"Das neue globale Einsatzkonzept der Vereinigten Staaten wird unser Militär stärken"
Kontrovers: US-Truppenverlagerungen und -umstrukturierungen aus militärischer und aus friedenspolitischer Sicht
Am 16. August 2004 hat US-Präsident Bush ein weltweites Truppenumstrukturierungskonzept verkündet (vgl. "Bush gibt größte Streitkräftereform seit 50 Jahren bekannt"). Deren Auswirkungen sind auch für die Bundesrepublik Deutschland spürbar. Auch wenn die letzten Einzelheiten noch nicht feststehen, muss mit einem Rückzug von ca. 70.000 US-Soldaten aus Deutschland gerechnet werden.
Im Folgenden dokumentieren wir:-
Erläuternde Bemerkungen zu Bush's Konzept von Douglas J. Feith, Staatssekretär im US-Verteidigungsministerium,
-
eine Analyse von Jürgen Wagner, IMI e.V. Tübingen, aus europäischer und friedenspolitischer Sicht.
Eine sinnvollere Einsatzweise unserer Truppen
von Douglas J. Feith
Nachfolgend veröffentlichen wir einen Namensartikel von Douglas J. Feith, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, der zunächst in der Washington Post vom 19. August 2004 erschien. Die Übersetzung stammt vom Amerika Dienst.
Das von Präsident Bush am Montag verkündete neue globale Einsatzkonzept der Vereinigten Staaten wird unser Militär und unsere Bündnisse stärken und das Leben unserer Militärangehörigen erleichtern.
Unser neues Einsatzkonzept ermöglicht uns die kurzfristige, rasche Stationierung fähiger Streitkräfte überall auf der Welt. So werden mehr militärische Fähigkeiten freigesetzt, während 60.000 bis 70.000 Militärangehörige von Stützpunkten im Ausland in die Vereinigten Staaten zurückverlegt werden. Die Truppenpräsenz der Vereinigten Staaten im Ausland wird verringert, weit verstreute Einrichtungen werden zusammengelegt, Missstände in unseren Beziehungen mit den Gastländern werden beseitigt und in vielerlei Hinsicht wird es für die Vereinigten Staaten leichter, mit Bündnispartnern und Freunden positiv an militärischen Einsätzen zu arbeiten - auszubilden und zu operieren, militärische Doktrin und Taktik zu entwickeln und neue militärische Technologien mit ihnen zu nutzen.
Das neue Einsatzkonzept erkennt (endlich) an, dass der Kalte Krieg beendet ist. Es berücksichtigt voraussichtliche neue Bedrohungen. Es erkennt neue strategische Fakten an, einschließlich der Aufnahme ehemaliger Nationen des Warschauer Pakts in die NATO. Und es macht sich neue Technologien zu Nutze.
Im Kalten Krieg ging man davon aus, dass unsere ins Ausland entsandten Truppen dort kämpfen würden, wo sie stationiert waren. Davon gehen wir nun nicht mehr aus. Wir können nicht vorhersagen, wo genau unsere Streitkräfte eingesetzt werden müssen, deshalb müssen sie mobil genug sein - leicht und rasch dislozierbar - um kurzfristig überallhin entsandt zu werden. Flexible und schnelle Streitkräfte haben im Kampf leichter Erfolg, und sie können dazu beitragen zu verhindern, dass aus Problemen Krisen und aus Krisen Kriege werden.
Das jetzige US-Einsatzkonzept, ein Vermächtnis des Zweiten Weltkriegs und des Koreakriegs, sieht viele falsche Truppenarten an den falschen Orten vor und stellt deshalb eine teure Belastung der Fähigkeiten der Vereinigten Staaten und ihrer Bündnispartner dar. Es wäre ein Sieg der Trägheit über die strategische Rationalität, beispielsweise zwei schwere US-Divisionen zur Abwehr eines Angriffs der Roten Armee in Deutschland zu belassen, obwohl diese glücklicherweise seit 12 Jahren keine Bedrohung mehr darstellt.
Die schweren aus Europa zurückverlegten Truppen werden Platz für leichtere, rascher dislozierbare, technologisch fortgeschrittenere Truppen machen. Wie unsere Bündnispartner wissen, bedeuten schlankere Streitkräfte nicht unbedingt weniger Kampfkraft. Im Gegenteil - relativ kleine Streitkräfte, die beispielsweise mit den neuesten Präzisionswaffen ausgestattet sind, verfügen nun über mehr Schlagkraft. Sehen Sie sich die Hauptkampfhandlungen der Operation Iraqi Freedom im letzten Jahr an.
Auch die Veränderung bei den in Ostasien stationierten US-Truppen folgen einer zwingenden Logik. Südkorea, beispielsweise, ist in den letzten 50 Jahren aufgeblüht. Teils dank unseres Bündnisses ist es eine starke, demokratische und vermögende Macht, ein weitaus fähigerer Bündnispartner, als es während und gleich nach dem Koreakrieg war. Zur Unterstützung der Abschreckungsfunktion und zur Erhaltung der grundlegenden Bedeutung unseres Bündnisses aktualisieren wir die Verteilung der Verantwortung. Wir beseitigen einen Dorn im Auge Südkoreas, indem wir ein US-Hauptquartier aus der Innenstadt von Seoul verlegen. Wir verlegen die US-Truppen auf der koreanischen Halbinsel südwärts, außerhalb der Reichweite der nordkoreanischen Artillerie, und legen sie in effizienteren Stützpunkten zusammen. Wir verbessern unsere See- und Luftschlagkraft in der Region und verlagern hochtechnologische Bodenfähigkeiten nach Südkorea.
All das bedeutet, dass wir besser in der Lage sein werden, Bedrohungen in der Region zu begegnen - durch Nordkorea oder jeden anderen - obwohl wir Truppen von Korea nach Hause zurückverlegen. Unsere koreanischen Bündnispartner erkennen die Klugheit unserer Maßnahmen. Sie wissen, dass dies der Schlüssel zur Erhaltung des Bündnisses für die nächsten 50 Jahre ist.
In dieser politischen Zeit war es unvermeidbar, dass uns einige Kritiker "Unilateralismus" vorwerfen. Aber der Vorwurf verdreht die Sachlage. Die Änderung des Einsatzkonzeptes garantiert die Fähigkeit und Nützlichkeit der Bündnisse mit den Vereinigten Staaten weit in die Zukunft hinein. Solche Änderungen nicht vorzunehmen, könnte unsere Verteidigungspartnerschaften zur Bedeutungslosigkeit verurteilen. Wir wollen unsere Bündnisse erhalten, aber nicht um jeden Preis.
Wir sind uns durchaus bewusst, dass es durch die Veränderungen zu Verlagerungen kommen wird, aber unsere Bündnispartner haben Unterstützung und sogar Begeisterung für die Umstrukturierung gezeigt. Sie wissen, dass das Engagement der Vereinigten Staaten nicht an Truppenzahlen gemessen wird, sondern an Fähigkeiten - denen unserer Streitkräfte in der Region und der rasch dislozierbaren Streitkräfte.
Ein weiterer Vorteil dieser Umstrukturierung wird die Verbesserung der Lebensqualität der Militärangehörigen und ihrer Familien sein. Versetzungen ins Ausland mit Familie sind kein Bonus, wenn der Militärangehörige seine Familie zurücklassen muss, weil er an einen anderen Ort entsandt wird. Zurzeit müssen beispielsweise die Familien von in Europa stationierten Soldaten, die in den Irak oder nach Afghanistan entsandt wurden, eine zweifache Trennung bewältigen: die von ihren entsandten Ehegatten und die von ihrer Familie in den Vereinigten Staaten.
In der mehr als dreijährigen Planung zur Neuorientierung des Einsatzkonzeptes wurden die besten militärischen Ratschläge von US-Befehlshabern, den Vereinigten Stabschefs sowie Vorschläge unserer Verbündeten und Partner auf der ganzen Welt - die in eingehenden, hochrangigen Konsultationen gemacht wurden - und von wichtigen Mitgliedern des Kongresses berücksichtigt. Der Standardkommentar der über die Umstrukturierung Informierten war: Die Vereinigten Staaten hätten dies schon vor langer Zeit tun sollen.
Originaltext: Byliner: Stationing of U.S. Troops Will Focus on New Threats
(siehe http://usinfo.state.gov)
Von Jürgen Wagner*
Bereits kurz nach Amtsantritt erteilte US-Präsident George W. Bush
seinem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld den Auftrag, das
US-amerikanische Militär einer umfangreichen Umstrukturierung zu
unterziehen. Seine Vorgaben, was damit erreicht werden sollte, waren
recht unmissverständlich: Es solle künftig "schneller" und damit
"leichter einsetzbar" sein, sowie insgesamt "präziser" und damit
letztlich auch "tödlicher" werden.[1]
Die seither in Planung befindlichen und teils bereits begonnenen
"umfangreichsten Änderungen der amerikanischen
Truppenzusammensetzung im Ausland im letzten halben Jahrhundert"[2]
wurden nun von Bush am 16. August in einer Rede vor Veteranen in
Cincinnati auch offiziell verkündet: "Im nächsten Jahrzehnt
werden wir eine schnellere und flexiblere Truppe einsetzen, was
bedeutet, dass mehr unserer Truppen zu Hause stationiert sein werden.
Wir werden einige unserer Truppen und Kapazitäten an neuen Orten
stationieren damit sie schnell gegen unerwartete Gefahren angehen
können."[3]
Insgesamt sollen 60-70.000 Soldaten, größtenteils aus Deutschland,
in die USA zurückbeordert werden. Gegenwärtigen Planungen
zufolge werden ab 2006 zwei Divisionen, die 1. US-Panzerdivision mit
Sitz in Wiesbaden und die 1. Infanteriedivision in Würzburg sowie
mehrere Unterstützungseinheiten in die USA zurückverlegt. Obwohl
hiermit von den ca. 70.000 in Deutschland stationierten US-Soldaten
etwa 30.000 abgezogen werden, ist dies leider kein Grund zum Feiern.
Denn beide Divisionen sind aufgrund ihrer schweren Bewaffnung und
langen Verlegungszeiten strukturell nicht für die von der
US-Regierung anvisierten globalen Interventionskriege geeignet.
Deswegen werden sie auch keineswegs ersatzlos gestrichen, sondern
durch drei schnell stationierbare und hochflexible Brigaden mit
jeweils zwischen 3.000 und 5.000 Soldaten ersetzt, die hierfür
weitaus besser vorbereitet sind. Dabei handelt es sich um eine Panzer-
und eine Fallschirmbrigade, sowie eine noch nicht näher spezifizierte
Einheit.[4]
Obwohl auch andere Motive eine Rolle gespielt haben dürften, geht
es Washington im Wesentlichen darum, die Tauglichkeit der
amerikanischen Truppen in Europa und anderswo für die
Präventivkriegsstrategie der Bush-Doktrin zu erhöhen.
Hintergrund ist die Absicht, das US-Militär künftig als
"Systemadministrator" und Stabilitätsgarant des neoliberalen
Systems fungieren zu lassen, weshalb Markus Pflüger von der Trierer
Arbeitsgemeinschaft Frieden richtigerweise betont: "Die aktuelle
Umstrukturierung des US-Militärsist leider keine Abrüstung,
sondern eine qualitative Aufrüstung hin zu flexibleren Strukturen für
weitere weltweite Kriegseinsätze."[5]
Das US-Militär als "Systemadministrator"
Der gegenwärtig einflussreichste Vordenker US-amerikanischer
Militärplanung ist der Pentagon-Berater und Professor am Naval War
College, Thomas P. Barnett. Er vertritt, analog zur amerikanischen
Sicherheitsstrategie, die Auffassung, die größte Bedrohung für
die Vereinigten Staaten gehe von einer so genannten Bedrohungstriade,
bestehend aus der Zunahme des Terrorismus, der Verbreitung von
Massenvernichtungsmitteln und dem Scheitern staatlicher Systeme aus.
Diese Gefahren würden überall dort auftreten, wo sich Länder
westlichen Ordnungsvorstellungen widersetzen. Deshalb sei es die
Aufgabe des US-Militärs, der "Nichtintegrierten Lücke", den
Staaten, die sich nicht in das Schema neoliberaler Globalisierung
einpassen (lassen), zu verdeutlichen, dass die USA nicht gewillt sind,
dies zu tolerieren: "Verliert ein Land gegen die Globalisierung oder
weist es viele Globalisierungsfortschritte zurück, besteht eine
ungleich höhere Chance, dass die Vereinigten Staaten irgendwann
Truppen entsenden werden. [...] Umgekehrt gilt: Funktioniert ein Land
halbwegs im Rahmen der Globalisierung, dann sehen wir in der Regel
keine Veranlassung, unsere Truppen zu schicken, um für Ordnung zu
sorgen, oder eine Bedrohung zu beseitigen."[6]
Sein Vorgesetzter Arthur Cebrowski, der von Verteidigungsminister
Rumsfeld als Chef des Office of Force Transformation mit der
Umstrukturierung des amerikanischen Militärs beauftragt wurde, wird
hierzu noch deutlicher und zeigt, dass diese Bedrohungsanalyse direkt
in die amerikanische Militärplanung einfließt: "Es gibt viele
Nationen, die innerhalb der Globalisierung funktionieren. Das sind die
Staaten, die die Regeln akzeptieren", so Cebrowski. "Wer die
Globalisierung bekämpft, wer die Regeln zurückweist [...] wird
möglicherweise das Interesse des amerikanischen
Verteidigungsministeriums auf sich ziehen." Für ihn müsse das
US-Militär folgerichtig künftig als "Systemadministrator" der
Globalisierung fungieren.[7] Die Aufgabe der USA sei es, so Barnett
und Cebrowski in einem gemeinsamen Artikel, als "militärischer
Leviathan" den Regeln der Globalisierung, von ihnen auf die
neoliberale Grundformel "Demokratie und freie Märkte" reduziert,
Geltung zu verschaffen.[8] Konsequenterweise sind amerikanische
Soldaten für Cebrowski "Erzwinger" (enforcer), die "die Normen
internationalen Verhaltens durchsetzen."[9]
Dass sich bei genauerer Betrachtung der Großteil der Welt innerhalb
von Barnetts "Lücke" wieder findet, zeigt buchstäblich die
Beschränktheit dieses Weltbildes. Dennoch ist Formel von der
Nichtintegrierten Lücke inzwischen integraler Bestandteil
sämtlicher amerikanischer Strategiedokumente. So gibt bspws. die
Nationale Militärstrategie vom Juni 2004 an: "Es gibt einen
Krisenbogen der Instabilität, der sich von der westlichen
Hemisphäre durch Afrika und den Mittleren Osten bis nach Asien
erstreckt. Dort gibt es Regionen die Brutstätten für die
Gefährdung unserer Interessen sind."[10] Dabei geht es eben nicht nur
um die Kontrolle wichtiger Ressourcen, obwohl diese eine wichtige
Triebfeder amerikanischer Militärpolitik darstellt. Wer ernsthaft den
Anspruch auf die Führung der Welt erheben will, muss für die
Stabilität der dieser Hegemonie zugrunde liegenden Ordnung - das
neoliberale Wirtschaftssystem - sorgen. In gleichem Maße, wie die von
diesem System permanent produzierte Konflikte und Krisen immer weiter
zunehmen, erhöht sich auch die Notwendigkeit, immer schneller und
häufiger militärisch auf Konflikte in den Grauzonen der
Globalisierung zu reagieren.
"Alles geht überall hin"
Das Ziel, die von den USA aufoktroyierte neoliberale
Weltwirtschaftsordnung durchzusetzen und abzusichern, bestimmt
demzufolge auch die gegenwärtige Transformation der
US-Streitkräfte.
Hierfür ist das bisherige amerikanische Stationierungskonzept aber
nur bedingt geeignet, wie ein Papier der Bush-nahen Heritage
Foundation ausführt: "Kleinere Basen werden die Mobilität und
strategische Agilität der amerikanischen Truppen fördern.
Kleine Basen und rotierende Truppen werden aufgrund ihrer ureigensten
Natur zu der leichteren und mobileren Truppe führen, auf die es das
Pentagon abgesehen hat."[11] Der nun angekündigte Abzug schwerer
Panzer- und Infanteriedivisionen zugunsten kleinerer und schnellerer -
interventionstauglicherer - Brigaden aus Deutschland, folgt exakt
dieser Logik.
So wird Deutschland künftig eine Doppelfunktion einnehmen.
Einerseits dient es als Sprungbrett amerikanischer Brigaden, die von
dort in künftige Kriege ziehen werden, andererseits fungieren die
amerikanischen Flughäfen in Deutschland als zentrale logistische
Drehscheibe für das im Einsatz befindliche und näher an
Konfliktgebieten stationierte US-Militär. Ohne diese
Drehscheibenfunktion, so ein Bericht des US-Kongresses, sähe sich
das Pentagon kaum in der Lage, die komplizierte Logistik für diese
Truppen zu gewährleisten.[12]
Grundsätzlich beabsichtigt Washington künftig seine Truppen so
nah wie möglich an potenziellen Einsatzorten zu stationieren. Damit
wurde bereits im Rahmen des "Kriegs gegen den Terror" begonnen, indem
sich seither US-amerikanisches Militär erstmals in Zentralasien
(Usbekistan) und im Kaukasus (Militärberater in Georgien)
festgesetzt hat. Zudem wurde die Präsenz sowohl in Afghanistan, und
natürlich im Irak, sowie in anderen Ländern des Mittleren
Ostens und Teilen Ostasiens massiv ausgeweitet.
Neben der Errichtung großer Basen (Main Operating Sites - MOB) wie
etwa denen im Irak, werden künftig zahlreiche kleinere
Militärbasen, so genannte "lily pads", eine immer größere Rolle
spielen. Einer hohen Pentagonquelle zufolge sei es dass Ziel, "ein
Netzwerk kleiner Basen" zu errichten, die "als Sprungbrett dienen,
US-Militär schnell und heimlich in künftige Konfliktgebiete
verlagern zu können."[13]
Diese Basen verfügen über eine geringe Besetzung, aber
ausreichend Kapazitäten für einen schnellen Ausbau im
Bedarfsfall, weshalb sich hierfür Häfen und Flughäfen besonders
eignen. Derzeit plant das Pentagon bspws. sechs solcher Basen in
Afrika zu errichten. Sie sollen dem für Afrika zuständigen
Regionalkommando EUCOM die Infrastruktur für die Durchführung
schneller Kampfeinsätze (Rapid Decisive Operations, RDOs)
bereitstellen. Laut Military Review, dem Magazin der US-Army, sind
"Situationen, in denen die US-Truppen zu
RDOs in der Lage sein müssen,…mögliche Präventivkriege
gegen Staaten mit Massenvernichtungsmitteln, sowie der mögliche
Bedarf umfangreiche, tödliche Armeekräfte in Westafrika zum Schutz der
Ölressourcen in dieser Region einzusetzen."[14] Die lily pads
sollen es Washington also ermöglichen seine in Europa stationierten
Truppen im Bedarfsfall deutlich schneller vor Ort einsetzen zu
können als bisher. Der Abzug der schweren Panzer- und
Infanteriedivisionen folgt auch hier der amerikanischen
Interventionslogik und hat selbstredend nichts mit Abrüstung gemein.
"Alles geht überall hin" fasst Douglas Feith, Nummer drei im
Pentagon, die amerikanischen Pläne zusammen.[15] Entscheidend ist
die aggressiv-interventionistische Stoßrichtung die sich hinter dem
Ganzen verbirgt: "Die strategische Funktion der Basen ändert sich
damit fundamental. Sie besteht nicht mehr darin, das Gastland zu
verteidigen, sondern die Standorte dienen als Sprungbrett für
Militärinterventionen in Drittländern.[...] Die neuen Kasernen
und die darin untergebrachten hochmobilen Kampfeinheiten sind der
omnipräsente Ausdruck für die interventionistische
Bush-Doktrin."[16]
Unterstützung für das "neue Europa"
Ein Teil der amerikanischen Truppen wird künftig auch in Osteuropa
stationiert werden. Dass diese Gebiete etwas näher an möglichen
Einsatzorten gelegen sind, dürfte aber sicher nicht der Hauptgrund
hierfür sein.
Vielmehr sollen die osteuropäischen Staaten für ihre
Unterstützung des Irak-Krieges belohnt werden. Zumal dort weniger
Umweltauflagen das Treiben der Truppen behindern und sich die Kosten
der Verlagerung aufgrund noch vorhandener sowjetischer Installationen
in Grenzen halten dürften. Darüber hinaus ist es ein weiterer
Schachzug in der Auseinandersetzung mit dem "alten Europa", wer
künftig in Osteuropa das sagen haben wird. EU-Außenkommissar
Chris van Patten machte diesen Konflikt überdeutlich, indem er "die
USA daran erinnerte, dass Osteuropa der 'Hinterhof der EU' sei."[17]
Mit der Stationierung amerikanischer Truppen in Osteuropa untermauert
Washington seinen Anspruch als dortiger Schutzmacht gegenüber dem
Deutschlands und Frankreichs.
Wahlkampftaktik und Ökonomie der Truppenstationierungen
Interessant sind Ort und Zeit der verkündeten Abzugspläne. Wie
von anonymen Armeequellen bestätigt wurde, dürfte Fort Carson,
der Ort an dem Bush die neuen Pläne verkündete, einen
Großteil der rückkehrenden Truppen aufnehmen. Da hiermit auch
erhebliche finanzielle Vorteile für die ganze Region einhergehen,
dürfte es kein Zufall sein, dass Fort Carson in Ohio liegt, einem der
mit Hinblick auf die anstehenden US-Wahlen im November zwischen Bush
und seinem demokratischen Herausforderer John Kerry am heftigsten
umkämpften Staaten.[18]
Insgesamt spielen ökonomische Erwägungen eine zentrale Rolle in
dem neuen Stationierungskonzept. Ziel ist es mehr Ressourcen und
Personal für künftige amerikanische Kriege freimachen zu
können. Dies wird durch bisherigen Struktur verhindert, wie die
Heritage Foundation beklagt: "Amerikas europäische Basen
beherbergen über 116.000 Soldaten, 125.000 Angehörige und 45.000 Mann
zur logistischen Unterstützung. Weil die Truppen auf diesen Basen auf
Jahre hinaus statt auf einer Rotationsbasis stationiert sind, ist
diese riesige zivile Ergänzung notwendig. Aber sie bedeutet, dass
die US-Regierung die Unterstützung Tausender von Zivilisten
gewährleisten muss."
Die Truppen der lily pads hingegen sollen bis auf eine kleine
Stammbesetzung alle sechs Monate ausgewechselt werden, Angehörige
und ziviles Unterstützungspersonal können damit drastisch
reduziert werden. Inwieweit dies auch für die immer noch
umfangreichen europäischen Basen möglich sein wird ist noch offen.
Überlegungen die 37.000 in Korea stationierten Truppen zu
reduzieren und auf Rotationsbasis umzustellen, könnten dennoch in
eine solche Richtung deuten. Nicht zuletzt die Schwierigkeiten genug
Soldaten für den Einsatz im Irak bereitzustellen, unterstreicht aus
Sicht des US-Militärs die Notwendigkeit des neuen
Stationierungskonzepts:
"Entscheidend ist, dass die operationelle Neustrukturierung einige der
schwerwiegendsten personellen Fragen, die augenblicklich die Truppe
einschränken, abmildern sollen. Sinkende Unterstützungsanforderungen
werden mehr Truppen für Kampfmissionen freisetzen."[19]
Deutschland als Komplize neoliberaler Kriegsambitionen
Insgesamt muss man diesen Plänen bescheinigen, dass sie - immanent
gedacht - durchaus Sinn machen. Sie sind die logische Schlussfolgerung
aus den Bedrohungsanalysen von Barnett und Cebrowski. Da beide in der
Weigerung, den Spielregeln neoliberaler Globalisierung zu gehorchen,
die Ursachen für das Scheitern von Staaten und das Anwachsen des
Terrorismus erblicken, wird die militärische Verbreitung und
Absicherung dieses Systems zu einem sicherheitspolitischen Imperativ:
"Solange wir nicht mit der systematischen, auf Dauer angelegten
Ausfuhr von Sicherheit in die Lücke beginnen, so lange wird die
Lücke in Form von Terrorismus und anderen Erschütterungen
zunehmend in den Kern exportieren."[20] Mit dieser Bedrohungsanalyse,
nebst den sicherheits- und militärpolitischen Schlussfolgerungen,
werden aber Ursache und Wirkung auf perfide Art und Weise verdreht. So
kommen bspws. neue Weltbankstudien zu dem Ergebnis, dass
Neoliberalismus Ursache und nicht Lösung vieler Probleme ist. Denn
die mit ihm einhergehende Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung
stellt laut Weltbank die wichtigste Ursache von Konflikten in der
Dritten Welt dar.[21] Diese Konflikte verursachen das Scheitern von
Staaten und schaffen damit Rückzugs- und Rekrutierungsgebiete
für Terroristen.
Armutsbekämpfung statt Interventionismus sollte also die
sicherheitspolitische Schlussfolgerung lauten.
Wer allerdings aber auf die Ausbeutung der Dritten Welt nicht
verzichten will, der ist tatsächlich gezwungen, die hierdurch
verursachten Konflikte mit immer mehr militärischen Kräften auf
möglichst niedrigem Niveau zu halten. Diese Entscheidung ist
gemeint, wenn man vom US-Militär als "Systemadministrator" spricht.
Sie stellt darüber hinaus auch gleichzeitig - allen Rivalitäten
zum trotz - einen Interessenverbund zwischen Europa und den USA dar,
die beide ein Interesse haben sich auch künftig auf Kosten des
Südens schamlos zu bereichern. Ein Kommentar des Deutschlandfunks
schreibt hierzu: "Spekulationen, der Truppenabzug habe auch mit
Schröders Weigerung zu tun, sich der ‚Koalition der Willigen'
anzuschließen und im Irak einzumarschieren, sind ebenso abwegig wie
die Furcht, hier werde der Sargnagel der deutsch-amerikanischen
Freundschaft geschmiedet. Diese Freundschaft ruhte auf dem Dank der
Deutschen für das Verhalten der Vereinigten Staaten nach dem
Zweiten Weltkrieg. Ohne Amerika, soviel ist sicher, gebe es nicht die
freie und soziale Bundesrepublik, in der wir heute leben. Dank aber
nutzt ab, zwischen Menschen wie zwischen Staaten. Langsam und stetig
weicht er seit Jahren einem Interessenverbund - unabhängig davon wer
in Bonn, Berlin oder Washington regiert. Dieser Interessenverbund wird
von Bushs gestriger Entscheidung nicht berührt. An der Geographie
ändert sich nichts, und von hier aus ist man weitaus schneller in
Mittelasien, als von Amerika aus. Washington plant deshalb die
Stationierung einer mobilen Eingreiftruppe in Deutschland:
Militärisch ist dies bedeutsamer als Heeresdivisionen, deren Panzer
vor sich hinrosten, und deren Soldaten ohnehin im Irak kämpfen. Auch
wenn der Blick über die Kirchturmspitze hinaus schwer fällt: Die
Entscheidung des Präsidenten ist zu begrüßen.
Sie hilft seinen Soldaten, die, das sollten wir nicht vergessen, oft
genug für Europa die Arbeit verrichten."[22] Deutlicher kann man es
nicht formulieren, dass Deutschland sich mit der fortgesetzten
Stationierung amerikanischer Truppen weiterhin willentlich zum
Komplizen der amerikanischen Interventionskriege macht. Die nun
verkündete Umstrukturierung des US-Militärs soll diesen
faustischen Pakt lediglich effektivieren.
Fußnoten
-
Paul Wolfowitz, Thinking About the Imperatives of Defense
Transformation, Heritage Lectures, 30.04.04.
-
Kurt M. Campbell/Celeste Ward, New Battle Stations?, in: Foreign
Affairs, Vol. 82, No. 5, September/October 2003, S. 95-103, S. 95.
- President's Remarks to Veterans of Foreign Wars Convention. For
Immediate Release Office of the Press Secretary, 16.04.04.
- Vgl. US-Armeereform bringt auch neue Truppen nach Deutschland,
Reuters, 19.08.04.
- Markus Pflüger, Teilabzug ist zu wenig, URL:
http://www.imi-online.de/2004.php3?id=1022.
- Thomas Barnett, Die neue Weltkarte des Pentagon, in: Blätter
für deutsche und internationale Politik, 5/2003, S. 554-564.
- Arthur Cebrowski, Speech to the Heritage Foundation, 13.5.2003,
http://www.defensedaily.com/reports/cebrowski.pdf , S. 2; Cebrowski
gab an, die Umstrukturierung des US-Militärs basiere "primär
auf der Arbeit meines Assistenten für strategische Zukunft, Dr. Tom
Barnett." Ebd., S. 1.
- Arthur Cebrowski/Thomas Barnett, The American Way of War, in:
Department of Defense: Trends in Transformation, 13.1.2003, S. 2.
- Mark Mazetti, Pax Americana: Dispatched to distant outposts, in:
U.S. News & World Report,0 6.10.2003.
- National Military Strategy of the United States of America 2004,
Joint Chiefs of Staff, June 2004; siehe bspws. auch den Quadrennial
Defense Review vom September 2001, S. 30, eines der wichtigsten
Planungsdokumente des US-Militärs. Dort ist die Rede von "einem
breiten Instabilitätsbogen, der sich vom Mittleren Osten nach
Nordostasien erstreckt. Das Gebiet enthält einen brisanten Mix aus
aufsteigenden und niedergehenden Regionalmächten. Die Regierungen
einiger dieser Staaten sind anfällig für Umstürze durch
radikale oder extremistische interne politische Kräfte oder
Bewegungen. Viele von diesen Staaten unterhalten große
Streitkräfte und besitzen die Fähigkeit an Massenvernichtungsmittel zu
gelangen."
- Jack Spencer, Principles for Restructuring America's Global
Military Infrastructure, Heritage Foundation Web Memo‚ No. 554,
16.08.04.
- MILITARY READINESS: Effects of a U.S. Military Presence in Europe
on Mobility Requirements, United States General Accounting Office,
Report to Congress, November 2001.
- Ralph A Cossa, US military in East Asia: Winds of change, Asia
Times, 04.06.03.
- Brian J. Dunn, Transforming USAREUR for a Strategy of Preemption,
in: Military Review, November -December 2003, S. 15-20, S. 20.
- Cossa aaO.
- Gerhard Piper, US-Kasernen auf Wanderschaft, in: ami, 7-8/2003,
S. 47-56, S. 55f.
- Mary Brennan, European Security - Choices, Threats and
Opportunities, in: Labor Focus on Eastern Europe 65/2000, S. 19-41,
S. 33.
- Tom Roeder, Troop shift may give Carson a boost, The Gazette,
17.08.04.
- Spencer aaO.
- Barnett aaO.
- World Bank, Breaking the Conflict Trap: Civil War and Development
Policy, Oxford 2003. Vgl. hierzu ausführlich Claudia Haydt u.a.,
Globalisierung und Krieg, Hamburg 2003, S. 7-25.
- Michael Groth, Kommentar: Der Truppenabzug, Deutschlandfunk,
17.08.04.
22.8.2004
* Den Beitrag haben wir der Homepage der Informationsstelle Militarisierung IMI e.V. entnommen:http://imi-online.de/2004.php3?id=1023
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