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Teure Henker in der Wirtschaftskrise

Debatte um Todesstrafe in den USA

Von John Dyer, Boston *

Die Zahl der Hinrichtungen in den USA ist in diesem Jahr gestiegen, aber die der neuen Todesstrafen hat ein historisches Tief erreicht.

Die wirtschaftlich schwierigen Zeiten haben sogar Auswirkungen auf die Todeszellen in US-amerikanischen Gefängnissen. Die Vorkehrungen für Exekutionen werden angesichts der knappen Finanzmittel vielerorts zurückgefahren. Und es werden auch weniger Todesstrafen von den Gerichten verhängt. Die Urteile mit der Höchststrafe haben den niedrigsten Stand seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 erreicht. »Die Politiker haben es schwer, die Entlassung von Lehrern und Polizisten zu rechtfertigen und auf der anderen Seite ein ganzes System zur Durchführung der Todesstrafe aufrechterhalten«, heißt es in einem jetzt veröffentlichten Bericht des Todesstrafen-Informationszentrums in Washington, das sich für die Abschaffung einsetzt.

»Es gibt einfach Dinge, die man besser erkennt, wenn man eine Wirtschaftskrise durchmacht«, erklärte Richard Dieter, der Direktor des Zentrums. Dagegen sagte Paul Ebert, ein Staatsanwalt aus den schon zur Virginia gehörenden Vororten von Washington, er werde auch weiterhin die Todesstrafe beantragen. Allerdings schreckten einige seiner Kollegen in anderen Teilen des Bundesstaates davor zurück, weil sie nicht die Mittel hätten, um die oft langwierigen Berufungsverhandlungen durchzuführen. »Sie haben einfach nicht genügend Personal dafür«, sagte Ebert.

Andere Experten führen den Rückgang an Todesstrafen auf generell sinkende Kriminalitätsraten in den USA zurück. Man frage sich in der Gesellschaft, ob diese Höchststrafe und die Exekutionen wirklich notwendig seien, um Kriminelle abzuschrecken. »Die öffentliche Unterstützung für harte Strafen nimmt zu, wenn sich die Menschen unsicher fühlen, und sie nimmt ab, wenn sie sich sicher fühlen«, erklärt Professor Richard Bonnie von der Universität Virginia. Er habe »das Gefühl, dass sich die Sorgen der Menschen um ihre Sicherheit mehr auf den Terrorismus richten als auf die gewöhnliche Kriminalität«.

In den USA werden 2009 wohl 106 Todesstrafen verhängt werden, die geringste Zahl seit 1976 und fast 70 Prozent weniger als im »Rekordjahr« 1994, als 328 Todesurteile ausgesprochen wurden. Laut dem Bericht zögern auch immer mehr Geschworenengerichte, die Todesstrafe zu verhängen, weil immer häufiger im Nachhinein dank neuer Beweismethoden Verurteilte als unschuldig erkannt werden. Allein in diesem Jahr waren es neun Insassen in Todeszellen. Seit 1973 gab es insgesamt 139 Fälle. »Die Öffentlichkeit ist skeptisch geworden, ob die Justiz wirklich in der Lage ist, Fehler zu vermeiden und Todesstrafen zu Recht zu verhängen«, heißt es in dem Report. »Deshalb zögern Richter und Geschworene immer häufiger.«

Auch unter den Politikern wachsen offenbar die Zweifel. In elf Bundesstaaten wurde in diesem Jahr ausführlich über das Für und Wider der Todesstrafe debattiert. New Mexico schaffte sie als 15. Bundesstaat ab. Der dortige demokratische Gouverneur Bill Richardson hat zugegeben, dass dabei auch die knappen Mittel in seinem Haushalt seine Haltung zur Höchststrafe beeinflussen. »Ich kämpfe mit mir in dieser Frage, aber ganz sicher wurde meine Haltung dazu etwas aufgeweicht.« Auch in Texas ist man nachgiebiger geworden. In den 1990er Jahren wurden dort jährlich im Durchschnitt 34 Todesstrafen verhängt. In diesem Jahr waren es erst neun.

Zwar ist die Gesamtzahl der Exekutionen in den USA 2009 mit 52 gegenüber dem Vorjahr gestiegen, da waren es 37. Das liegt jedoch daran, dass in vielen Bundesstaaten die Exekutionen ausgesetzt worden waren, um einen Entscheid des Obersten Gerichtes über die Verfassungsmäßigkeit der Hinrichtung durch tödliche Injektionen abzuwarten. Das höchste Gericht hatte im Vorjahr befunden, dass diese Hinrichtungsmethode besonders grausam sein kann, weil sich der Todeskandidat manchmal stundenlang quält, bevor er stirbt. Bisher ließ man verschiedene Gifte zusammenwirken. Nun wurde in Ohio Anfang des Monats erstmals ein verurteilter Mörder mit der starken Dosis eines Einzelgiftes, wie es auch zum Einschläfern von Tieren verwendet wird, exekutiert.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Dezember 2009


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