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Super. Macht. Spielchen

Vom "Shutdown" zum "Last Stand"? US-Präsident und Opposition testen mit Behördenschließungen und Zwangsurlaub für Staatsdiener ihre Spielräume

Von Rainer Rupp *

Vor allem wird gelogen. Trotz hitziger Auseinandersetzungen im US-Kongreß über den »Shutdown« – also den »Stillstand« der Arbeit der Bundesbehörden wegen des fehlenden Etats – hat das Ganze nichts mit der »Sorge um das Wohl des amerikanischen Volkes« zu tun. Das schert weder die Demokratische Partei des Präsidenten Barack Obama, noch die oppositionellen Republikaner. Vielmehr glauben beide Seiten, aus dem erzwungenen Stillstand für sich Honig saugen zu können. Das ist auch der Grund für die herausgestellte Kompromißlosigkeit.

Bei den Republikanern sind es die wortführenden Marktradikalen der »Tea Party«-Bewegung. Geradezu fanatisiert fordern sie einschneidende Kürzungen bei den Sozialausgaben, ja sogar deren Abschaffung. Um dies zu erreichen sind sie offenbar bereit, den Shutdown über den 17. Oktober hinaus zu verlängern. Bis zu diesem Termin müßte es eine Einigung beider Parteien im Kongreß zur Erhöhung der Staatsschuldenobergrenze geben. Ansonsten würde den USA die Zahlungsunfähigkeit drohen – worauf die Teeparteigänger ihre Hoffnungen setzen.

Auf der anderen Seite zeigt sich Obama ebenso kompromißlos. Er hat es geradezu darauf angelegt, die Kontrahenten bis aufs Blut zu reizen und zugleich von ihnen die bedingungslose Kapitulation zu fordern. Das tut er, indem er erklärt, er werde erst dann mit den Republikanern über Haushaltskürzungen verhandeln, wenn diese seinem aktuell blockierten Budget und der Erhöhung des Schuldenobergrenze zugestimmt haben.

Umfragen haben übereinstimmend ergeben, daß die Mehrzahl der US-Bürger die Republikaner für die aktuelle Krise verantwortlich machen. Das bestärkt Obamas politisches Kalkül. Dennoch: Zu einem »Last Stand«, einem regelrechten Finalkampf, wird es wohl nicht kommen. Der Vorsitzende der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus John Boehner bemüht sich derzeit intensiv darum, die schlimmsten Folgen für seine Partei abzuwenden und mit einer Gruppe gemäßigter Politiker gemeinsam mit Obama und dessen Demokraten vor dem Pleitetermin doch noch einen tragfähigen Kompromiß zu erreichen.

Auch trifft der Shutdown nur einen Teil – nämlich die vorübergehend entbehrlichen – Aktivitäten der Bundesbehörden. So sind beispielsweise Museen oder Nationalparks geschlossen. Doch die Sache hat auch erfreuliche Aspekte: Die NSA mußte 6000 ihrer insgesamt 40000 Cyberspione in den unbezahlten Urlaub schicken, weil sie Jobs ausüben, die »für den Schutz der USA nicht absolut notwendig« sind. Wahrscheinlich sind damit Aktivitäten wie das Ausspionieren der EU oder der deutschen Wirtschaft gemeint.

Die Ausgaben für die »Sicherheit der Nation«, wie z.B. die Fortführung der Kriege und den Einsatz von Obama’s Killerdrohnen, für deren Betrieb auch die NSA von großer Bedeutung ist, bleiben dagegen unangetastet. Gleiches gilt für die Gelder zur weiteren Militarisierung der Polizei, für den Ausbau des Überwachungsstaats und für die zahlreichen Spionageprogramme. Demokraten und Republikaner in beiden Häusern des Kongresses (Senat und Repräsentantenhaus) sind sich auch einig, daß trotz aller »Haushaltszwänge« die Militärausgaben im nächsten Jahr weiter real um 20 Milliarden Dollar (plus 3,3 Prozent) steigen sollen. Der durch den wirtschaftlichen Niedergang des Landes erschütterte Hegemonialanspruch soll offensichtlich durch die weitere Stärkung der Militärmaschinerie kompensiert werden. Dabei wird vergessen, daß die absurd überzogenen Rüstungsausgaben maßgeblich zur Schuldenkrise der USA beigetragen haben.

Ein vorübergehender Shutdown ist noch keine Katastrophe. Der letzte dauerte über die Jahreswende 1995/96 drei Wochen und kostete die Clinton-Regierung zwei Milliarden Dollar am Tag. Gemessen am jüngsten US-Bundeshaushalt wäre das knapp über ein Viertel Promille. Gefährlich für Wall Street und die internationale Zockerbranche würde es erst, wenn die USA am 17. Oktober nicht alle ihre fälligen Schulden zahlen könnten, juristisch also die Zahlungsfähigkeit festgestellt werden müßte. Daher haben sowohl Notenbank (Fed) als auch Internationaler Währungsfonds (IWF) mit zwei zeitgleich am Donnerstag veröffentlichten Berichten versucht, Republikanern und Demokraten Beine zu machen.

Der Fed-Bericht spricht nicht nur von »katastrophalen Auswirkungen« auf die Finanzmärkte, die Arbeitsplätze, auf Konsum und Wachstum, sondern warnt vor schlimmeren Zusammenbrüchen als 2008, ja sogar vor einer neuen »Großen Depression« wie in den 1930er Jahren. Im IWF-Bericht weist Fondschefin Christine Lagarde darauf hin, daß ohne Erhöhung der US-Schuldenobergrenze nicht nur die Vereinigten Staaten in den wirtschaftlichen Abgrund stürzen werden, sondern der Rest der Weltwirtschaft ihnen folgt. Indes scheint der Alarm noch nicht ernstgenommen zu werden: Die Börsenkurse verharren derzeit knapp unter ihrem Allzeithoch.


Schuldenbremse auf amerikanisch

Zu Lust und Risiken des Kapitalverkehrs

Von Lucas Zeise **


Präsident Obama hat am Mittwoch Vertreter der Hochfinanz ins Weiße Haus geladen. Nach diesem Treffen wurden wie üblich die Mikrofone im Garten aufgebaut, und die Herren durften – ganz ohne den Präsidenten – der US-Öffentlichkeit ihre große Besorgnis kundtun. Lloyd C. Blankfein, Chef der mächtigsten Bank der Welt, Goldman Sachs, ließ keinen Zweifel daran, daß er in der Auseinandersetzung der Regierung mit der ganz rechten Opposition auf der Seite Obamas steht. Die Pleite des Staates wäre das Schlimmste, was passieren könne. Die aber drohe, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Schuldengrenze nicht angehoben werde. »Wir sind die Reservewährung der Welt«, sagte Blankfein, sich nicht ganz zu Unrecht mit dem Dollar identifizierend, deshalb käme die Zahlungsunfähigkeit der USA einer Katastrophe gleich.

Zahlungsunfähigkeit, auch Pleite genannt, gilt nach den Gesetzen des internationalen Finanzmarktes (die ihrerseits aus der britischen und US-amerikanischen Gesetzgebung stammen) dann als gegeben, wenn der Schuldner bei Zahlung von Zins oder Tilgung auch nur die kleinste Verzögerung entstehen läßt. Alle Gläubiger haben dann das Recht, ihren Kredit mit welcher Laufzeit auch immer, sofort zurückgezahlt zu bekommen. Wenn das passiert, ist der Schuldner tatsächlich zahlungsunfähig. Aber müssen wir uns wirklich Sorgen machen? Herrn Blankfeins Kollegen scheinen es nicht so zu sehen. Als Griechenland ab 2010 als akuter Pleitekandidat galt, schossen die Zinsen für die Anleihen des Landes auf über zehn, zeitweise auf über 20 Prozent. Wie hoch sind die Zinsen für US-Staatsanleihen in diesen aufregenden Tagen? Für Zehnjahrespapiere muß Washington 2,6 bis 2,7 Prozent bezahlen. Das ist mehr als vor einem Jahr. Angst vor der US-Staatspleite kann man aber aus diesem Zins beim schlechtesten Willen nicht herauslesen.

Blankfeins Spekulantenkollegen haben, wie so oft in Dingen des Finanzmarktes, recht. Die Staatspleite der USA droht nicht. Bei allen Differenzen sind sich Obama und Rechtsaußenopposition einig: Unter allen Ausgaben, die der Staat zu leisten hat, ist allein die Bedienung der Schulden heilig. Sie wird gewährleistet werden. Deshalb schlafen die Investoren ruhig und können das auch. Für die Bürger der Vereinigten Staaten von Nordamerika ist die Sache weniger erfreulich, für die Staatsangestellten noch weniger. Letztere werden befristet entlassen. Erstere müssen eine Weile auf einige, ohnehin kärgliche Leistungen des Staates verzichten. Die Schuldenbremse in den USA, von den ganz Rechten vor 18 Jahren schon gegen den damaligen Präsidenten Clinton in Stellung gebracht, hat keinesfalls zu mäßigeren Schulden geführt, sie hat auch nicht die Profite der Banken mit den Schuldtiteln des Staates gebremst, sondern sie hat zu allen sonstigen Malesten den US-Bürgern weitere Nachteile aus schlechter Regierung beschert. So eine schöne Schuldenbremse haben CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD im deutschen Grundgesetz eingebaut. Die USA zeigen uns heute schon, welche Wirkung so etwas haben wird.

Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Frankfurt am Main.

** Aus: junge Welt, Samstag, 5. Oktober 2013


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