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Afro-amerikanische Hoffnung

Auch ein Obama-Sieg wäre nicht das Ende der Rassendiskriminierung

Von Reiner Oschmann *

Am Dienstag wird der 44. Präsident der USA gewählt, und allein die Tatsache, dass anders als in allen 43 vorangegangenen Fällen erstmals die Möglichkeit eines nichtweißen Staatschefs besteht, macht 2008 zum besonderen Jahr.

»Egal, ob Barack Obama gewinnt oder nicht, der bloße Fakt der erstmaligen Kandidatur eines nichtweißen Präsidentschaftsanwärters auf dem Ticket einer der beiden großen Parteien signalisiert etwas, was es bisher nicht gab. Er bedeutet, dass der mit dem Wahlrecht für Schwarze 1965 eingeschlagene Weg sein Ziel erreicht hat. Wir brauchen nicht länger über Benachteiligung zu reden«, meint Abigail Thernstrom, weiße und konservative Vizevorsitzende der United States Commission on Civil Rights. Sollte Senator Obama (Demokratische Partei) gewählt werden, hieße das wirklich Ende gut, alles gut für die Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten?

Der schwarze Kolumnist der »Washington Post« Eugene Robinson hatte nach Obamas Erfolg über Rivalin Hillary Clinton in den Vorwahlen dazu appelliert, »einen Moment lang innezuhalten und sich die unglaubliche Entwicklung bewusst zu machen, die gerade stattgefunden hat«. Mit seinem Sieg habe Obama, Sohn einer weißen Mutter und eines afrikanischen Vaters, mehr erreicht »als nur die mächtigste und erfinderischste Maschine seiner Partei auszumanövrieren. Er musste zugleich 389 Jahre amerikanische Geschichte herausfordern – und besiegen.« Robinson erinnerte an die Landung der ersten afrikanischen Sklaven 1619 an der amerikanischen Küste in Jamestown. Auch er erklärte, dass man unabhängig von Obamas Sieg »nach 389 langen Jahren schon jetzt sagen kann: Das Land wird nie mehr das alte sein.«

Das Urteil ist berechtigt, denn 40 Jahre nach der Ermordung Martin Luther Kings hat sich die Situation der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA in vielen, jedoch längst nicht in allen Punkten verbessert. Von den heute 300 Millionen Einwohnern des Landes sind 40 Millionen Afroamerikaner. Damit sind sie nicht länger größte ethnische Minderheit. Das ist die Bevölkerungsgruppe hispanischer Abstammung. Sie beträgt inzwischen 45 Millionen und wuchs von 2000 bis 2008 um fast ein Drittel; die Zahl der Schwarzen nahm um neun, die der Weißen um zwei Prozent zu.

Als King starb, lebten laut Statistikamt 40 Prozent der Schwarzen unter der Armutsgrenze, weitere 20 Prozent nur geringfügig über dieser Schwelle. Heute stecken nach offiziellen Angaben noch 25 Prozent in der Armutsfalle. Die Differenzierung innerhalb der afroamerikanischen Gruppe hat sich stark verändert: Vor 40 Jahren verfügten weniger als zwei Prozent der Schwarzen-Haushalte über ein Jahreseinkommen von 100 000 Dollar (nach heutiger Kaufkraft); heute sind es rund zehn Prozent. 162 Afroamerikaner sitzen gegenwärtig in den Aufsichtsräten der 200 größten Unternehmen des Landes, 900 000 besitzen derzeit eine eigene Firma – sieben Mal so viele wie vor drei Jahrzehnten.

Aber: Die in Armut lebenden 25 Prozent der Afroamerikaner haben es nach allgemeinem Urteil heute schwerer als vor 40 Jahren, dieser Falle zu entrinnen. Barack Obama: »Die Kluft in der Gesellschaft verläuft nicht mehr zwischen den Rassen, sondern zwischen den Klassen. Die reichen Schwarzen und Weißen müssen den Armen helfen. Allen Armen: weiß, schwarz, hispanisch, asiatisch.«

Die Wohlstandslücke zwischen Weiß und Schwarz ist kleiner geworden, bleibt aber groß. 2006 betrug das Durchschnittseinkommen von Afroamerikanern laut Statistikamt weniger als zwei Drittel von dem der Weißen. Untersuchungen zeigten zudem, so die »New York Times«, »dass Firmen oftmals weiße Bewerber schwarzen selbst dann vorziehen, wenn ihr Bildungshintergrund und die Arbeitserfahrungen nahezu gleich sind«. Beträchtliche Veränderungen zum Positiven für die afroamerikanische Bevölkerungsgruppe stehen folglich neben hartnäckigen, teilweise erhöhten Hürden. Auch die Möglichkeit eines erstmals nicht-weißen Präsidenten löst auf Seiten der schwarzen Bevölkerung nicht nur Stolz und Vorfreude, sondern auch Sorge vor neuen Gefährdungen aus.

Der afroamerikanische Soziologe Roderick J. Harrison, der während des Wahlkonvents der Demokraten in Denver die Nominierung Obamas in der Familie mit einer Flasche Champagner beging, erklärte der »New York Times«: »Ich habe die Sorge, dass künftig ein Teil der schwarzen Bevölkerung noch schwerer als bisher erreicht werden könnte, weil der Durchschnittsbürger sagen wird: Nun mal langsam – wenn wir sogar einen schwarzen Präsidenten bekommen können, muss sich das Thema Rassendiskriminierung doch erledigt haben.« Doch so historisch Obamas Nominierung auch sei, »er ist kein endgültiger Sieg im andauernden alltäglichen Kampf«. Charles Steele, Präsident der Southern Christian Leadership Conference, jener Bürgerrechtsorganisation, die King gründete, ergänzt: »Wir sind noch nicht angekommen. Wir müssen weitermarschieren und für Gerechtigkeit und Gleichheit demonstrieren.«

* Aus: Neues Deutschland, 1. November 2008


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