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"Wenn sie dich wollen, kriegen sie dich"

Enthüller des US-Spionageskandals sieht sich künftig als ein Mann auf der Flucht

Von John Dyer, Boston *

Edward Snowden glaubt nicht, dass er je nach Hause zurückkehren kann. Trotzdem war er bereit, im Namen der Freiheit der Bürger die groß angelegte Abhöraktion des Weißen Hauses aufzudecken. Nun sucht er Asyl.

Edward Snowden sieht aus, wie man sich einen »Nerd« vorstellt, einen Computerfreak mit Brille und Stoppelbart, für den die Welt nur auf dem Bildschirm stattfindet. Der 29-Jährige hat sich jetzt als der Informant zu erkennen gegeben, der mit der Weitergabe von zwei geheimen Dossiers an »The Guardian« und »Washington Post« die größte Geheimdienstaffäre der USA seit Jahrzehnten losgetreten hat.

»Guardian« veröffentlicht auf seiner Webseite das Video mit einem zwölfminütigen Interview, in dem Snowden begründet, warum er den Geheimnisverrat begangen hat und sich jetzt öffentlich stellt. Es wurde in einem Hotelzimmer in Hongkong aufgenommen. Snowdens Botschaft: Ich will nicht in einem Land leben, das seine Bürger so schlimm ausspioniert. Und: »Ich weiß, dass ich meine Heimat nicht wieder sehen werde.« Snowden ist jetzt die meistgesuchte Person auf US-Fahndungslisten. Er ist auf der Suche nach einem Land, das ihm Asyl gewährt. Das könnte Island sein, vermuten Reporter.

Snowden gibt sich ganz als Mann, den sein Gewissen zum Handeln gezwungen hat. Er macht deutlich, worauf er verzichtet hat: auf einen guten Job auf Hawaii bei der für die CIA arbeitenden Firma Booz Allen Hamilton mit 200 000 Dollar Jahresgehalt. »Wenn du bereit bist hinzunehmen, dass du unfrei, aber bequem lebst – ich denke das liegt irgendwie in der menschlichen Natur – dann stehst du jeden Tag auf, gehst zur Arbeit, bekommst viel Geld für wenig Arbeit, die sich gegen das öffentliche Interesse richtet, gehst abends schlafen, nachdem du dir deine Fernsehshows angesehen hast.«

Er wolle dieses Leben aber nicht, sagte Snowden. Die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf, zu erfahren, wer die Enthüllungen über das demokratiefeindliche Verhalten der Regierung gemacht hat. Deshalb stelle er sich. In einem Anschreiben an die »Washington Post« zu den Dossiers über die massive Abhöraktion der NSA und die Kontrolle des Internetverkehrs im In- und Ausland bezieht sich Snowden auch auf den Informanten Bradley Manning. Der hatte als Soldat Hunderttausende geheimer Akten zur Veröffentlichung an die Plattform Wikileaks weitergegeben. Manning steht derzeit vor Gericht. Snowden wohnte früher in Maryland. Er soll, so wird berichtet, CIA-Mitarbeiter gewesen sein, unter anderem 2007 in Genf. Zuletzt arbeitete er in Hawaii beim NSA-Subunternehmer Booz Allen Hamilton.

Er wisse, dass er künftig ein Mann auf der Flucht sei, sagte Snowden in dem Interview. Deshalb sei er nach Hongkong gegangen, denn die halbautonome chinesische Region garantiere mehr Meinungsfreiheit als die USA heute. Snowden über seine eigene Lage: »Man kann sich nicht mit den mächtigsten Geheimdiensten der Welt anlegen und ohne Risiko leben, denn das sind sehr mächtige Gegner.« Niemand könne gegen sie an. »Wenn sie dich wollen, dann werden sie dich mit der Zeit auch kriegen.«

Der ehemalige CIA-Berater John Rizzo gibt sich verblüfft über Snowdens Selbstbezichtigung. Das sei ein »Riesen-Fall« wegen seiner Reichweite und Auswirkungen, so Rizzo. Er könne sich an keinen einzigen Fall eines früheren »Whistleblowers« (Informant) erinnern, in dem dieser sich »hingestellt, die Hand gehoben und ›Ich war es‹ gesagt hat«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. Juni 2013


Asyl für Edward Snowden!

Linksfraktion fordert Schutz für Enthüller der US-Internet- und Telefonspionage. Whistleblower sitzt in Hongkong fest

Von André Scheer **


Die Bundesregierung soll dem Aufdecker der massenhaften Bespitzelung von Telefongesprächen und der Internetkommunikation von Millionen Menschen durch die US-Geheimdienste politisches Asyl gewähren. Das fordert die Linksfraktion im Bundestag. »Edward Snowden hat dem Kampf gegen eine schrankenlose staatliche Überwachung einen großen Dienst erwiesen. Geheime Überwachungsprogramme zu verraten ist kein Verbrechen, wenn sie weltweit Demokratie und Freiheit gefährden«, erklärte Jan Korte vom Linke-Fraktionsvorstand am Montag in einer Pressemitteilung.

Snowden hatte am Sonntag selbst seine Identität offengelegt, nachdem er sich offenbar schon vor drei Wochen dem Zugriff der US-Behörden durch Flucht aus Hawaii nach Hongkong entzogen hatte. Der britische Guardian, der in der vergangenen Woche als erstes Blatt über die Enthüllungen des 29jährigen berichtet hatte, stellte seinen Informanten nun – ausdrücklich auf dessen eigenen Wunsch – als früheren Techniker des US-Geheimdienstes CIA vor, der inzwischen für Booz Allen Hamilton arbeitet, dem neben Halliburton führenden Militärdienstleister in den USA. In den vergangenen vier Jahren habe er im Auftrag des Unternehmens für die NSA gearbeitet, den größten militärischen Nachrichtendienst ­Washingtons.

Auf der Grundlage der von Snowden veröffentlichten Geheimdokumente hatten der Guardian und kurz darauf die Washington Post berichtet, daß die US-Nachrichtendienste Millionen Telefongespräche innerhalb der Vereinigten Staaten und mit dem Ausland erfassen und zudem über »Hintertüren« für die Server der großen Internetkonzerne wie Google, Microsoft, Apple und Facebook verfügen. »Es ist davon auszugehen, daß auch Daten von Bundesbürgern milliardenfach an die US-Geheimdienste weitergegeben wurden und werden«, kritisiert Korte. Die Linke fordert von der Bundesregierung Aufklärung sowie »eine Garantie, daß der BND nicht in diese oder andere, bislang noch nicht enthüllte Überwachungsmaßnahmen involviert ist«.

Snowden bestritt gegenüber dem Guardian, daß Geld ein Grund für seinen Geheimnisverrat gewesen sei. »Mein einziges Motiv ist, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was in ihrem Namen, aber gegen sie unternommen wird«, erklärte er. Dafür habe er ein sehr bequemes Leben mit einem Gehalt von rund 200000 US-Dollar und einem schönen Haus auf Hawaii, das er mit seiner Freundin bewohnte, aufgegeben.

Im Gespräch mit dem US-Fernsehsender ABC beklagte der für den Guardian tätige Journalist Gleen Greenwald am Sonntag (Ortszeit), daß die US-Stellen versucht hätten, die Veröffentlichung durch Einschüchterung der Journalisten und ihrer Quellen zu verhindern. »Immer, wenn eine Zeitung etwas erwähnt, was die Regierung verschweigen will, tut sie dasselbe: Sie greift die Medien an«, so Greenwald. Die Taktik sei, die Medien und ihre Informanten zu dämonisieren und als Verräter zu brandmarken.

In der vergangenen Woche ist in den USA der Prozeß gegen den mutmaßlichen Wikileaks-Informanten Bradley Manning eröffnet worden. Am 19. Juni wird zudem der Gründer der Enthüllungsplattform, Julian Assange, auf den Tag genau seit einem Jahr in der ecuadorianischen Botschaft in London ausharren. Das südamerikanische Land hat ihm Asyl gewährt, um ihn vor einer Auslieferung in die USA zu schützen, doch die britische Regierung verweigert ihm nach wie vor freies Geleit.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Juni 2013


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