Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Parteitage verlieren an Gewicht

Der Kandidaten-Nominierungsprozess erlebte manche Veränderungen

Von Reiner Oschmann *

Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika ist nicht der alleinige, aber einer der Gründe für manche Veränderung im Nominierungsprozess der Präsidentschaftskandidaten. Die US-Verfassung enthält keine regelnde Vorgaben zum Nominierungsverfahren innerhalb der Parteien. Grund: Als die Constitution Ende des 18. Jahrhunderts (1787) ratifiziert wurde, gab es keine politische Parteien in der jungen Republik und für die Gründerväter keinen Handlungsbedarf auf diesem Gebiet. Die seit langem die Parteienlandschaft beherrschenden und die jeweiligen Präsidenten stellenden Republikaner (1854) und Demokraten (1828) entstanden erst später.

Im wesentlichen seit 1832 hielten die damals meist kleineren Parteien Nominierungsparteitage auf Bundesebene ab. Sie wurden von den Delegierten der Bundesstaaten besucht, um ihre Kandidaten für das Amt von Präsident und Vizepräsident zu bestimmen und sich auf politische Positionen zu einigen. Auch die heute üblichen Vorwahlen (Primaries) erlebten ein Auf und Ab. Hielten zum Beispiel 1916 mehr als die Hälfte der Bundesstaaten Vorwahlen ab, gab es 20 Jahre später nur noch ein Dutzend Bundesstaaten mit Primaries – die zentralen und regionalen Parteibosse sahen darin eine Bedrohung ihrer Macht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs der Druck zugunsten einer Demokratisierung des Vorwahl- und Nominierungsverfahrens erneut. Heute organisieren fast alle Bundesstaaten Primaries. In den vergangenen Jahren vollzog sich eine Veränderung, die sowohl den Charakter der Primaries als auch den Stellenwert der Nominierungsparteitage berührt: Mehr und mehr Bundesstaaten zogen ihre traditionellen Termine für die Vorwahlen bzw. regionalen Parteiversammlungen (Caucus) vor, in der Hoffnung, damit einen größeren Einfluss auf die endgültige Auswahl des Präsidentschaftskandidaten von Demokraten bzw. Republikanern zu gewinnen. Dieser Trend hat die Präsidentschaftsbewerber gezwungen, ihren Wahlkampf immer früher und mit immer größerem Geldeinsatz zu beginnen. Der Präsidentschaftswahlkampf 2008 läuft daher im Grunde seit zwei Jahren.

Eine Folge dieses Wandels ist der anhaltende Bedeutungsverlust der Nominierungsparteitage als Höhepunkt der Vorwahlkampfsaison. In der Regel stehen die designierten Präsidentschaftskandidaten lange vorher fest, und der Parteitag – von je in den USA auch Jahrmarkt der Luftballons, Konfettikanonen und des politischen Budenzaubers – ist nichts weiter als eine »extrem teure Wahlkundgebung« (»Los Angeles Times«). Zum Gewichtsverlust der Wahlkonvente trägt inzwischen auch der Einfluss des Internets bei, der in keinem Präsidentschaftswahljahr so groß wie dieses Mal war. Die Kandidaten und deren Wahlkampforganisationen versuchen es vor allem als Instrument zum Sammeln von Spendengeldern, aber auch zur Verbreitung ihrer politischen Standpunkte zu nutzen.

Die gigantischen Summen, die Wahlparteitage wie der jetzige in Denver und der der Republikaner kommende Woche in Minnesota verschlingen, unterstreichen den Krönungsmesse-Charakter der Konvente. Die Demokraten kalkulieren für die viertägige Denver-Show momentan mit 70 Millionen Dollar. Selbst wenn diese Summe am Ende nicht nochmals überzogen werden sollte, wären das etwa 14 Mal so viel wie 1992, als Bill Clinton im Sommer nominiert und im Herbst gewählt wurde.

Trotz der enormen Gelder, die im bisherigen Vorwahlkampf namentlich durch Senator Barack Obama mobilisiert werden konnten, geraten die beiden großen Parteien zunehmend an Schmerzgrenzen. Auch die Lobbyisten-Millionen, die im Umfeld der Wahlkonvente in Erwartung späterer politischer Gefälligkeiten aus Washington besonders reichlich fließen, vermögen diese Klemme immer weniger zu kaschieren. Es gilt daher als wahrscheinlich, dass 2008 der Anfang vom Ende der super-teuren und super-leeren Riesenparteitage sein wird.

* Aus: Neues Deutschland, 26. August 2008

US-WAHLEN: Häufig gestellte Fragen zu den Parteitagen

Parteiversammlungen haben sich im Verlauf von einem Jahrhundert entwickelt

Im Folgenden dokumentieren wir eine Übersicht über häufig gestellte Fragen zu den US-Parteitagen. Die Übersetzung aus dem Amerikanischen besorgte der Amerika Dienst. **

Warum werden nationale Parteitage (political conventions) abgehalten?

Die Abläufe der nationalen Parteiversammlungen haben sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert entwickelt, aber ihr Zweck ist derselbe geblieben - die Nominierung von Präsidentschaftskandidaten und die Formulierung von Zielen und Prioritäten für die Partei.

Der erste Parteitag wurde 1831 abgehalten, als die Anti-Mason-Partei in einem Saloon in Baltimore zusammenkam, um Kandidaten zu wählen und ein Parteiprogramm für den Wahlkampf zu beschließen. Im nächsten Jahr trafen sich die Demokraten im selben Saloon, um ihre Nominierten auszuwählen. Seit damals haben die großen und die meisten kleineren Parteien nationale Nominierungstreffen abgehalten, an denen die Delegierten eines Bundesstaates teilnahmen, um ihre Kandidaten für das Amt des Präsidenten und des Vizepräsidenten zu bestimmen und sich über politische Standpunkte zu einigen.

Während des 19. Jahrhunderts und des Großteils des 20. Jahrhunderts unterlagen die nationalen Parteiversammlungen der Kontrolle der Parteiführung der Bundesstaaten, obwohl sie von vielen Parteianhängern besucht wurden. Diese politischen "Bosse" nutzten ihren Einfluss, um die Parteitagsdelegierten ihres Staates per Hand zu verlesen, die dann ihren Präsidentschaftskandidaten wählen würden. Gegner dieses Systems forderten Reformen, um es normalen Wählern zu ermöglichen, die Parteitagsdelegierten auszuwählen. So kam es zur Einführung der Vorwahlen (primary elections). 1916 hielten mehr als die Hälfte der Bundesstaaten Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl ab. Das System der Vorwahlen verlor während des Ersten Weltkriegs an Bedeutung, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aber wieder beliebter.

Die ersten Parteiversammlungen waren bunt, es wurde gestritten, und es gab viele lange Reden und Debatten, aber ein Großteil der Arbeit wurde auch von der Parteiführung und den wichtigsten Unterstützern in privaten Treffen geleistet, die als "rauchige Hinterzimmer" bekannt wurden - was schließlich zu einem politischen Klischee der US-Politik wurde.

Da die Vorwahlen und Parteiversammlungen (caucuses) jetzt bestimmen, wen die Delegierten wählen, ist der Präsidentschaftskandidat normalerweise schon Monate vor dem nationalen Parteitag bekannt. Die Nominierungswahl beim Parteitag ist eine Formalität, aber weiterhin eine wichtige. Sie dient als offizielle Einführung des Kandidaten einer Partei, ist ein Beleg für die Geschlossenheit der Partei und stellt den Auftakt des allgemeinen Wahlkampfes dar.

Ursprünglich besuchten die Präsidentschaftskandidaten die Parteitage nicht, bis Franklin D. Roosevelt im Jahr 1932 mit dieser Tradition brach. Auf den heutigen Parteitagen gilt die Rede des Kandidaten als Höhepunkt der Veranstaltung.

Wann und wo finden die Parteitage 2008 statt?

Die Demokraten treffen sich vom 25. bis 28. August in Denver. Die Republikaner treffen sich vom 1. bis 4. September in den Zwillingsstädten von Minnesota, Minneapolis und St. Paul. Erwartungsgemäß werden mehr als 45.000 Personen - darunter Parteimitglieder, Delegierte, Journalisten, Sicherheitskräfte und andere Dienstleister - in die jeweiligen Städte reisen und ihnen Millionen Dollar an Einnahmen bescheren.

Was ist der typische Ablauf einer Parteiversammlung?

Der genaue Ablauf ist jedes Jahr und von Partei zu Partei anders. Die Beteiligung des Fernsehens hat viele Parteitagstraditionen verändert - die Parteien legen heute ihre wichtigsten Events und bekanntesten Redner in die Primetime (von 20 bis 23 Uhr Ostküstensommerzeit).

Die ganze Woche über halten führende Parteimitglieder und Delegierte hinter den Kulissen informelle Treffen oder offizielle Ausschusssitzungen ab. Die formelleren Parteitagsaktivitäten werden manchmal erst im letzten Moment endgültig beschlossen, aber das zu erwartende Programm lässt sich grob umreißen:

1. Tag: Der Parteitag wird vom Parteivorsitzenden zur Ordnung gerufen und bedeutende lokale Parteimitglieder halten Begrüßungsreden. Die Satzungsausschüsse treffen sich, um verfahrensrechtliche Fragen wie die Akkreditierung der Delegierten abschließend zu klären. Wichtige Parteimitglieder wie der amtierende Präsident oder aufstrebende Persönlichkeiten innerhalb der Partei halten am Abend Reden. Eine der aufstrebenden Persönlichkeiten, die 2004 auf der Nationalversammlung der Demokraten sprachen, war Senatsanwärter Barack Obama.

2. Tag: Die routinemäßige Arbeit der Ausschüsse wird fortgesetzt. Die führenden Parteimitglieder treffen sich, um das Programm der Partei, eine Erklärung über die politische Philosophie und die Ziele für die nächsten vier Jahre fertigzustellen. Die Parteiprogramme werden normalerweise schon vor dem Parteitag von einem Ausschuss erarbeitet, aber dieser Entwurf wird dann während des Parteitags erörtert und überarbeitet. 2008 bitten die Republikaner ihre Parteimitglieder, ihre Standpunkte online mitzuteilen. Am Abend folgen weitere Reden.

3. Tag: Manchmal werden die Programmdebatten auch noch an diesem Tag fortgeführt, aber das wichtigste Ereignis ist die offizielle Ernennung des Präsidentschaftskandidaten. Ein Parteimitglied stellt den Nominierungsantrag. Ein anderes Mitglied schließt sich dem Antrag an. Dann beginnt die Wahl und alle Delegationen der Bundesstaaten werden aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. Da die Stimmen der meisten Delegierten je nach Ergebnis der Vorwahlen oder Caucuses an einen bestimmten Kandidaten gebunden (oder fest zugesagt) sind, ist das Ergebnis der Abstimmung selten überraschend. In den vergangenen Jahren hielt am Abend auch der Wunschkandidat des Präsidentschaftskandidaten für das Amt des Vizepräsidenten eine Rede.

4. Tag: Der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten wird offiziell nominiert. Am Abend finden die Aktivitäten der vergangenen vier Tage ihren Höhepunkt in der Dankesrede des Präsidentschaftskandidaten. Zum ersten Mal seit 1960 hat sich ein Präsidentschaftsbewerber dafür entschieden, seine Dankesrede nicht auf dem Parteitag zu halten. Barack Obama plant stattdessen, in einem nahe gelegenen Football-Stadium in Denver zu sprechen, das eine viel größere Anzahl von Zuhörern fasst als der Saal auf dem Parteitag.

Gibt es bei den Parteitagen 2008 irgendetwas Neues?

Beide Parteien haben zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um diese Parteitage zu den umweltfreundlichsten Parteitreffen zu machen, die es jemals gab.

Es wird auch mehr Blogger geben, die über die Parteitage berichten, als jemals zuvor, und eine Rekordzahl von Medienorganisationen planen Webcasts von den Parteitagen. Zum ersten Mal wird der Parteitag der Demokraten live auf Spanisch übertragen.

** Originaltext: Frequently Asked Questions on Political Conventions Siehe: http://www.america.gov/st/elections08-english/2008/August/20080804174936hmnietsua0.5952417.html?CP.rss=true




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