellschaftliche Einrichtungen. Das wird bleiben. Trotzdem ist der Abzug von Soldaten natürlich ein Verlust, wir bedauern ihn, die amerikanischen Soldaten sind hier willkommen gewesen, aber gleichzeitig ist er Ausdruck eines Erfolges, nämlich des Erfolges, gemeinsam den Kalten Krieg durchgehalten zu haben und die Spaltung Europas beendet zu haben.

Ein Wort noch zum sicherheitspolitischen Aspekt. Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Christian Schmidt sieht die Sicherheit Europas in Gefahr, ist heute in einer Zeitung zu lesen, und er fordert eine deutsch-britische Initiative, um das Militärbündnis, also die Nato, neu auszurichten, weil die Amerikaner abziehen. Übertreibt er?

Da muss man zwei Teile seiner Äußerung trennen. Das eine, die Sicherheit Europas ist nicht in Gefahr, da irrt Herr Schmidt und weil sie nicht in Gefahr ist, können die Amerikaner ihre Truppen in Europa verringern und umstrukturieren, so dass sie für die Gefahrenabwehr von Gefahren außerhalb von Europa dienen. Das zweite, dass man das transatlantische Bündnis dauernd erneuern muss, das ist eine Aufgabe, die sich besonders seit Ende des Kalten Krieges immer wieder aufs neue stellt. Und da hat Herr Schmidt recht, das tut die Nato auch, das tut die Bundesregierung auch, denn es geht darum, dass wir das transatlantische Bündnis nicht mehr pflegen angesichts von Erinnerungen, was wir gemeinsam im Kalten Krieg geleistet haben, sondern dass wir es pflegen und erneuern angesichts der neuen Risiken und Gefahren, die sich für die Gemeinschaft transatlantischer Nationen von außerhalb von Europa jetzt stellen.

In welchem Zustand befinden sich denn die deutsch-amerikanischen Beziehungen derzeit, nach den Irritationen, den bekannten?

Nachdem wir wirklich eine sehr sehr schwierige Phase hatten, die übrigens nicht nur mit Personen zusammenhing, sondern mit tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten in der Sache, sind wir jetzt wieder in einer Phase, die gekennzeichnet ist von sehr engen Konsultationen zum Beispiel über die Lage in Afghanistan und die Lage auf dem Balkan, aber auch über einen intensiven Meinungsaustausch über die Lage im Irak und Nahen und Mittleren Osten insgesamt.

erschienen: Dienstag 17.08.04

"Sicherheitspolitisch kann ich den Schritt nachvollziehen"

Interview von Karsten D. Voigt, Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt, zu Fragen der transatlantischen Beziehungen, "Neue Ruhr Zeitung", 18.08.2004

Frage: Die USA wollen 70.000 Soldaten aus Europa abziehen. Kann die Bundesregierung das auf Deutschland herunter brechen?

Antwort: Die Amerikaner haben noch nicht festgelegt, welche Standorte sie schließen oder verkleinern wollen und nach welchem Schlüssel Soldaten abgezogen werden. Ich rechne damit, dass ungefähr die Hälfte der Truppe hier bleibt.

Bedauern Sie das?

Die Amerikaner waren und sind bei uns willkommen. Die Soldaten und ihre Familien sind die besten Botschafter ihres Landes. Umgekehrt haben sie nach ihrer Rückkehr in die USA meist mit viel Sympathie und Verständnis an Deutschland zurück gedacht. Das ist die psychologische Seite. Aber sicherheitspolitisch kann ich den Schritt nachvollziehen. Nach dem Kalten Krieg werden wir nicht mehr an unseren Grenzen bedroht. Es ist nur folgerichtig, schwere Einheiten abzuziehen. Nebenbei gesagt: Es werden neue Truppen hierher verlagert, leichte einsatzfähige Einheiten.
(...)
Richard Holbrooke, einer der Berater des demokratischen Kandidaten Kerry beklagte, die Abzugspläne seien ein Beweis für den Unilateralismus der Bush-Regierung. Spricht er Ihnen aus der Seele?

In diesem Fall nicht. Es hat eine sehr enge Konsultation gegeben, zum Teil auch mit den betroffenen Bundesländern. Grundsätzlich freue ich mich immer, wenn US-Politiker für mehr Multilateralismus eintreten. So hat Bush als Kandidat auch geredet und Clinton dafür gescholten, dass er die Verbündeten nicht genug eingebunden habe. Ich würde mich noch mehr freuen, wenn die betreffenden Politiker sich an die Worte erinnern, wenn sie an die Regierung kommen.

Würde es bei einer Wahl Kerrys zu einer Kehrtwende in der Außenpolitik kommen?

Er würde andere Akzente setzen. Von einer Kehrtwende gehe ich aber nicht aus. Das ergibt sich schon daraus, dass er zwar das Krisenmanagement im Irak kritisiert hat, selber aber für den Krieg gestimmt hat.

Er wäre also kein einfacher Partner für die Europäer?

Das weiß man erst in der gegebenen Situation. Fakt ist, dass er auf Europa mehr hören will aber auch ein stärkeres Engagement der europäischen Verbündeten im Irak fordert.

Wäre es schwerer, Kerry einen Korb zu erteilen?

Die Bundesregierung hat in der Irak-Frage keine taktische Position gegen die Bush-Regierung eingenommen. Deshalb bleiben wir bei unserer Haltung; ganz gleich, wer Präsident wird.

Kerry hat in Europa gelebt. Er müsste uns kulturell näher stehen. Spielt das eine Rolle?

Bush ist jemand aus dem Süden der USA, der in vielen seiner Äußerungen nicht nur Europäer, sondern genauso manche Amerikaner befremdet. Diese kulturellen Unterschiede zwischen den konservativen religiösen Teilen des Südens und den Liberalen an der Ost- und Westküste sind ja auch in Amerika ein Gegensatz und Teil des Wahlkampfes. Es ist gar keine Frage, dass sich viele Europäer - spontan - leichter mit Kerry als mit Bush identifizieren. Aber wir tun dennoch gut daran, uns nicht nur um die Teile der USA zu bemühen, die so ähnlich denken, empfinden und sprechen wie wir.

Teilen Sie den Eindruck, dass die Europäer sich mehrheitlich einen Präsidenten Kerry wünschen?

Das ist so. Das hat was mit kulturellen Unterschieden, aber auch mit dem Irak-Krieg zu tun. Aber die Regierungen halten sich heraus, was ich klug finde.

Was wäre ökonomisch von Kerry zu erwarten?

Beim Umweltschutz und in Fragen der Sozialpolitik würden sich die Demokraten leichter mit den Europäern verständigen.

Und in Handelsfragen?

In Handelsfragen ist es zumindest mit Teilen der demokratischen Partei schwieriger, überein zu kommen. Da gibt es einen unverkennbaren Hang zum Protektionismus. Da sind die Republikaner für einen offenen Welthandel leichter zu gewinnen.

Das heißt: Kerry würde gegenüber der EU robuster auftreten?

Bush hat eine Zeitlang mit Zöllen auf Stahlerzeugnisse auch Protektionismus betrieben. Ich kenne keine US-Regierung, die nicht mit Macht und Nachdruck ihre Interessen vertreten würde.

Erschienen: Mittwoch 18.08.04


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