"Globalisierung und Transatlantische Partnerschaft"
Eine Rede des Bundespräsidenten Johannes Rau vom 20. Feburar 2002
Im Folgenden dokumentieren wir eine Rede des Bundespräsidenten im Wortlaut, in der er u.a. auf Unterschiede im US-amerikanischen und europäischen Vorgehen gegen den Terrorismus eingeht. Die Frankfurter Rundschau titelte "Rau geht auf Distanz zu Bush" und schrieb, Bundespräsident Johannes Rau habe in einer Rede während seines Besuchs in den
USA davor gewarnt, den Terrorismus als rein militärische Herausforderung zu
begreifen. Dabei habe er ungewöhnlich deutlich Vorbehalte gegenüber dem
Vorgehen von US-Präsident George Bush geäußert (FR, 21. Februar 2002). Diese Passagen finden sich in Abschnitt VI und VII. - Die anderen Teile seiner Rede befassen sich mit Aspekten der Globalisierung - sozusagen aus dem Blickwinkel der Automobilindustrie.
"Globalisierung und Transatlantische Partnerschaft"
Die Rede von Bundespräsident Johannes Rau vor dem Economic Club in Detroit
am 20. Februar 2002
I.
Meine Damen und Herren,
ich danke für die Einladung, heute im Detroit Economic Club zu Ihnen zu
sprechen.
Herr Fountain, Sie haben zur Begrüßung Freundliches über mich gesagt. Meine
Erziehung gebietet es mir eigentlich, so viel Lob zu relativieren. Da ich
aber nun einmal in den USA bin, will ich gerne meine amerikanische
Lieblings-Philosophin zitieren. Mae West hat einmal gesagt: "Es tut gut, ab
und zu die Wahrheit zu hören." Ich will das Bonmot der großen Philosophin
jedoch gar nicht auf mich beziehen, sondern mich davon in meiner Rede leiten
lassen.
Aber seien Sie unbesorgt: Ich werde Ihnen nicht den Appetit verderben! In
diesem Sinne also einige Überlegungen zu dem einfachen Thema "Globalisierung
und transatlantische Partnerschaft".
II.
Der Name Detroit steht für weltberühmte Unternehmen. Er ist Symbol für große
Zeiten, bahnbrechende Ideen und weltweite Erfolge. Hier spürt man aber auch
besonders, wenn die Konjunktur schwierig wird und wenn unter dem Vorzeichen
globaler Veränderungen neue Herausforderungen aufkommen.
Oft wurde die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Amerikas in einem Atemzug
mit dieser Stadt erwähnt. Ein britischer Motor-Journalist hat einmal gesagt:
"The '59 Cadillac says more about America than a whole trunkful of history
books". Von Detroit gingen bahnbrechende Entwicklungen der industriellen
Produktion aus.
Die Ideen von Henry Ford haben seinerzeit nicht nur einen wirtschaftlichen,
sondern auch einen sozialen Fortschritt markiert. Ford hat mit seinem System
die Autos so billig gemacht, dass die Arbeiter, die die Autos herstellen,
sie auch kaufen konnten.
Henry Ford wusste offenbar damals schon, dass Löhne nicht nur Kosten sind,
sondern auch die Kaufkraft der Arbeiter bestimmen. Mit seinen Worten: "Autos
kaufen keine Autos". So ist das bis heute geblieben.
III.
Ich hatte gerade Gelegenheit, ein deutsches mittelständisches Unternehmen
hier in Detroit zu besichtigen, das als Zulieferer der Automobilindustrie
sehr erfolgreich ist. Es ist eines von 150 deutschen Unternehmen, die sich
in Michigan niedergelassen haben, um hier für den amerikanischen Markt zu
produzieren.
Detroit ist ein gutes Beispiel für das erfolgreiche Zusammenwirken von
Firmen und damit auch von Menschen aus vielen Ländern der Welt. Das gilt für
die Gegenwart wie für die Vergangenheit. Viele Einwanderer aus Deutschland
und ihre Nachfahren haben entscheidende Beiträge zur industriellen
Produktion, aber auch in anderen Bereichen geleistet.
Stellvertretend für sie möchte ich wenige Namen nennen:
Nach Walther P. Chrysler ist heute ein Museum benannt, in dem es nicht nur
um Autos, sondern ausdrücklich auch um die Menschen geht, die sie
hergestellt haben.
Albert Kahn war einer der großen Industriearchitekten; er hat
Industrieanlagen in Russland gebaut, aber beispielsweise auch das Privathaus
von Edsel Ford.
Deutsch-Amerikaner haben in der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung und bei
der Konzeption von Sozialgesetzen seit dem 19. Jahrhundert eine bedeutende
Rolle gespielt. Ich denke hier zum Beispiel an Robert Wagner, der die
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik Präsident Roosevelts maßgeblich vorbereitet
hat.
Der Staat Michigan steht für die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit der
Vereinigten Staaten und Deutschlands. Vier der zehn größten amerikanischen
Investoren in Deutschland kommen aus Ihrer Region. Amerikanische Unternehmen
stehen mit Abstand an erster Stelle unter allen ausländischen
Direktinvestitionen in Deutschland. Umgekehrt stehen die USA auch an der
Spitze deutscher Direktinvestitionen im Ausland.
Heute steht die traditionsreiche Industriestadt Detroit für die Produktion
unter den Bedingungen der weltweiten Vernetzung. Ihr Name ist eng verbunden
mit dem Namen anderer Städte. Lassen Sie mich drei Verbindungen zwischen
Städten in Deutschland und in den USA nennen:-
Ich denke an Detroit - und Stuttgart: Die DaimlerChrysler AG beschäftigt
in ihrer Stadt 13.000 Menschen und ist damit Detroits größter privater
Arbeitgeber.
- Ich denke an Detroit - und Rüsselsheim, Bochum und Eisenach, vier Städte,
in denen bekanntlich General Motors eine besondere Rolle spielt.
- Ich denke an Detroit - und Düsseldorf, das Ruhrgebiet und die
Thyssen-Stahl-Gruppe.
- Und ich denke an Detroit und Köln und Ford Motor Company.
IV.
Wenn wir heute ein Auto einmal näher anschauen, dann merken wir, was
Produktion im Rahmen der Globalisierung bedeutet. Die Marke des Autos ist
für jedermann erkennbar. Der Markenname ist unverzichtbar. Er ist den
Menschen wichtig. Er steht für das deutsche, das japanische oder das
amerikanische Erbe, das dieses Produkt auszeichnet. Auch wenn sich
Unternehmen heute weltweit verbinden, so beziehen die jeweiligen Marken ihre
Faszination doch immer noch aus der besonderen Tradition ihrer Herkunft.
Die einzelnen Teile eines Automobils stammen heute aber längst aus vielen
Ländern - wie auch die Fertigkeit, sie zu produzieren oder das Talent, ihnen
kunstvolle oder aufregende Linien zu geben.
Das zeigt sich, wenn wir einen Blick auf Modelle werfen, die hier
produziert werden:-
Die Lenksäule, die Sensorik und die Zündkerzen stammen aus Japan.
- Aus Deutschland kommen die Scheibenwischer, Federung, Lenkrad, Bremse,
Antriebswelle, Scheinwerfer, Nockenwelle, Kolben, Zentralverriegelung - und
das Schiebedach.
- Übrigens: Das Schiebedach stammt manchmal aus meiner Heimatstadt
Wuppertal.
- Aus Spanien werden die Gummidichtungen und die Innenverkleidung der Türen
mit den Griffen geliefert.
- In Großbritannien wurden die Rückschlagventile und einige Schalter gebaut.
- Frankreich ist verantwortlich für den Wechseleinsatz des Ölfilters.
Nun werden Sie sich langsam fragen: stammt überhaupt noch etwas aus den USA?
Ja: z. B. der Motor, die Sitze - und die Armaturentafel, das Radio, die
Bezugstoffe, die Heckleuchten - und natürlich die Fähigkeit, ein modernes,
weltweit erfolgreiches Auto zu konzipieren und aus vielen einzelnen Teilen
zu bauen.
Was sagt nun dieser amerikanische und doch internationale Wagen über das
Amerika von heute aus? Ist ein typisch amerikanisches Auto? Oder ist es ein
globales Auto? Überall auf der Welt sind Autos Symbole für Wohlstand, für
Fortschritt und Mobilität.
Weltweit sind Menschen von Autos begeistert. Autos wecken Gefühle und
Sehnsüchte. Diese globale Faszination, die vom Automobil ausgeht - bei allen
Problemen, die es auch mit sich bringt - kann uns durchaus dabei helfen,
dass die Menschen in Zukunft weltweit mit der Globalisierung auch diese
positiven Werte verbinden: Wohlstand, Fortschritt und Freiheit.
V.
Den Menschen gilt unsere Politik. Diese Überlegung - was ist dem Menschen
gemäß? - sollte uns auch leiten, wenn wir von der Produktion des Automobils
und ihrer Verbesserung sprechen.
Denn Produktion, das sind - trotz aller Automatisierung und
Rationalisierung - eben die Menschen, die in Detroit leben - oder in Bochum,
in Tokio oder in Stuttgart, in Puebla, Turin oder Shanghai. Globalisierung
heißt eben immer auch: Die Firmennamen, die Maschinen, die Teile und die
Produkte, die werden global. Die Menschen aber, die bleiben in aller Regel
an einem Ort verwurzelt. Sie sind Deutsche, Amerikaner, Spanier, Franzosen,
Mexikaner, Japaner ... Diese Menschen lieben ihre Familie, sie wollen ihre
Musik, ihr Essen und ihre Mannschaft im Sport nicht missen.
Die Globalisierung bietet uns die großartige Möglichkeit, für alle Menschen
größeren Wohlstand zu schaffen. Immer wieder erfahren wir aber, dass Markt
und Wettbewerb nicht von alleine dafür sorgen, dass tatsächlich möglichst
viele und nicht nur wenige Menschen hiervon profitieren können.
Wir alle haben noch die kritischen, auch die selbstkritischen Töne, auf dem
diesjährigen World Economic Forum in New York in Erinnerung. Es war ja schon
bemerkenswert, dass ausgerechnet aus dem IWF Einschätzungen zu vernehmen
waren, wie sie früher höchstens von seinen Kritikern geäußert wurden.
IWF-Generaldirektor Horst Köhler hat den Protektionismus, die Subventionen
und die "ego-istische Handelspolitik" der Industrieländer kritisiert.
Internationale Beziehungen, so Köhler, können nicht so aussehen, dass die
Großen Absprachen treffen und die Entwicklungsländer das Nachsehen haben.
Der Generaldirektor der WTO, Mike Moore, hat gesagt: "Ich teile 80 % der
Argumente meiner Gegner" - und damit meinte er die Globalisierungskritiker.
Der Ökonom Paul Krugman stellte bei der Tagung in New York fest, dass den
großen Industrieländern das Bewusstsein dafür fehlt, dass sie für das
Wohlergehen der Weltwirtschaft gemeinsam Verantwortung tragen.
Amartya Sen, der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft, hat für mich
sehr überzeugend formuliert, wie das zusammenpasst, was in der
globalisierten Welt zusammenwachsen muss: Markt, Demokratie, Freiheit und
Gerechtigkeit. Freiheit der Menschen, so Sen, ist ein größerer Wert als die
Entscheidung für die Freiheit des Marktes. Wir sollten, so Sen, den Markt
niemals nur von seinen sicher beeindruckenden Ergebnissen her beurteilen,
sondern immer auch fragen: Haben alle die Freiheit, an ihm teilzunehmen,
oder sind Menschen ausgeschlossen?
Als Demokraten dürfen wir nicht akzeptieren, dass der globale Markt
angeblich Zwangsläufigkeiten und Eigengesetzlichkeiten mit sich bringt, die
Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit für Viele einschränken und begrenzen.
Der Markt muss im Dienst der Freiheit stehen, im Dienst der Menschen.
Die Ideen und die Erfahrung von vielen Menschen, ihre Intelligenz, ihr
Wissen, ihre Hände und ihre Fähigkeit zur Teamarbeit - das sind für mich
auch die wichtigsten der vielen Komponenten, aus denen sich heute jedes Auto
zusammensetzt.
Um all das zu entwickeln, brauchen wir aber wirklich - und nicht nur
rhetorisch - offene Märkte. Die weltweite Öffnung der Märkte muss auf
weltweit gültigen Regeln basieren. Darauf hat - manchen mag das erstaunen -
auch schon Adam Smith hingewiesen: Der Markt braucht einen Rahmen - und der
muss heute die sozialen und die ökologischen Bedingungen des Wirtschaftens
festlegen. Ohne Regeln geht jeder Markt zugrunde - und das dient weder
Menschen noch dem Wohlstand der Nationen.
Die weltweite Offenheit der Märkte unserer Tage ist eine große Chance, und
wir können sie im Interesse und um der Wohlfahrt der Menschen willen
gestalten. Gelingt uns das, so können wir auch das große Ziel erreichen,
Freiheit und Demokratie weltweit zur Geltung zu bringen. Das ist die neue,
die aktuelle Herausforderung der alten demokratischen, aber auch der alten
industriellen Traditionen, für die Ihr Land in besonderer Weise steht.
Dieses Ziel verbindet uns freundschaftlich und dauerhaft über den Atlantik
hinweg.
VI.
Auf die transatlantischen Beziehungen wird es entscheidend ankommen, wenn
wir die Herausforderungen in unserer einen Welt erfolgreich bewältigen
wollen. Unsere Beziehungen ruhen auf einem festen Fundament. Natürlich
können sie, wie alle engen Beziehungen, nur funktionieren, wenn wir sie
dauerhaft und aufmerksam pflegen.
Uns verbinden gleiche Wertvorstellungen, persönliche Beziehungen und ein
intensiver Handelsaustausch. 60 % der ausländischen Investitionen in den
Vereinigten Staaten stammen aus der Europäischen Union, 45 % der
amerikanischen Auslandsinvestitionen gehen nach Europa. Die Europäische
Union und die Vereinigten Staaten sind die Wirtschaftsregionen, die weltweit
am stärksten miteinander verflochten sind.
In der Mitarbeit unserer Ländern in den Vereinten Nationen, in der NATO und
in der OSZE kommt unsere Überzeugung zum Ausdruck, dass sich die großen
Herausforderungen der internationalen Politik am besten durch gemeinsames
Handeln bewältigen lassen.
Zwei neue Faktoren werden das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten
und Europa in Zukunft mit bestimmen: Ein neues Element in den
transatlantischen Beziehungen ist der Euro, der am 1. Januar 2002 ohne
nennenswerte Probleme erfolgreich in Europa eingeführt worden ist. Es ist
ein einheitliches Währungsgebiet entstanden, in dem etwa genau so viele
Menschen leben wie in den USA. Damit hat die Europäische Union ein Symbol
der Integration erhalten, das für jedermann sichtbar und fassbar ist. Ich
bin davon überzeugt, dass der Euro wie der Dollar eine starke international
geschätzte Währung für Kapitalanlage, Transaktionen und für Reservezwecke
werden wird.
Dazu kommen wird die Erweiterung der Europäischen Union. Ihr Ziel ist es,
politische Stabilität und wirtschaftliche und soziale Sicherheit auf Mittel-
und Südosteuropa auszudehnen. Damit leistet Europa auch einen substantiellen
Beitrag zur globalen Sicherheit, wie auch mit seiner umfassenden
Unterstützung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Staaten
des Mittelmeerraumes.
Europa wird durch Integration und Globalisierung in ganz eigener Weise zu
sich selber finden. Aufgrund unserer spezifischen sozialen Traditionen wird
das anders geschehen als in den USA. Wir haben gerade in Deutschland mit der
Zusammenarbeit der Tarifparteien gute Erfahrungen gemacht; ohne die
Gewerkschaften wäre das deutsche Wirtschaftswunder nicht möglich gewesen,
ohne die Gewerkschaften hätten wir heute nicht das Wohlstandsniveau und den
sozialen Frieden, um den uns viele beneiden.
Aus seiner fortschreitenden Einigung kann Europa Stärke gewinnen, wenn die
Europäer bereit sind, den eingeschlagenen Weg entschlossen weiter zu gehen.
Dann können wir auch künftig gemeinsam mit den USA international
Verantwortung übernehmen. Europa und die USA sind strategische Partner, wenn
es darum geht, Demokratie und Menschenrechte, Freiheit und Gerechtigkeit zu
fördern und zu verteidigen. Ziel der deutschen Politik ist ein
selbstbewusstes und starkes Europa, das seine Interessen und seine
Verantwortung für die Welt wahrnimmt.
Der Erfolg künftigen Handelns - wirtschaftlich wie politisch - liegt nicht
in Abschottung oder in einer Politik einsamer Entschlüsse. Gerade der
Einsatz militärischer Mittel muss weltweit akzeptiert sein, wenn er
nachhaltig Erfolg haben soll. Daher war es auch so wichtig, dass die
amerikanische Antwort auf die Terrorangriffe vom 11.09. nach sorgfältigen
Konsultationen erfolgt ist und vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
legitimiert war. Darum hat die eindrucksvolle, weltweite Koalition zum Kampf
gegen den Terrorismus zusammengefunden.
Globalisierung heißt eben nicht: Der Starke ist am mächtigsten allein. Die
Partner müssen bereit sein, miteinander zu sprechen, aufeinander zu hören -
aber dann gemeinsam zu handeln. Der selbstbewusste und der freundschaftliche
Umgang miteinander - das ist eine Perspektive, die mir gut gefällt.
Präsident Bush hat in seiner Rede zur Lage der Nation am 30. Januar gesagt,
und ich zitiere: "Wir müssen verhindern, dass die Terroristen und die
Regime, die nach chemischen, biologischen oder nuklearen Waffen streben, die
Vereinigten Staaten oder die Welt bedrohen können". Ich kann nur zustimmen.
Was läge dann näher, als die entsprechenden Rüstungskontrollvereinbarungen
zu stärken und auch als wirksame Instrumente der Terrorismusbekämpfung
auszugestalten?
VII.
Durch die furchtbaren Anschläge vom 11.09. hat unsere Partnerschaft eine
ganz neue Bedeutung erhalten. Die transatlantischen Beziehungen sind
verstärkt ins politische Zentrum gerückt, sie gestalten sich dichter und
sind in vielen ihrer Aspekte schärfer konturiert.
Inzwischen blicken wir über die unmittelbare Bedrohung hinaus. Wir fragen
uns, was Menschen bewegt, solch mörderische Taten gut zu heißen. Ich stimme
Außenminister Powell zu, der auf der Tagung des Weltwirtschaftsforums in New
York darauf hingewiesen hat, dass wir den Kampf gegen den Terrorismus und
seine Ursachen nicht nur als militärische Herausforderung begreifen dürfen.
Wir müssen diese Auseinandersetzung ebenso entschieden an einer zivilen
Front führen und Armut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit die Grundlage
entziehen, wie Colin Powell gesagt hat. Wo Menschen Demokratie, Freiheit und
Gerechtigkeit erleben, da werden sie terroristischer Verführung widerstehen.
Darum brauchen wir auch eine weltweite Koalition gegen Hunger und Elend.
Die Politik Amerikas und seiner Partner ist in der Vergangenheit immer dann
besonders erfolgreich gewesen, wenn sie nicht nur auf wirtschaftliche und
militärische Stärke, sondern auch auf die Überzeugungskraft ihrer Konzepte
und Ideen gesetzt hat. Nur so konnte die Ost-West-Konfrontation friedlich
überwunden werden. Wir waren entschlossen, uns zu verteidigen und die dafür
erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen. Wir haben - mit der KSZE und
einer Politik der Verständigung - aber auch auf die Mittel der Diplomatie
und die Kraft des Dialoges gesetzt. Darauf sollten wir auch heute vertrauen,
wenn es darum geht, dem Ideal einer freiheitlichen und gerechten
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung weltweit Geltung zu verschaffen.
In der globalisierten Gesellschaft gibt es nur gemeinsame Sicherheit. Gerade
wir in Deutschland haben erlebt, dass es nicht Mauern und Waffen sind, die
dauerhaft vor Bedrohung schützen, sondern Freiheit, Wohlstand und
Demokratie. Was die Kraft dieser Werte bewirken kann, daran werden wir in
Berlin täglich erinnert, wenn wir durch das seit zwölf Jahren wieder offene
Brandenburger Tor fahren.
Diese Idee von Freiheit und Gerechtigkeit ist doch auch mit der Inschrift
auf dem Sockel der Freiheitsstatue gemeint, die all jene Menschen begrüßt,
die ihre Heimatländer aufgrund wirtschaftlicher Not oder politischer
Verfolgung verlassen haben: "Gebt mir eure armen, obdachlosen, bedrängten
Massen."
Das ist der Kern einer Botschaft, die von jeder freiheitsliebenden Nation
ausgehen sollte: Es sind die freien Staaten, die in einer Allianz gegen den
Terror zusammenstehen und die ein weltweites Bündnis gegen Hunger, Armut und
Verfolgung bilden.
Freiheit, Demokratie und gemeinsame Sicherheit mit den Vorteilen eines
globalen Marktes zu verbinden: Das ist die große Zukunftsaufgabe. Dazu
brauchen wir Selbstvertrauen und Respekt vor den Vorstellungen anderer
Kulturen. Dazu brauchen wir klare Wertmaßstäbe, aber keine Feindbilder.
Ich bin zuversichtlich, dass wir dieser Aufgabe gerecht werden können -
damit dieser Traum, der Amerika und Europa eint, für die Menschen überall
auf der Welt in Erfüllung gehen kann.
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