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US-Deserteur fordert Asyl in Deutschland

André Shepherds Gesuch wurde abgelehnt – nun will er seinen Schutz per Klage durchsetzen

Von Hans-Gerd Öfinger *

André Shepherd, der nach einem Irak-Einsatz aus der US-Armee desertierte, will die Ablehnung seines Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht unwidersprochen lassen. Das kündigte der 33-Jährige am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main an.

Shepherd, der sich 2007 nach einem Kriegseinsatz in Irak aus Gewissensgründen entschlossen hatte, die Armee zu verlassen, beauftragte seinen Anwalt Reinhard Marx mit der Klage gegen den Ende März ausgestellten Bescheid der Bundesbehörde.

Anfang 2004 hatte sich Shepherd in Cleveland (Ohio), einer vom industriellen Niedergang gezeichneten Stadt, von der Armee anwerben lassen. Im Irak-Krieg war er als Mechaniker für die Instandhaltung von Apache-Kampfhubschraubern zuständig. Zwischen seinen Kriegseinsätzen war er in Katterbach (Bayern) stationiert. Dort hatte er durch eigene Recherchen ermittelt, dass die von ihm gewarteten Hubschrauber unweit der Hauptstadt Bagdad auch für die gezielte Tötung von Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters und ihnen zu Hilfe eilender irakischer Zivilisten eingesetzt worden waren. Eine Videoaufzeichnung, in der diese Szenen aus der Sicht der Hubschrauberbesatzung dokumentiert sind, ist im Internetportal YouTube abrufbar. Die Gewissheit, als Mechaniker Hubschrauber auch für Kriegsverbrechen fit gemacht zu haben, habe den Ausschlag gegeben für seinen Entschluss zur Verweigerung des Kriegseinsatzes, erklärte Shepherd. 2008 beantragte er in Deutschland Asyl.

Mit der Ablehnung des Asylantrags versuche das Nürnberger Bundesamt, den in der EU-Qualifikationsrichtlinie vorgesehen Schutz für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer zu umgehen und deutsche Rechtsgrundsätze über das Europarecht zu stellen, kritisierte Anwalt Marx. Diese 2006 in Kraft getretene Richtlinie soll Menschen schützen, die sich völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen entziehen und mit Strafverfolgung rechnen müssen.

Rudi Friedrich vom Kriegsdienstverweigerungsnetzwerk Connection e.V. vermutet hinter dem Bescheid des Bundesamts die Absicht der Bundesregierung, jeden Konflikt mit den USA zu vermeiden. Dies geschehe »auf Kosten derjenigen, die sich mit ihrer ganzen Person gegen den Krieg in Irak stellen, der auch von der damaligen Bundesregierung für völkerrechtswidrig gehalten wurde«. Damit werde dieser Krieg »nachträglich durch Deutschland auf Kosten derjenigen legitimiert, die ihrem Gewissen verpflichtet sind und sich dem Völkerrecht entsprechend verhalten«, erklärte Chris Capps vom Beratungsnetzwerk Military Countdown Network.

Shepherd selbst prangerte das Verhalten der politische Führung der USA an. Ex-Präsident George W. Bush habe die Weltöffentlichkeit zur Rechtfertigung des Irak-Krieges belogen und wahrheitswidrig von Massenvernichtungswaffen in Irak gesprochen, während sein Nachfolger Barack Obama die notwendige Aufarbeitung und Strafverfolgung blockiere. »Die USA können sich keinen neuen Krieg leisten«, erklärte Shepherd mit Blick auf die aktuellen Militäreinsätze in Libyen. Der Ex-Soldat beschrieb die Situation bettelnder Kriegsveteranen in den USA und massive Missstände im US-Gesundheitswesen. Die Kriege der USA dienten vor allem den Industrie-, Bau- und Erdölkonzernen und seien riesige Gelddruckmaschinen. Dabei seien die Soldaten lediglich »Schachbrettfiguren im Kampf um die Weltherrschaft«.

»Wie lange soll dieser Wahnsinn noch weitergehen?«, fragte der ehemalige Soldat. Natürlich sei sein Fall nicht dazu angetan, den US-Imperialismus nicht stoppen, »aber wir müssen weitermachen, um Gerechtigkeit in der Welt wieder herzustellen«.

Heute lebt Shepherd in der Nähe von München und ist durch die Ehe mit einer Deutschen vor Abschiebung geschützt. Gleichwohl möchte er mit seiner Klage ein Zeichen setzen und bis zur Bestätigung seines Asylantrages kämpfen. Bei Vorträgen bei den anstehenden Ostermärschen in Stuttgart und Köln wird er über seine Kriegserfahrungen berichten.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2011


"Deserteure haben Anspruch auf Flüchtlingsschutz"

Der Asylantrag des US-Deserteurs André Shepherd wurde vom Bundesamt für Migration abgelehnt. Gespräch mit Rudi Friedrich **

Rudi Friedrich ist Geschäftsführer des Vereins Connection e.V., der die Öffentlichkeitsarbeit für André Shepherd betreibt.

Der ehemalige US-Soldat André Shepherd hat 2008, als er seinen zweiten Gestellungsbefehl für den Irak erhielt, die Truppe verlassen und einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Begründung: Er wolle sich nicht weiter an »Kriegen gegen die Menschlichkeit« beteiligen. Der Antrag wurde vor zwei Tagen vom Bundesamt für Migration abgelehnt. Droht ihm denn keine Verfolgung mehr?

Im Gegenteil. Daß ihm wegen Desertion eine Haftstrafe droht, ist überhaupt keine Frage, das räumt auch das Bundesamt ein. Die entscheidenden Fragen sind: War der Krieg völkerrechtswidrig? Und: Hätte sich André an völkerrechtswidrigen Handlungen beteiligen müssen? Beides bestreitet die Behörde.

Inwiefern hat Shepherd eine Beteiligung an völkerrechtswidrigen Handlungen befürchtet?

Er war bereits im Jahr 2004 als Mechaniker für Apache-Hubschrauber im Irak eingesetzt und hat dabei erfahren, daß sie bei Kriegsverbrechen wurden. Vor einem Jahr wurde z. B. ein Video unter dem Stichwort »kollaterale Morde« bekannt, in dem gezeigt wird, wie eine Hubschrauberbesatzung aus einem Apache heraus auf Zivilisten schießt. Sie hat sogar eine Familie beschossen, die den Verletzten helfen wollte. Es gibt noch weitere Beispiele, die zeigen, daß gerade dieser Hubschraubertyp für völkerrechtswidrige Einsätze benutzt wird. André wäre als Mechaniker an der Vorbereitung solcher Verbrechen beteiligt gewesen.

Und das reicht dem Bundesamt nicht?

Es hat jetzt quasi den Anspruch erhoben, daß André beweisen müßte, daß er bei einem erneuten Einsatz im Irak an einer rechtswidrigen Aktion beteiligt gewesen wäre. Damit wird die Anforderung an einen Antrag auf Asyl so hoch gesetzt, daß praktisch niemand Aussicht auf Bewilligung hat. Denn wie soll einer hundertprozentig nachweisen können, daß er tatsächlich zu völkerrechtswidrigen Handlungen herangezogen worden wäre? Im Asylverfahren geht es normalerweise darum, einen Verfolgungstatbestand glaubhaft zu machen, und das hat er allemal getan.

Hubschrauber flottmachen zu müssen, mit denen Verbrechen durchgeführt werden, ist also kein legitimer Grund zu verweigern?

Das Bundesamt erwartet praktisch, daß André direkt an der Front eingesetzt oder selbst vom Hubschrauber aus Verbrechen hätte begehen müssen. Nach Auffassung des Amtes sind Vorbereitung oder Beihilfe zu solchen Handlungen nicht asylrelevant. Das widerspricht aber internationalen Rechtsgrundsätzen.

Inwiefern steht die Entscheidung der Behörde in Widerspruch zum EU-Recht?

Die EU-Qualifika­tionsrichtlinie besagt klar, daß Deserteure oder Kriegsdienstverweigerer, die sich nicht an völkerrechtswidrigen Kriegen oder Handlungen beteiligen wollen und wegen ihrer Desertion Strafe zu erwarten haben, einen flüchtlingsrechtlichen Schutz erhalten müssen. Im Grunde genommen versucht das Bundesamt, deutsches Recht vor EU-Recht zu stellen.

Was glauben Sie, warum das Bundesamt abgelehnt hat?

Letzten Endes, denke ich, wollte das Bundesamt als ausführendes Organ der Bundesregierung keinen Konflikt mit dem Verbündeten USA riskieren. Denn eine positive Entscheidung wäre ein Präzedenzfall und hätte somit Auswirkungen auf andere US-Soldaten – also auf alle, die aus einer ähnlichen Situation heraus handeln würden wie André. Es ist also eine politische Entscheidung, die auf Kosten von André Shepherd geht, der mit sehr hohem persönlichen Einsatz eine Strafverfolgung riskiert.

Wie hat er die Entscheidung aufgenommen? Muß er jetzt seine Abschiebung befürchten?

Er ist natürlich enttäuscht, weil er eine Entscheidung in seinem Sinne erhofft hatte. Aber eigentlich hatten wir die Ablehnung erwartet und werden die Auseinandersetzung weiter führen. André hat eine Klage angekündigt, so daß die Entscheidung nicht rechtskräftig ist. Außerdem hat er einen Abschiebeschutz, weil er mit einer deutschen Staatsbürgerin verheiratet ist. Aber er sagt ganz klar, er wolle dieses Verfahren weiter betreiben – aus politischen Gründen und weil er auch ein Beispiel für andere geben will. Deserteure haben Anspruch auf Flüchtlingsschutz!

Interview: Frank Brendle

** Aus: junge Welt, 8. April 2011

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