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Rumsfeld wird angeklagt

Gericht erlaubt Prozeß gegen Ex-US-Verteidigungsminister wegen Folter

Von Simon Loidl *

Klagen gegen US-Politiker wegen Kriegsverbrechen oder Folter gehörten in den USA während der vergangenen Jahre beinahe schon zum Alltag. Bislang wurden derartige Fälle allerdings stets von den Gerichten abgeschmettert. Zudem handelte es sich in der Regel um Opfer aus Ländern, die im Zuge des »Krieges gegen den Terrorismus« ins Visier der USA geraten waren. Nun ziehen erstmals US-Bürger vor Gericht, die selbst von den Kriegsführungsmethoden ihres Landes betroffen waren.

Ein Berufungsgericht in Chicago hat am Montag (8. Aug.) eine bereits im Jahr 2006 eingereichte Klage zweier früherer Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma gegen den ehemaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zugelassen. Die beiden Männer hatten die US-Behörden im Frühjahr 2006 auf »kriminelle Machenschaften« des im Irak tätigen Unternehmens aufmerksam gemacht. Statt einer Einleitung von Untersuchungen kam es jedoch zur Verhaftung der beiden durch US-Soldaten. Die Kläger geben an, mehrere Wochen lang festgehalten und gefoltert worden zu sein. Sie seien geschlagen und unter anderem mit Licht und lauten Geräuschen am Schlafen gehindert worden. Eines der Opfer wurde nach zwei Wochen, das andere erst nach drei Monaten entlassen.

Bereits in der vergangenen Woche hat ein Gericht in Washington D.C. der Klage eines ehemaligen Soldaten gegen Rumsfeld stattgegeben. Der Mann gibt an, neun Monate lang im Irak festgehalten und gefoltert worden zu sein. Er hatte im Jahr 2004 als Übersetzer für ein privates Unternehmen gearbeitet, das im Auftrag der US-Marine im Irak tätig war. Als er seinen jährlichen Heimaturlaub antreten wollte, sei er festgenommen worden. Seine Familie wurde darüber nicht informiert und wußte nichts über seinen Verbleib. Die Behörden behaupten, der Mann habe im Verdacht gestanden, geheime Informationen weitergegeben und damit »den Feind« unterstützt zu haben. Allerdings wurde zu keinem Zeitpunkt Anklage gegen ihn erhoben.

Die Zulassung der Klagen ist deshalb von großer Bedeutung, weil damit das ungeschriebene Gesetz relativiert wird, daß die politisch Verantwortlichen für die US-Folterpraxis nicht zur Verantwortung gezogen werden. Die Richter argumentierten dahingehend, daß es »keine überzeugenden Gründe« dafür gebe, daß US-Bürger im Irak grundlegende Rechte verlieren dürften. Richter David Hamilton, der das Urteil vom Montag in Chicago fällte, sagte, daß es »keinen Zweifel daran geben könne«, daß eine derartige Behandlung von US-Bürgern gegen die Verfassung verstoßen würde, »auch an einem Kriegsschauplatz«.

Anwälte von Donald Rumsfeld meldeten umgehend Sicherheitsbedenken an. Daß Richter militärische Entscheidungen anzweifeln, die auf der anderen Seite der Welt gefällt würden, sei keine Art, Krieg zu führen, zitiert die Washington Post David Rivkin, Jr. Dies untergrabe »die Effektivität der Armee, gefährdet amerikanische Soldaten« und würde die Verantwortlichen daran hindern, ihrer »verfassungsmäßigen Pflicht« nachzukommen, »Amerika zu schützen«, so der Rechtsvertreter von Rumsfeld, der von 1975 bis 1977 unter Gerald Ford und von 2001 bis 2006 unter George W. Bush das Verteidigungsministerium leitete.

Entgegen diesem Beharren der US-Behörden auf Immunität der Politiker in solchen Fällen urteilte das Gericht in Chicago, daß die Kläger ausreichend Indizien vorgebracht hätten, die darauf schließen ließen, daß Rumsfeld persönlich eine »zentrale Rolle« bei der Autorisierung der »rauhen Behandlung« gespielt habe, der die Männer während ihrer Haft ausgesetzt waren.

* Aus: junge Welt, 10. August 2011


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