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Kein zweiter Roosevelt

Ökonomie. Vier Jahre Obama-Krisenmanagement

Von Ingar Solty *

Die Widersprüche des Konjunkturprogramms und des neuen Staatsinterventionismus

In den USA wird in drei Tagen ein neuer Präsident gewählt. Die Zeit ist reif, Obamas erste Amtsperiode zu resümieren. Zu den Politikfeldern seiner Regierung gehörten die Gesundheitsreform, die noch unter Bush einsetzende Bankenrettung, das Konjunkturprogramm, die Finanzmarktreform, die (Teil-)Verstaatlichung der Automobilindustrie, die Ausweitung der US-Kriege auf sechs Länder (Irak, Afghanistan, Pakistan, Jemen, Libyen, Somalia) sowie eine neue aggressive Geopolitik in Zentralasien, im Mittlerem Osten und im asiatisch-pazifischen Raum, die die neue exportorientierte Wachstumsstrategie der USA flankiert.

Ingar Solty

referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Die USA nach der Wahl: Vom innenpolitischen Scheitern der Kapitalismusreform zur einer neuen aggressiven Globalpolitik.
Hier geht es zum Programm des Kongresses



War die an anderer Stelle ausführlich analysierte, unzureichend verwirklichte Gesundheitsreform die Einlösung eines Wahlversprechens (siehe hierzu Ingar Solty: Kampf um Hegemonie. Die Gesundheitsreform in den USA, in: LuXemburg, 2/2009), ist der zentrale Baustein von Obamas Krisenmanagement das kurz nach seinem Amtsantritt verabschiedete Konjunkturprogramm im Umfang von 787 Milliarden US-Dollar. Bei Beobachtern, die unter dem Neoliberalismus lediglich eine politische Regulationsweise verstehen, führte dieses Vorgehen zur voreiligen Proklamation des Endes vom Neoliberalismus. Das Wort von der »Keynesianismus-Rückkehr der späten 2000er Jahre« machte die Runde und verstärkte Vergleiche zwischen Obama und dem früheren Präsidenten Franklin Delano Roosevelt (1933–1945).

Obamas Konjunkturprogramm unterschied sich von den in den 1930er Jahren ergriffenen Maßnahmen jedoch in drei entscheidenden Aspekten: Es war erstens vom Umfang her der Aufgabe, die Krise und die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, nicht gewachsen. Zweitens scheiterte es beim Versuch, die schuldenbasierte und nur durch permanent verschobene Spekulationsblasen von »Dot.com« bis »Subprime-Hypotheken« aufrechterhaltene Ökonomie auf neue produktive Grundlagen zu stellen, so wie Roosevelt seinerzeit im Zuge der Kriegsmobilisierung die Grundlagen des Fordismus als integriertes System von standardisierter Massenproduktion und Massenkonsumtion und Drittem Weg zwischen Faschismus und sowjetischem Staatssozialismus gelegt hatte. Drittens unterschied sich Obamas Konjunkturprogramm von Roosevelts New Deal vor allem in seinem Vertrauen auf die privatkapitalistische Initiative, indem es auf öffentliche Beschäftigungsprogramme verzichtete.

Das Volumen des Programms ...

Wie aber ist es möglich, ein Konjunkturprogramm im Umfang von knapp 800 Milliarden US-Dollar als zu klein zu bezeichnen, das mit dazu beitrug, die Staatsschulden in vier Jahren Obama um fast 50 Prozent zu vergrößern? Der Grund, warum Obamas Versuch, mit keynesianischen Mitteln die Krise zu beheben, zu zögerlich war, hängt mit der Tatsache zusammen, daß das Programm nicht nur den gigantischen konjunkturellen Schaden auszugleichen hatte, der aus der finanziellen Kernschmelze und der Liquiditätskrise im Privatsektor entstanden war, sondern eben auch mit jenen Gegentendenzen zu kämpfen hatte, die von den Sparmaßnahmen auf der kommunalen und regionalen Ebene herrührten. Denn insofern die Einzelstaaten – mit der Ausnahme des Bundesstaats Vermont – über eine »Schuldenbremse« gesetzlich verpflichtet sind, alljährlich einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, der nur in äußersten Notfällen vom Bundesstaat ausgeglichen wird, kam es hier zwangsweise zu massiven Stellenstreichungen, Gehalts- und unfreiwilligen Arbeitszeitverkürzungen im öffentlichen Sektor. Mit anderen Worten: Zur selben Zeit, als der Nationalstaat klassisch-keynesianisch konjunkturell gegensteuerte, schränkten sich alle darunterliegenden Verwaltungsebenen finanziell drastisch ein.

Über dieses Problem war man sich zwar bewußt. Die im Konjunkturprogramm ausgewiesenen 53,6 Milliarden Dollar zur Verhinderung von Stellenstreichungen und Budgetkürzungen im Bildungsbereich blieben jedoch Tropfen auf dem heißen Stein der kommunalen und regionalen Austerität. Denn insofern die Schulen wesentlich über kommunale Immobiliensteuern finanziert werden, führten die millionenfachen Zwangsversteigerungen von Privathäusern und der Wertverlust der Immobilien in Folge der Subprime-Hypothekenkrise hier zu dramatischen Einnahmeausfällen. Deshalb verpufften auch Obamas Steuersenkungen für Einkommen unter einem Jahresverdienst von 250000 Dollar (ebenfalls ein Wahlversprechen), denn die moderaten Konjunktur- und nach unten hin abebbenden Wohlstands¬effekte dieser Maßnahme wurden durch unausweichliche Steuer- und Gebührenerhöhungen auf der kommunalen Ebene weitgehend nivelliert. Kurzum, schon lange vor der national vollzogenen austeritätspolitischen Wende Obamas vom Sommer 2010 war auf der Ebene der Kommunen und Einzelstaaten das »Zeitalter der Austerität« (David McNally) Realität.

Die Tatsache, daß das Konjunkturprogramm der zu lösenden Aufgabe nicht gewachsen war, eine Ökonomie durch staatliche Zufuhr zu stabilisieren, die einer Badewanne mit gezogenem Stöpsel glich, hatte dabei auch entscheidende hegemoniepolitische Konsequenzen: Denn insofern der Staat plötzlich gigantische Summen in die Hand nahm und die Arbeitslosigkeit parallel trotzdem anstieg und auch später nicht auf das Vorkrisenniveau zurückging, war Wasser auf die Mühlen der rechten Tea-Party-Mittelklassebewegung und der hinter ihr stehenden Finanziers aus der kapitalistischen Klasse. Für sie war es nun ein leichtes, das alte Märchen von der Effizienz des Marktes und der Ineffizienz des Staates aufzuwärmen und über die in den Kongreßwahlen 2010 überraschend reüssierten Republikaner jede Diskussion über neue Konjunkturprogramme zu ersticken. Die Wahlen gingen als »Tea-Party-Wahlen« in die Geschichte ein (vier von zehn Wählern bekundeten Sympathien für die Rechtspopulisten), klopften nicht zuletzt mit dem neuen Tea-Party-Caucus im Kongreß die neuen Machtverhältnisse fest und bedingten Obamas Einschwenken auf den Austeritätskurs.

Der Niedergang der Regierung nach nur zwei Amtsjahren kam jedoch nicht überraschend. Der keynesianische Wirtschaftsnobelpreisträger und regierungskritische NewYorkTimes-Kolumnist Paul Krugman hatte diesen Ausgang frühzeitig prognostiziert, als er kurz nach Obamas Wahlsieg ein dem späteren Endergebnis sehr ähnliches, hypothetisches Konjunkturprogramm analysierte und schrieb: »Ich sehe das folgende Szenario: ein schwaches Konjunkturprogramm (…) wird geschnürt, um ein paar Extra-Republikanerstimmen zu gewinnen. Das Programm begrenzt den Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Lage bleibt aber weiterhin ziemlich mies. Die Arbeitslosigkeit erreicht mit etwa neun Prozent ihren Höhepunkt und schwillt danach nur langsam wieder ab. Und dann sagt Mitch McConnell: ›Da schaut her, Staatsausgaben funktionieren nicht‹« (New York Times, 6.1.2009). Knapp zwei Wochen nach der Annahme des Konjunkturprogramms durch das Repräsentantenhaus urteilte Krugman: »Das ursprüngliche 800-Millionen-Programm war also zu klein (…). Es hätte wenigstens 50 Prozent größer sein müssen (…). Die zentrale Frage ist, ob Obama später noch einen Nachschlag vereinbaren kann, wenn sich zeigt, daß das Programm völlig unzureichend gewesen ist. Ich vermute nein. Das ist wirklich schlimm« (New York Times, Blog, 7.2.2009). Krugman sollte Recht behalten.

Die mangelnde Ausstattung war jedoch nicht durch intellektuelle Fehleinschätzungen, sondern die politischen Kräfteverhältnissen und Obamas Politikansatz bedingt. So hatten am 16.12.2008 Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Obamas Vorsitzende des Council of Economic Advisers, Christina Romer, in einem Treffen mit ¬Obamas Wirtschaftsminister Lawrence Summers ihre Kalkulationen vorgelegt und zu Konjunkturprogrammen im Umfang von wenigstens ein (Stiglitz) bzw. 1,2 Billionen Dollar (Romer) gedrängt. Wie der New Yorker am 30.1.2012 aufdeckte, lehnten Summers, Obamas Strategiechef David Axelrod und Rahm Emanuel, Stabschef im Weißen Haus, diese Vorschläge jedoch mit der Begründung ab, die Überschreitung der Billionengrenze sei politisch nicht durchzusetzen. Zudem argumentierten sie, das Konjunkturprogramm solle nicht die gesamten krisenbedingten Ausfälle und Arbeitsplatzverluste kompensieren, sondern lediglich eine finanzielle Kernschmelze und allzu dramatische Wertvernichtung in der produktiven Basis vermeiden.

Weitere Nachforschungen von The New Republic (22.2.2012) enthüllten, daß Summers Romers Memo an den Präsidenten, in dem die 1,2 Billionen Dollar bereits als realpolitische Minimallösung gedacht gewesen waren – zur nachhaltigen Bekämpfung der Krise sah Romer 1,8 Billionen vonnöten –, nicht an Obama weitergereicht hatte. Statt dessen wurden diesem zwei Optionen vorgelegt, die bei knapp 600 und 900 Milliarden lagen. Sollte Obama also trotz seines auf Kompromisse mit den Republikanern angelegten, zentristischen Politikstils eventuell aus politischen Überlebenserwägungen mit der Überlegung gespielt haben, sein auf seinem Charisma und seiner Unterstützungsbewegung beruhendes politisches Kapital einzusetzen, um ein ausreichendes Konjunkturprogramm gegen den Widerstand von Republikaner und kapitalistischen Think-Tanks durchzukämpfen, so war solchen unwahrscheinlichen, aber theoretisch wenigstens denkbaren Überlegungen schon vorab ein Riegel vorgeschoben.

... und dessen Qualität

Obamas Konjunkturprogramm war jedoch nicht bloß zu klein, sondern unterschied sich zweitens auch vom Inhalt her von Roosevelts Politik. Die schließlich verabschiedete Fassung des im Senat von einer republikanischen Sperrminorität verwässerten Konjunkturprogramms lief letzten Endes auf ein unausgegorenes Konglomerat von Infrastrukturinvestitionen (105,3 Milliarden an öffentlichen Aufträgen an private Bauunternehmer etc.), zwangsläufig anstehenden Aufstockungen der Arbeitslosenversicherung, Gesundheits- und Armenfürsorgefonds (182,02 Milliarden) und angesichts der Überproduktion und des Nachfrageausfalles nicht verfangenden Steuersenkungen (288 Milliarden) hinaus. Für die verkündete grünkapitalistische Wende und die anvisierte »post-bubble economy« blieben nur geringe staatliche Anschubfinanzierungen. Mit 27,2 Milliarden Dollar flossen lediglich 3,5 Prozent des Programms in Forschung und Investitionen im Bereich Energieeffizienz und erneuerbarer Energien, womit die USA sowohl im Hinblick auf Volumen als auch prozentualem Anteil hinter Chinas Konjunkturprogramm von 2008 zurückblieben, dessen ökologietechnologischer Anteil mit 30,8 Milliarden immerhin 5,3 Prozent des Gesamtumfangs betrug.

Daß die Krise eine Chance ist und der neoliberale Finanzmarktkapitalismus, die »Blasenökonomie« (Obama), keine Zukunft hat, wurde von den handelnden Akteuren zwar durchaus (an-)erkannt. Emanuel hatte anfänglich die Parole ausgegeben, daß »eine Krise niemals verschwendet« werden dürfe. Das Versagen des US-Staates, den Kapitalismus im Zuge des neuen Staatsinterventionismus zu reformieren und auf stabile neue Akkumula¬tionsgrundlagen zu stellen, kommt jedoch nicht von ungefähr. Es ist im Zusammenhang mit den Kräfteverhältnissen der Klassen einerseits und Obamas Zentrismus andererseits zu sehen.

Eine bemerkenswerte Episode, die dies illustriert, ereignete sich im Mai 2009 während Romers Vortrags vor dem Council on Foreign Relations, einer einflußreichen Institution der Finanz- und Handelsinteressen des alten Oststaaten-Kapitals, die vom marxistischen Ökonomen Doug Henwood wie folgt zusammengefaßt worden ist: »Romer sagte, was die US-Wirtschaft bräuchte, sei ein kleinerer Finanzsektor, ein größeres Maß an Realinvestitionen und eine gleichere Einkommensverteilung. Sie betonte, daß die Überkonsumtionstage der US-Wirtschaft vorbei und neue Wachstumsquellen zu erschließen seien. Der Staat sei kein tragfähiges Beschäftigungsinstrument, nach Ende des Konjunkturprogramms würde er sich zurückziehen. Immobilieninvestitionen seien nach der langen Spekulationsblase ausgeschöpft. Exporte würden voraussichtlich keine Abhilfe schaffen, da der Rest der Welt ebenfalls nicht prosperiere. Damit blieben allein Investitionen der Wirtschaft, hauptsächlich grüne Technologien, übrig. Sie zeigte sich auch kritisch gegenüber dem Bedeutungswachstum des Finanzsektors in den letzten Jahrzehnten. Sie sagte, daß ›Blasen Talente verschwendeten‹ – Leute, die Ärzte, Ingenieure und Lehrer sein sollten, würden am Ende nur Finanztransaktionen machen. In der anschließenden Diskussionsrunde meldete sich ein Zuhörer mit der Bemerkung, daß die meisten der Anwesenden ihr Geld in den letzten 20 Jahren durch ›gigantische Renditen‹ in den Finanzmärkten gemacht hätten, ob sie jetzt etwas ganz anderes machen sollten? Romer antwortete: ›Sachen produzieren‹, woraufhin ein lautes Zischen aus dem Zuhörerraum zu hören war« (Left Business Observer 125).

Die Episode um Romers Vortrag illustriert, daß die relevanten gesellschaftlichen Mächte weder die Notwendigkeit eines Umbaus der US-Ökonomie sehen, noch das kurzfristige Interesse daran besitzen, am Status quo etwas zu ändern, solange sie sich von keiner gesellschaftlichen Gegenbewegung dazu gezwungen sehen. Diese fehlt aber angesichts des durchschlagenden Sieges des transnationalisierten US-Kapitals über die Arbeit im Zuge der neoliberalen Wende. Die US-Bourgeoisie hat sich in einem Wort zu Tode gesiegt, und die Tea-Party-Rechtspopulisten könnten von zukünftigen Historikern womöglich als ein Ausdruck der Reformunfähigkeit und des tendentiellen Niedergangs der US-Hegemonie interpretiert werden.

Wenige Monate später – die Massenarbeitslosigkeit stagnierte auf hohem Niveau und lag mit 9,6 Prozent nur 0,4 Punkte unterhalb des Höchststandes vom Oktober des Vorjahres und die sich abzeichnende Rückkehr der Republikaner ließ die massive Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Obama-Administration in den nächsten zwei Jahren erwarten – trat die aus ihrer Enttäuschung keinen Hehl machende Romer am 3.9.2010 zurück. Im noch im selben Monat erfolgenden Rücktritt Emanuels, dem »womöglich mächtigsten Stabschef einer Generation« (New York Times, 16.8.2009), manifestierte sich ferner das Scheitern des auf Kompromissen mit den Republikanern und technokratischen Ausgleich der gesellschaftlichen (Kapital-)Mächte angelegten Regierungsstils. Sein enormes politisches Kapital hatte Obama verspielt. Von seiner vom Meinungsforschungsinstitut Gallup regelmäßig gemessenen Zustimmungsrate von 68 Prozent der Bevölkerung, mit der er Ende Januar 2009 in sein Amt gestartet war, blieben Mitte August 2010 noch 41 übrig. Hatten ihn seinerzeit nur zwölf von hundert abgelehnt, lehnte ihn nun eine Mehrheit von 52 ab. Ab jetzt machte das Wort vom »Einamtsperioden«- und »Lahme-Ente«-Präsidenten die Runde. Von den Roosevelt-Vergleichen blieb nichts mehr übrig.

Keine Beschäftigungsprogramme

Der Unterschied zu Roosevelt trat aber nirgendwo so deutlich zutage wie in Obamas Vertrauen in jene kapitalistische Privatwirtschaft, die gerade so grandios gescheitert war, und seinem Versagen, den Staat als Arbeitgeber und Zentrale universalistischer und nicht warenförmiger Dienstleistungen zu rehabilitieren. Seine Konjunkturpolitik verzichtete drittens auf jene öffentlichen Beschäftigungsprogramme, die unter Roosevelt in Gestalt der Works Progress Administration (WPA) und des Civilian Conservation Corps (CCC) den Arbeitslosen eine Perspektive schufen, die Massenkaufkraft stärkten und dabei das Bild der USA von den Nationalparks über die Staudammsysteme bis zu den Landstraßen in damals entlegenen Regionen bis heute prägen. So beschäftigte die zwischen 1935 und 1943 existierende WPA auf ihrem Höhepunkt 1938 3,3 Millionen Menschen und profitierten zwischen 1933 und 1942 insgesamt 2,5 Millionen junge Arbeitslose zwischen 17 und 23 vom CCC.

Von Obama dagegen waren Beschäftigungsprogramme trotz ansteigender Massenarbeitslosigkeit und entsprechendem Ausfall der aggregierten Nachfrage nicht vorgesehen. Allein als Teil des TANF Emergency Fund im Umfang von fünf Milliarden Dollar (0,6 Prozent des Konjunkturprogramms), der den Einzelstaaten finanzielle Hilfen anbot, konnten knapp 250000 Stellen schaffen. Der Notfonds lief jedoch bereits im Februar 2010 aus.

Statt einer Ausweitung der öffentlichen Beschäftigung erlebten die USA vielmehr einen nie zuvor gesehenen Kahlschlag. Die Zahl der öffentlich Beschäftigten sank zwischen 2008 und 2011 nach offiziellen Angaben von 21,3 auf 20,4 Millionen Diese Zahlen lesen sich umso dramatischer angesichts der Tatsache, daß auch im »antietatistischen« Neoliberalismus die Zahl der öffentlich Beschäftigten – mit Ausnahme der Jahre 1981, Ronald Reagans erstem Regierungsjahr, und 1994, 1996 und 1997, Clintons »Ende des Sozialstaats, wie wir ihn kennen« – parallel zu den Bedürfnissen einer wachsenden Bevölkerung kontinuierlich gestiegen ist. Selbst unter George W. Bush wuchs die Zahl der öffentlichen Beschäftigten – und zwar ganz erheblich von 19 im Jahre 2000 auf 21,3 Millionen 2008.

Nun ist Obama nicht persönlich für den Stellenabbau verantwortlich, der – wie die linksliberale The Nation (27.3.2012) vorgerechnet hat – sich nur zu einem geringen Anteil auf der bundesstaatlichen Ebene vollzogen hat und auf der kommunalen und regionalen Ebene zugleich überproportional in republikanisch dominierten Staaten. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß der Präsident in seinem Vertrauen in die profitorientierte Privatwirtschaft eher Clinton ähnelt als Roosevelt. Zudem stimmt es nachdenklich, daß in sieben von acht Jahren öffentlichen Stellenabbaus nicht marktradikale Republikaner in Washington an der Macht waren, sondern fiskalkonservative Demokraten – und davon entfallen vier allein auf Obama. Zu Recht kritisieren Ezra Klein (Washington Post, 11.6.2012) und Paul Krugman (Huffington Post, 11.6.2012) deshalb, daß die Arbeitslosigkeit ohne den Kahlschlag mehr als einen Prozentpunkt niedriger sein würde.

Krise der »Commons«

Der Stellenabbau ist jedoch nicht bloß von konjunkturpolitischer Bedeutung. In der Natur der Sache liegt es, daß die Streichungen von den öffentlichen Schulen und Universitäten über die Brandsicherung und Kriminalitätsbekämpfung bis zum Umweltschutz eine Krise der Commons zur Folge haben, also jener öffentlichen Güter, auf die die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung, die sich keine Privatschulen, Sicherheitsdienste und privaten Brandschutz leisten kann, angewiesen ist.

Satiriker vermögen aus den vielen Geschichten der Kommunen und Einzelstaaten, die nun mit weniger Steuereinnahmen mehr Ausgaben tätigen sollen, hervorragend sarkastische Geschichten spinnen, um die Absurdität der Austeritätspolitik zu unterstreichen: Auf die vorzeitige Entlassung Hunderttausender Kleinkrimineller folgt oft die Entlassung der nun ja überflüssigen Gefängniswärter, die nicht zuletzt deshalb entbehrlich scheinen, weil etliche Kommunen von Hawaii bis Georgia nicht nur Teile ihrer Polizeibeamten zwangsentlassen haben, sondern auch die kostspielige nächtliche Straßenbeleuchtung ausknipsen, womit gewährleistet ist, daß die zwielichtigen Gestalten unbehelligt und ohne Kosten für den Steuerzahler ihrem Nachtwerk nachgehen können. Ein solcher Galgenhumor kann jedoch kaum die Realität verdecken, die sich etwa in regionalen Vier-Tage-Schulwochen und verlängerten Ferien oder verkürzten Öffnungszeiten bei Arbeits- und Sozialämtern just in dem Augenblick manifestiert, wo Millionen neue Arbeitslose auf deren Dienste angewiesen sind.

Die dramatischen Konsequenzen der Austeritätspolitik illustriert das Beispiel Detroit. So wurden im April 2012 4100 gewerkschaftlich organisierte Lehrer der Detroit Public Schools darüber informiert, daß sie sich im kommenden Herbst zu neuen Konditionen auf ihre Stellen neu zu bewerben hätten. Zuvor hatte der »Sparbeauftragte« Robert Bobb eine Finanzierungslücke von 150 Millionen Dollar konstatiert und seinen Einsparungsplan vorgelegt. Dieser sieht vor, die Klassengröße von jetzt maximal 35 Schüler auf 60 im Schuljahr 2012/13 und 62 im Schuljahr 2013/14 anzuheben.


Das Scheitern der Kapitalismusreform von oben und die Innen-Außen-Dialektik der USA in der Krise

Die Mangelhaftigkeit des Konjunkturprogramms zog noch andere Entwicklungen nach sich. Sie setzte zunächst die Notenbank unter Druck. Diese verlegte sich angesichts der miesen Konjunkturaussichten im Rahmen des »Quantitative Easing« – im Grunde ein Euphemismus für das Anschmeißen der Notenpresse – auf die massive Ausweitung der Geldmenge und forcierte die Politik dauerhaft niedriger Leitzinsen zur Ankurbelung der Konjunktur. Dabei erhöhte Notenbankchef Ben Bernanke im Dezember 2008 das Discount-Window, vergleichbar mit der Spitzenrefinanzierungsfazilität der EZB, auf den höchsten Wert von 75 Basispunkten, wodurch die Geschäftsbanken in den nächsten Jahren sogar noch unter dem Zinssatz von 0,5 Prozent, d.h. praktisch umsonst, Geld beziehen konnten.

Das »Quantitative Easing« läuft zwar auf eine schleichende Entwertung des Dollars und damit der vom (asiatischen) Ausland gehaltenen Reserven hinaus, ist aus der Sicht der US-Eliten aber nicht nur weitgehend alternativlos, sondern angesichts der im Frühjahr 2010 einsetzenden Krise des Euro als potentieller Weltwährung und der Unsicherheit des europäischen Anlagemarktes momentan auch relativ risikolos.

Die – für den Fortbestand des »Dollar-Wall-Street-Regimes« und damit des American Empire brisanten – Tendenzen zu regionalen Währungsräumen, gemischten Währungsreserven und regionalen Währungswechseln haben sich in den letzten Jahren verstärkt. Doch besteht für den Augenblick keine Alternative zum Dollar, und das Vertrauen der internationalen Anleger in die Zahlungsfähigkeit der USA ist nach wie vor hoch. Zwar wertete die US-Kreditratingagentur Standard & Poor’s am 6.8.2011 die Bonität von der Bestnote AAA auf AA ab; dies war aber wohl eher als Warnung des Finanzkapitals an den Staat gemeint, sozusagen als Geleitfeuer in Richtung Austerität. Denn Obama hatte gerade in einem Kompromiß mit den Republikanern, der Sparmaßnahmen von zwei Billionen Dollar in den nächsten Jahren vorsieht, die Schuldenobergrenze des Staates erhöht.

Zwar ist die Staatsverschuldung unter Obama in Folge der Kosten für Krieg im Mittleren Osten, Konjunkturprogramm, Rettung der Banken und Automobilindustrie sowie Verlängerung der immens kostspieligen Bush-Steuersenkungen für die Reichen von 10,2 auf 15 Billionen Dollar noch einmal deutlich angestiegen. Angesichts der Flut an anlagesuchendem Kapital können sich die USA aber trotzdem so niedrig verzinst wie nie auf den internationalen Kapitalmärkten mit Geld versorgen. Damit läßt sich jedoch auch – wie die Keynesianer um den Kolumnisten der New York Times Paul Krugman nicht müde werden zu betonen – der Anstieg der Verschuldung verkraften und theoretisch mit einer Defizitfinanzierung aktive Konjunkturpolitik betreiben. Der Dollar scheint nicht in Gefahr zu sein; mangels Alternativen schlucken die ostasiatischen Zentralbanken dessen schleichende Entwertung.

Binnenökonomisch konnte die schon 2007 eingesetzte und 2009 ihren Zenit erreichende Kreditklemme der Industrieunternehmen durch die Maßnahmen der Notenbank jedoch kaum behoben werden. Im Kontext der riskanten Wirtschaftslage leiteten die Geschäftsbanken die Nulltarifkredite der Federal Reserve nicht zu ähnlichen Konditionen an die Unternehmen weiter, sondern brachten damit eher ihre Bilanzen auf Vordermann oder trieben feindliche Übernahmen und Fusionen voran, um lästige Konkurrenz zu beseitigen. Erst 2010 schwächte sich die Liquiditätskrise der Unternehmen ab, die aber angesichts voller Lager, volatiler Märkte, der zum selben Zeitpunkt einsetzenden »Euro-Krise« und sinkender Wachstumsimpulse aus den Schwellenländern nur unzureichend investierend tätig wurden. Im Gegenteil, es kam zu einer Anhäufung immenser Geldreserven in Nicht-Finanzunternehmen, die sich nach Schätzungen der International Labor Organization Ende Juni 2011 auf zwei Billionen Dollar (13 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) beliefen.

Bankenrettung, Finanzmarktreform

Ein zentraler Fragenkomplex des Krisenmanagements war, was aus den seit dem Paulson-Plan unter dem Präsidenten George W. Bush vom 3.10.2008 am Staatstropf hängenden Banken werden sollte, welche Lehren aus der Krise zu ziehen und wie die Finanzmärkte zu reformieren seien.

Da eine dauerhafte Verstaatlichung der »systemrelevanten« Banken und ihre Überführung in öffentliche Dienstleistungsunternehmen für Obama nicht infrage kamen und ohne revolutionäre Massenaufstände wohl auch nicht durchzusetzen wären, blieb der Regierung wenig mehr übrig als der erhobene Zeigefinger bei den neuen Rekordboni und die Drohung, diese durch Sondersteuern abzuschöpfen.

Ein alternativer, bei kleinbürgerlichen Marktradikalen und linksliberalen Intellektuellen beliebter Ansatz war die Bankenzerschlagung. Diesem liegt die Idee zugrunde, daß es entflochtenen, aber weiterhin privatkapitalistisch organisierten Banken an jener Systemrelevanz mangeln würde, die diese befähigt hat, den Staat in Geiselhaft zu nehmen. Gerade jetzt seien diese zusätzlich ermutigt, hochriskante und entsprechend profitable Risikogeschäfte zu tätigen, weil sie sich auf die Sozialisierung ihrer Verluste verlassen könnten. Doch die mit Wall-Street-Akteuren gespickte Regierung nahm auch hiervon Abstand.

Dies ist besonders ungeheuerlich angesichts des Konzentrationsprozesses im Bankensektor, ohne den es den »systemrelevanten« Banken niemals hätte gelingen können, ihre Schulden auf den Steuerzahler abzuwälzen und die in Folge dessen finanziell überlasteten Staaten dann zu einem privatisierungsprofitablen Abbau von sozialstaatlichen Leistungen zu zwingen. So ist der Anteil der größten Banken am Bruttoinlandsprodukt seit den 1990er Jahren dramatisch angestiegen und hat sich angesichts der krisentypischen Fusionen und Übernahmen weiter erhöht. Nach Berechnungen von Simon Johnson, Professor an der Sloan School of Management des Massachusetts Institute of Technology, rangierte der BIP-Anteil der sechs mächtigsten US-Banken – Goldman-Sachs, Morgan Stanley, Wells Fargo, CityGroup, Bank of America und JP Morgan Chase – 1995 noch deutlich unter 20 Prozent und erhöhte sich bis 2007 auf knapp 60 und bis 2009 auf knapp 65 Prozent. Weder Bush noch Obama haben diesen Konzentrationsprozeß problematisiert, trotz oder gerade wegen der politischen Machtfülle, die sich aus dem ökonomischen Bedeutungszuwachs ergibt und die im Grunde das Ende der bürgerlichen Demokratie bedeutet.

Vor dem Hintergrund von Lobbyausgaben der US-Handelskammer in Rekordhöhe beließ es die im Juli 2010 verabschiedete Finanzmarktreform bei der Errichtung einer Verbraucherschutzbehörde für Kreditnehmer und der neuen Überwachungsbehörde FSOC. Deren Kompetenzen sind jedoch stark eingeschränkt. Auch auf die zunächst erwogene Erhöhung der Eigenkapitalvorschriften mit einem Leverage-Verhältnis von 15 zu 1 (ähnlich dem Basel-III-Abkommen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) wurde verzichtet.

Erst gar nicht in Erwägung gezogen wurde eine Finanztransaktionssteuer, die mit der Gesetzesinitiative »Let Wall Street Pay for the Restoration of Main Street« dem Kongreß schon seit 2009 vorliegt. Das Political Economy Research Institute hat eine verwandte Gesetzesnovelle evaluiert und schätzt, daß bei einer Besteuerung von Aktiengeschäften mit 0,25, Staatsanleihen und Termingeschäften mit 0,2, Kreditausfallversicherungen mit 0,015, Optionen mit 0,5 und Fremdwährungs-Kassageschäften mit 0,01 Prozent die Steuereinnahmen sich in einem Fenster von 123 bis 246 Milliarden Dollar bewegen dürften. Die Obergrenze entspräche knapp einem Zehntel der US-Steuereinnahmen im Jahr 2012 und wäre die drittlukrativste Steuer nach der Einkommens- sowie der Rentenversicherungs- und der Lohnsteuer. Selbst der niedrigste Schätzwert entspräche noch dem Gesamtbudget des Bundesbildungsministeriums und der Bundesumweltschutzbehörde zusammen.

Daß jedoch auch eine Finanztransaktionssteuer die Finanzkrise des Staates nicht in den Begriff bekommen würde, zeigt sich daran, daß die besagten 246 Milliarden lediglich einem 18,5-Prozent-Anteil der Neuverschuldung 2012 entsprächen und vom Gesamtdefizit des US-Staates sogar nur 1,55 Prozent. Aus diesem Grund ist dem früheren US-Arbeitsminister Robert Reich zuzustimmen, der vor dem Hintergrund der höchsten Einkommens- und Vermögensungleichheit seit Ende der 1920er Jahre in einem Artikel in der Huffington Post vom 4.4.2011 schrieb: »Der einzige Weg, auf dem die USA ihre langfristige Staatsverschuldung reduzieren, notwendige öffentliche Güter sowie die Renten- und die Rentnerkrankenversicherung erhalten und mehr in Bildung und Infrastruktur investieren können, ohne dabei die Steuern auf die lohnarbeitende Mittelklasse zu erhöhen, besteht darin, die Steuern für die Superreichen zu erhöhen.«

Die Krise der Automobilindustrie

Mehr noch als in der Konjunktur- und Finanzpolitik läßt sich jedoch anhand des Managements der Krise in der Automobilindustrie ablesen, daß Obamas Präsidentschaft nicht auf eine postneoliberalisierende Transformation, sondern die Wiederherstellung und Vertiefung des Neoliberalismus durch Staatshilfe hinausläuft. Die US-Automobilindustrie um die großen Drei – General Motors, Chrysler und Ford – mußte zwischen 2006 und 2009 hohe Verluste hinnehmen. Diese standen im Zusammenhang mit dem Shareholder Value und einer nicht nachhaltigen Profitmaximierung. Vor dem starken Anstieg des Ölpreises ab 2005 waren die Profitraten bei den »Gas-Guzzlers« (SUV, Pickup-Trucks) um ein Vielfaches höher als bei energieeffizienteren Modellen. Damit war es nun vorbei. Marktnahe Produzenten energiesparender Modelle wie Hyundai steigerten ihre Marktanteile.

Mit Einbruch der Krise waren Chrysler und GM auf staatliche Unterstützung angewiesen. Im Frühjahr 2009 meldeten sie dennoch kurz nacheinander Insolvenz an. Der Staat schritt mit einer praktischen Verstaatlichung ein. Zusammen mit Bushs Finanzspritzen erhielten die Unternehmen insgesamt 80 Milliarden Dollar. Die Tatsache, daß sie analog zu den Banken auf den Staat angewiesen waren, führte in der Linken zu einer lebendigen Konversionsdebatte im Rahmen des weiteren Diskurses über ein sozial-ökologisches Krisenmanagement (Social Green New Deal). Gefordert wurde der Umbau der Automobilindustrie in Richtung eines staatlichen oder staatlich anzuschiebenden Transportsektors des 21. Jahrhunderts jenseits der nicht nachhaltigen Autokultur. Das Vorbild hierfür bildete die Weltwirtschaftskrise, als unter Präsident Franklin D. Roosevelt binnen weniger Monate statt Zivilautos Kriegsvehikel produziert wurden.

Es zeigte sich jedoch bald, was Obama unter einer »re-tooled, reimagined auto industry that can compete and win« (umgerüstete, erneuerte Autoindustrie, die wettbewerbsfähig ist und erfolgreich sein kann) verstand: Er verfolgte einen »Hands-off«-Ansatz, der weder Einfluß auf die Zusammensetzung der Geschäftsführung noch die Investitionsentscheidungen nahm, und vertraute auf das unverbindliche Versprechen, in Zukunft in nachhaltigere Modelle zu investieren.

Tatsächlich ging die Presidential Task Force schon Mitte Juli 2009 vom »day to day involvement« (von permanenter Kontrolle) zum unregelmäßigen Monitoring über, obwohl Chrysler und GM immer noch am Staatstropf hängen; und man vermutet, daß ein Teil der Staatsgelder wohl abzuschreiben sind. Obamas Politik lief damit auch hier auf den Einsatz von Steuermitteln zur Wiederherstellung des Status quo privatkapitalistischer Profitmaximierung hinaus. In dieses Bild paßt auch Obamas fünf Milliarden Dollar schwere Abwrackprämie »Cash for Clunkers« gegen die Absatzkrise. Das Strukturproblem globaler Überkapazitäten, des globalen Preiskampfes und des »coerced investment« (der Zwangsinvestitionen) in dieser Branche verlagerte man so bloß in die Zukunft.

Sein Vorgehen verteidigt Obama als Erfolg. Tatsächlich hat GM 2011 wieder mehr Autos verkauft als Toyota. Die Automobilindustrie steht jedoch exemplarisch für die neue US-Wettbewerbsstrategie. Diese läuft auf eine »Beggar- Thy Neighbor«-Politik (Belaste-deinen-Nachbarn-Politik) hinaus, bei der die Staaten das Ziel verfolgen, »ihren« Unternehmen einen größeren Anteil am schrumpfenden Kuchen zu sichern und auf diesem Weg das Problem unausgelasteter Kapazitäten und der Überproduktion zu »lösen«. Den Preis für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit trotz wachsender ausländischer Konkurrenz zahlen neben der Umwelt die Lohnabhängigen. So wurden im Zuge der praktischen Verstaatlichung unter Beihilfe wettbewerbskorporatistischer Gewerkschaftsführungen die Löhne eines Großteils der Beschäftigten halbiert. Insofern die Abschlüsse in der fordistischen Kernbranche bis heute Leitbild für die Firmentarifverträge in anderen Branchen sind, steht dieses Vorgehen exemplarisch für die allgemeine strategische Stoßrichtung nach dem Scheitern des grünkapitalistischen Umbaus.

After Green Capitalism

Obamas Plan – vorgestellt in seinen Reden zur Lage der Nation 2011 und 2012 – ist eine »Reindustrialisierungsstrategie«, die sich gegen den im Mittleren Westen und in Teilen Neuenglands starken Protektionismus von links (Gewerkschaften, Globalisierungsgegner) und rechts (Rechtspopulisten wie Michael Savage) behauptet und bei aller nationalgefärbt-populistischen Rhetorik die Ausweitung des Freihandels als Ziel proklamiert. Mit einer milden Erhöhung der Steuern für die Reichen und Kürzungen im Staatshaushalt will Obama Infrastruktur- (Breitband fürs Hinterland, Ausbau des Straßennetzes) und Bildungsinvestitionen tätigen, um den Standort USA zu fördern. Dabei nährt er Illusionen, als könne mit solchen marktbasierten Strategien die Auslandsverlagerung rückgängig gemacht und das Leistungsbilanzdefizit abgebaut werden.

Die Senkung der Löhne, gekoppelt mit der schleichenden Dollarentwertung, sind dabei zwei wesentliche Pfeiler. Roosevelt reagierte damals auf aggregierten Nachfrageausfall und krisenbedingten Lohndruck im Rahmen des »Wagner«- (1935) und »Fair Labor Standards Act« (1938) mit einer institutionellen Aufwertung der Gewerkschaften, Arbeitszeitverkürzungen und einer Anhebung der Mindestlöhne. Daß Obama diesem Vorbild nicht gefolgt ist und die Gewerkschaften in seinen Reden und Programmen im Grunde nie Erwähnung finden, ist kein Zufall, sondern hat System. Die USA unter Obama sehen – trotz aller Beteuerungen, man könne und wolle nicht mit China konkurrieren – den Ausweg aus der Krise nicht in der Binnen-, sondern in der Exportwirtschaft. Damit signalisieren sie der Welt auch, daß die Tage, in denen die USA als keynesianischer Motor der Weltwirtschaft fungierten und Überschußkapital und -waren aus den anderen Weltmarktländern mit exportorientierten Wachstumsmodellen absorbierten, gezählt sind. Dies hat selbstverständlich Konsequenzen für die Krisentendenzen eines Kapitalismus, der auf permanentes Wachstum angewiesen ist, ein Wachstum, das gerade dadurch gefährdet ist, daß sich mehr und mehr Länder von Nettoimport- in Nettoexportländer verwandeln.

Vorteilhaft ist, daß die Krise auch im Lohngefüge deutliche Spuren hinterlassen hat. Denn im Hinblick beispielsweise auf das gewerkschaftliche Ziel einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik ergibt sich – je nach Standpunkt im Klassengegensatz – ein äußerst positives bzw. negatives Bild: Die Produktivität stieg 2009 um 2,9 und 2010 um 3,1 Prozent. Da die Lohnentwicklung nicht mit den Produktivitätssteigerungen Schritt hielt, sanken die Lohnstückkosten deutlich: 2009 um 1,5 und 2010 um ein Prozent. Erst 2011 stiegen sie wieder, weil die Produktivitätssteigerung mit 0,7 Prozent deutlich zurückging und die Produktivität im ersten Quartal 2012 sogar um 0,5 Prozent sank, um dann im zweiten Quartal 2012 wieder um 1,6 Punkte zu steigen. Die für die Lage der Lohnabhängigen entscheidenden realen Wochenlöhne sind im Juni 2012 um 0,6 Prozent gestiegen, weil auch die Wochenarbeitszeit um 0,3 Prozent stieg. Über den längeren Zeitraum von Oktober 2010 bis Juni 2012 sind sie jedoch um 1,1 Prozent gefallen. Kein Wunder, daß in Europa jetzt schon Stimmen vor der neuen US-Wettbewerbsfähigkeit warnen.

Kontinentalblockade gegen China

Sorge bereitet den USA die chinesische, grüne Subventionspolitik, von der man Wettbewerbsnachteile befürchtet. Obama verfolgt diesbezüglich einen doppelten Ansatz: Einerseits hat er den populären protektionistisch-nationalistischen Forderungen nach Strafzöllen (Stahl, Reifen) nachgegeben und die Errichtung einer »Freihandelsdurchsetzungsbehörde« angekündigt; andererseits üben die USA Druck auf China aus, den Kapitalverkehr vollständig zu liberalisieren und die von der Welthandelsorganisation als Voraussetzung des integrierten Weltmarkts verlangte Gleichbehandlung von inländischem und ausländischem Kapital auch jenseits der Sonderwirtschaftszonen zu erlauben. Hoffnungen zieht man aus den Machtkämpfen innerhalb der KP Chinas, die sich zugunsten des liberalen und gegen den nationalistischen Flügel zu entscheiden scheinen.

Ihren Forderungen verleihen die USA durch eine neue aggressive Außenpolitik Nachdruck. In China ist man sich unsicher, ob es sich dabei um rein innenpolitisches Säbelrasseln handelt oder um eine Politik der »Eindämmung« des eigenen Aufstiegs. Obamas Politik wird am besten als präventive Sicherheitsstrategie verstanden. Insofern die Freihandelsbemühungen der USA in Südamerika und Ostasien aufgrund innerer wie äußerer Widerstände stagnieren (die APEC ist im Grunde genommen tot, und an bilateralen Freihandelsabkommen hat Obama nur welche mit Panama, Kolumbien und Südkorea vorzuweisen), steigen die Befürchtungen, daß sich der Aufstieg Chinas im Zuge der bemerkenswert schnell voranschreitenden ökonomischen und politischen Integration in Südost- (ASEAN-plus-3) und Zentralasien (Shanghai Cooperation Organization, Asia Cooperation Dialogue) außerhalb des American Empire vollziehen könnte. Verstärkt werden die Sorgen, da China mit dem Chiang-Mai-Initiative-Multilateralisation-Agreement, einem chinesisch-dominierten, ostasiatischen System von Währungswechseln, das finanzpolitische Instrumentarium entwickelt, das einmal den Dollar als Leitwährung und damit das American Empire als solches in Frage stellen könnte.

Mit der Obama-Doktrin untermauern die USA ihren globalen Machtanspruch. Sie machen sich Spannungen unter den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres zunutze, um bilaterale Militärabkommen mit Australien, den Philippinen, Japan, Vietnam und Thailand auszuhandeln und die Flotten- und Truppenpräsenz in der Region zu erhöhen. Zugleich bemühen sie sich, ihre Brückenköpfe im politisch instabilen und geopolitisch umkämpften kaukasischen Grenzgebiet zwischen China, Rußland und dem machtpolitisch durch die US-Niederlage in Irak und Afghanistan gestärkten Iran nicht zu verlieren und nach Möglichkeit auszubauen.

Die neue aggressive Geopolitik zielt darauf ab, dem nationalistischen Flügel innerhalb der KP Chinas jeden Gedanken an eine Herausforderung der US-Dominanz in den Bereichen Finanzen und Militär auszutreiben, indem sich die USA als größte Flottenmacht der Welt die Option auf eine antichinesische Kontinentalsperre verschaffen. Chinas Ressourcenzufuhr und Außenhandel ist fast vollständig von den Seewegen vom Persischen Golf über die Straße von Hormus und das Südchinesische Meer abhängig. Dabei verlassen sich die USA auch darauf, daß Chinas innenpolitische Stabilität angesichts der riesigen sozialen und regionalen Ungleichgewichte und proletarischen (Wanderarbeiter-)Massen von einer Fortsetzung des dynamischen Wachstums der letzten Jahre abhängt.

New Boss? Old Boss? Same Boss

Obama ist es nicht gelungen, die Krise zu einem Umbau des Akkumulationsregimes und der Regulationsweise in Richtung eines »grünen Kapitalismus« zu nutzen. Seine pragmatische Politik läuft letzten Endes darauf hinaus, den neoliberalen Kapitalismus durch Staatshilfe wieder zum Funktionieren zu bringen. Dies ist zunächst typisch für den Staat im Kapitalismus, denn dessen Legitimität und steuerfinanzierte Funktionen sind vom reibungslosen Funktionieren der privatkapitalistischen Akkumulation abhängig. Deshalb arbeiten seine Apparate in der Regel auf die Behebung von Fehlern im System und nicht auf dessen Neuprogrammierung hin. Für eine Reform von oben sind – so eine zentrale Lehre der Regulationstheorie – paradoxerweise Gegenbewegungen von unten vonnöten, die Politikern wie Obama den Handlungsspielraum verschaffen, auch gegen die in den Staatsapparaten verdichteten Kräfteverhältnisse (charismatische) Politik zu betreiben, so wie es Roosevelt tat, dem die Institutionalisierung vorhandener Klassenkämpfe den Handlungsspielraum schuf, auch gegen den Großteil der Bourgeoisie eine Reformpolitik in ihrem langfristigen Interesse (Rettung des Kapitalismus) durchzuführen, von der zunächst auch die Lohnabhängigen profitierten.

Ob für Obama die Möglichkeit bestand, aus den Massen seiner Wahlkämpfer eine Bewegung zu formen, die eine Reformpolitik getragen hätte, wird die Historiker beschäftigen. Tatsache ist, daß er die tiefe Hegemonie- und Repräsentationskrise, die zum Aufstieg des Tea-Party-Rechtspopulismus und der linken Gewerkschafts- und Occupy-Bewegung geführt hat, nicht beheben konnte.

Die weitgehende Paralysierung des Staats und Reformunfähigkeit des Kapitalismus ist der Hintergrund für die wachsende Verzweiflung nicht nur unter kritischen Keynesianern wie Paul Krugman, sondern auch unter führenden organischen Intellektuellen der Bourgeoisie wie Thomas L. Friedman, Francis Fukuyama oder Jeffrey Sachs. Das Verhältnis von Innen- und Außenpolitik ist in den USA wie überall als komplexe Innen-Außen-Dialektik zu begreifen. Die neue aggressive Außenpolitik ist eine Reflektion der ökonomischen, politischen und ideologischen Krise im Innern. Verändern sich die äußeren Parameter nicht (Krisenverschärfung, Druck von unten), ist von einem Obama-Sieg eine Fortsetzung der beschriebenen Politik zu erwarten. Die Unterschiede zwischen ihm und Romney sind dabei marginal.

*Ingar Solty ist Mitarbeiter am Fachbereich Politikwissenschaften der York University in Toronto, Redakteur von Das Argument und Gründungsmitglied des »North-Atlantic Left Dialogue«. Letzte Buchpublikationen: »Imperialismus« (zusammen mit Frank Deppe und David Salomon, 2011) und »Die USA unter Obama« (erscheint im Februar).

Dieser Beitrag erschien in zwei Teilen in: junge Welt, Samstag, 3. November, und Montag, 5. November 2012

Ingar Solty

referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Die USA nach der Wahl: Vom innenpolitischen Scheitern der Kapitalismusreform zur einer neuen aggressiven Globalpolitik.
Hier geht es zum Programm des Kongresses




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