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Größere Rolle für Spezialkräfte – Instrumente der künftigen US-Außenpolitik?

Ein Beitrag von Dirk Eckert in der Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Christoph Heinzle (Moderation):
Für die militärischen Führer und politisch Verantwortlichen in den USA haben Spezialkräfte in den vergangenen Jahren immer größere Bedeutung gewonnen. Dirk Eckert dazu:


Manuskript Dirk Eckert

Es war im Mai 2011, als US-Soldaten im pakistanischen Abbottabad mit Osama bin Laden den meistgesuchten Terroristen der Welt aufspürten. „Special Forces“ wie die Navy Seals der Marine, die bin Laden töteten, stehen seitdem im US-Militär hoch im Kurs. Einheiten wie die Green Berets, Delta Forces oder die Ranger existieren längst unter eigenem Kommando unabhängig von den traditionellen Waffengattungen Armee, Marine, Luftwaffe.

Ihre wachsende Bedeutung zeigt sich deutlich im Haushalt des Pentagons. Während auch das Militär sparen muss, steigt das Budget der Spezialkräfte. Sie sind in Zeiten knapper Kassen das militärische Instrument der Wahl für die US-Regierung. Mit rund 66.000 Angehörigen sind die Special Forces heute doppelt so groß wie im Jahr 2001. Ähnlich hat sich der Etat entwickelt – von 4,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2001 auf 10,5 Milliarden. In seiner Rede zur Lage der Nation im Januar dieses Jahres würdigte US-Präsident Barack Obama die Spezialkräfte ausdrücklich:

O-Ton Obama (overvoice)
„Eines meiner teuersten Besitzstücke ist die Fahne, die das Seal-Team dabei hatte, als es bin Laden gefasst hat.“

Derart gestärkt, reklamieren die Spezialkräfte selbstbewusst eine größere Rolle für sich. Hintergrund ist der Abzug der US-Truppen aus dem Irak. In den vergangenen Jahren waren 80 Prozent der Special Forces im Nahen und Mittleren Osten eingesetzt. Nun sucht der Oberkommandierende des US Special Operations Command, Admiral William H. McRaven, offenbar neue Aufgaben für seine Elitekrieger, wie die NEW YORK TIMES im Februar berichtete.

Sein Plan ist es, die Präsenz der Spezialkräfte vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika auszuweiten. Insgesamt rund 12.000 der Elitekrieger sollen demnach rund um die Welt stationiert werden. Ihre Aufgaben wären zum Beispiel Anti-Terror-Einsätze, Geiselbefreiungen und Ausbildung befreundeter Streitkräfte. McRaven will aber noch mehr: Das Special Operations Command soll selbstständig und schnell entscheiden können, wo die Soldaten hingeschickt werden. Das bisherige, kompliziertere Genehmigungsverfahren im Pentagon zur Truppenentsendung würde entfallen.

Die Spezialkräfte gelten heute als effizient und professionell – nicht zuletzt wegen der Tötung von bin Laden. Das war nicht immer so – lange Zeit führten sie nur ein Schattendasein im US-Militär. Erst John F. Kennedy setzte offensiv auf Spezialkräfte. Die Schattenkrieger sollten kommunistische und sozialrevolutionäre Bewegungen in der Dritten Welt bekämpfen. Ihren ersten großen Einsatz hatten die neuen Soldaten dann auch in Vietnam. Der Historiker Bernd Greiner hat sich mit dem Vietnam-Krieg beschäftigt und auch den Einsatz der Special Forces untersucht:

O-Ton Greiner
„In Vietnam weiß man nur so viel, dass sie, ähnlich wie heute, für gezielte Tötungen von politischen Kadern, von politischen Aktivisten, von politischen Eliten der Gegenseite eingesetzt worden sind. Oder all derer, die man dafür gehalten hat.“

Danach verloren die Special Forces wieder an Bedeutung. Dafür sorgten nicht zuletzt spektakuläre Fehlschläge wie die missglückte Geiselbefreiung 1980 im Iran. Die große Wende kam erst mit dem sogenannten Nunn-Cohen-Amendment von 1986. Damals richtete der Kongress das US Special Operations Command als eigenständiges Kommando ein. Die Spezialkräfte bekamen außerdem einen eigenen Etat und waren damit Armee, Luftwaffe und Marine gleichgestellt. Bernd Greiner nennt die Gesetzesänderung deshalb „eine Art politischer Unabhängigkeitserklärung der Special Forces“.

Über die meisten Einsätze der Geheimkrieger erfährt die Öffentlichkeit nur wenig. In mehr als 70 Ländern sollen sie in den vergangenen Jahren im Einsatz gewesen sein, darunter im Irak und in Afghanistan. Nicht selten kommen die ersten Special Forces schon vor offiziellem Kriegsbeginn zum Einsatz. So zum Beispiel im Irak. Für die Bush-Regierung waren die Special Forces nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 das ideale Instrument. George W. Bush und sein Verteidigungsminister ermächtigten die Elitesoldaten zu Kommandoeinsätzen gegen Al-Qaida-Mitglieder.

Auch Obama setzt auf die Special Forces. Anfang 2012 befreite ein Team der Navy Seals zwei Geiseln in Somalia. Vor seiner Rede zur Lage der Nation gratulierte Obama seinem Verteidigungsminister zu der Aktion. Und im Konflikt mit Iran um die Straße von Hormus will das Pentagon ein Schiff mit Navy Seals in den Persischen Golf schicken: eine Art schwimmende Basis für Einsätze der Elitekämpfer, falls der Iran die für die Ölversorgung des Westens wichtige Schiffsroute sperren würde.

Die wachsende Bedeutung der Special Forces stößt aber nicht in der gesamten US-Administration auf Zustimmung. Widerstand, berichtete die NEW YORK TIMES, gebe es bei anderen Kommandeuren in den Streitkräften, die ihre eigene Bedeutung geschmälert sehen. Und im Außenministerium fürchtet man diplomatische Verwicklungen, wenn die Geheimkrieger wie im Falle bin Ladens zuschlagen, ohne sich um die Souveränität des jeweiligen Landes zu kümmern. Doch das ändert wenig an den Vorteilen, den der Einsatz der Special Forces bietet. Der Historiker Bernd Greiner:

O-Ton Greiner
„Nun, es hat sich sowohl beim Irak-Krieg als auch beim Krieg in Afghanistan gezeigt, dass die öffentliche Unterstützung für solche Arten von Kriegen, wenn sie nicht zu einem erfolgreichen und schnellen Ende gebracht werden können, sich sehr schnell erschöpft. Und auf der anderen Seite will man seitens der politischen und militärischen Elite nicht von diesem Instrument der gezielten Kommandoaktionen lassen. Also ist man darauf angewiesen, solche Kriege auch in der Zukunft weitgehend geräuschlos zu führen.“

Nicht nur die USA haben Spezialkräfte. In Großbritannien gibt es den SAS – neben amerikanischen Navy Seals und Green Berets wohl die berühmteste Spezialeinheit der Welt. Sie machte zuletzt in Libyen Schlagzeilen. Dort half sie – wie auch ihre US-Kollegen – den Rebellen gegen Gaddafi. Vorher hatte der SAS übrigens jahrelang die Sicherheitskräfte von Gaddafi ausgebildet – der libysche Diktator galt damals als Verbündeter im Kampf gegen den Terrorismus.

Und auch Deutschland hat seine Eliteeinheit, das Kommando Spezialkräfte (KSK). Was dessen Soldaten in Afghanistan tun, ist immer wieder Anlass für Debatten, denn die Öffentlichkeit erfährt darüber nur wenig. Das zeigt, wie problematisch der Einsatz von Spezialkräften ist. Eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit und nicht zuletzt durch die nationalen Parlamente kann nicht stattfinden. Regierungen haben sich damit ein Instrument geschaffen, um an den Volksvertretern vorbei Kriege führen zu können.

Die schlimmsten Befürchtungen über den Einsatz der Elitekrieger scheinen sich derzeit im Irak zu bestätigen. Nach dem Sturz von Saddam Hussein bildeten die amerikanischen Green Berets dort nach ihrem Vorbild eine irakische Spezialeinheit aus – die Iraq Special Operations Forces. Ihre Mitglieder sind wie die Green Berets trainiert, agieren wie sie und haben amerikanische Waffen. Nach dem Abzug der US-Soldaten sollen sie den Machterhalt der irakischen Regierung sichern. Die Einheit untersteht direkt dem irakischen Ministerpräsidenten, anderen Kontrollen ist sie nicht unterworfen. Schon jetzt gilt sie als äußerst brutal, als „schmutzige Brigade“ oder gar „Todesschwadron“.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 10. März 2012; www.ndr.de/info


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