"Das ist größer als wir selber"
So schnell wie kein anderer USA-Politiker vor ihm hat Barack Obama den steilen Aufstieg zum Gipfel der Macht geschafft
Von John Dyer, Boston *
Barack Obama hat so schnell wie kein anderer Politiker vor ihm in den USA den Aufstieg aus dem Nichts zum Gipfel der Macht vollzogen. Seine Karriere beruht nicht zuletzt auf einem starken Selbstbewusstsein, Gelassenheit und Redegewandtheit – und einer Kindheit und Jugend voller Brüche.
Paul Beatty hat es zuerst formuliert. »Mich beeindruckt an Obama, dass er wie jeder echt coole
Mensch gar nicht zu wissen scheint, wie cool er ist«, schrieb der Schriftsteller in einem Aufsatz für
den »New York Republican« im Frühjahr. Damals hatte Obama gerade erst alle anderen
demokratischen Bewerber überholt und war dabei, der Favoritin Hillary Clinton die fast schon sichere
Präsidentschaftskandidatur abzunehmen.
Inzwischen ist das Bild vom »coolen« Obama Allgemeingut. »News-week«, eines der
meistgelesenen Magazine der USA, titelte Anfang Oktober: »Mr. Cool vs Mr. Hot« – der 47-jährige
abgebrühte Obama gegen den 72-jährigen Heißsporn John McCain.
Eine Kindheit voller Brüche
Obamas sympathische Abgebrühtheit zog die Wähler an. Er ist so charismatisch, dass McCain nicht
anders konnte, als sich aggressiv zu gebärden. Dabei ist das Leben des 1961 in Hawaii geborenen
Obama alles andere als frei von Brüchen gewesen. Als Sohn einer Weißen aus Kansas und eines
Schwarzen aus Kenia fiel er von Anfang an zwischen alle Lager: kein Weißer mehr, aber auch kein
echter Afroamerikaner. Die Ehe seiner Eltern zerbrach rasch. Der Vater ging früh zurück nach Kenia
und starb bei einem Autounfall. Der junge Barack ging mit seiner Mutter und ihrem neuen Mann
nach Indonesien, lebte später bei der Großmutter in Hawaii.
Die unruhigen Umstände seines Lebens waren ihm Ansporn, den Aufstieg zu versuchen. Nach dem
College in Los Angeles ging er an die Columbia Universität in New York und studierte
Politikwissenschaften. In Chicago arbeitete er danach als Sozialarbeiter für eine gemeinnützige
Organisation. Doch das genügte ihm nicht. Er ging nach Harvard zum Jurastudium. In der
aufgeheizten Atmosphäre der zweiten Hälfte der 80er Jahre bewies er schon damals, dass er
Menschen begeistern kann. Er wurde zu einem der Wortführer jener Studenten, die sich für einen
schwarzen Professor einsetzten. Obama selber brachte es zum Präsidenten der »Harvard Law
Review« – eine Position, die vor ihm noch nie ein Schwarzer besetzt hatte. Doch statt eine
vielversprechende akademische Karriere an der Eliteuniversität einzuschlagen, ging er nach
Chicago zurück, wurde Anwalt und spezialisierte sich auf Bürgerrechte. Ganz ohne das Katheder
wollte er dennoch nicht auskommen: An der Universität Chicago lehrte Obama Verfassungsrecht.
Im ersten Anlauf gescheitert
Dieser vermeintliche Abstieg wurde zur Basis seines Aufstiegs. Bereits 1992 organisierte Obama die
Registrierung schwarzer Wähler in Chicago. Er sorgte auf diese Weise für mehr als 100 000
Stimmen, die dem damaligen demokratischen Präsidentschaftskandidaten zugute kamen. 1996
wurde er schließlich in den Senat von Illinois gewählt. Ein erster Sprung ins Repräsentantenhaus in
Washington scheiterte allerdings vier Jahre später. 2004 gelang ihm jedoch der Einzug in die zweite
Kammer des Kongresses, er wurde Senator.
Obama gewann den Sitz nicht nur bravourös. Im Vorbeigehen begeisterte der unbekannte
Jungpolitiker aus der Provinz auch den Parteitag der Demokraten. Die Grundlage für seine
Präsidentschaftskandidatur war gelegt. Anfangs wurde er nur als Geheimtipp gehandelt. Als er im
Frühjahr 2007 tatsächlich seine Kandidatur bekannt gab, war er lediglich einer unter mehreren. Die
Favoritin hieß Hillary Clinton. Die einstige First Lady hatte Erfahrung und kannte den Politikbetrieb
wie kaum eine andere. Die Wahlkampagne zeigte aber, dass Erfahrung allein nicht zählt. Die
Begeisterungsfähigkeit Obamas wog letztlich schwerer.
Inzwischen ist er in den Augen vieler sogar ein besserer Redner als Bill Clinton oder der
Schauspieler-Präsident Ronald Reagan. Seine Erfahrungen aus afroamerikanischen
Kirchgemeinden mit ihrer starken Predigertradition helfen ihm dabei. Um so auffälliger ist, wie
unwohl Obama sich in Fernsehdebatten fühlt. Ist er nur mit wenigen Menschen statt mit einer
jubelnden Menge konfrontiert, wirkt Obama bisweilen eigenartig steif. Allmählich allerdings scheint er
sich auch an Talkshows zu gewöhnen. So wurde er in einer der Shows auf seine frühere
Nikotinabhängigkeit angesprochen. Seine Antwort war wieder einmal überraschend cool für einen
Präsidentschaftskandidaten: Er habe sich das Rauchen mit Hilfe eines speziellen Kaugummis
abgewöhnt, den auch viele andere US-Amerikaner benutzen. »Dieses Nicorette schmeckt, als würde
man Pfeffer kauen – aber es hilft.« Auch diese Antwort half Obama.
Barack Obama gilt im US-amerikanischen Politikerspektrum als nachdenklicher, pragmatischer
liberaler Mann, der den üblichen Parteienstreit und den Politikstil in Washington zu überwinden
sucht. Den Sieg hat der Vater zweier Töchter nicht zuletzt auch seiner Frau Michelle Robinson zu
verdanken. Mit ihr zieht 16 Jahre nach Hillary Clinton wieder eine Juristin als First Lady ins Weiße
Haus ein – eine selbstbewusste und hochgebildete Frau, die im Wahlkampf mit Intelligenz,
Eloquenz, Fachkenntnis und Eigenständigkeit für Schlagzeilen sorgte.
Der erste Afroamerikaner im Präsidentenamt ist fraglos ein historisches Ereignis. »Das ist größer als
wir selber«, rief Sean »Diddy« Combs unmittelbar vor dem Wahltag bei einem Konzert in Miami aus.
Der Rapper, früher als Puff Daddy bekannt, forderte die Schwarzen auf, wählen zu gehen. »Wir
müssen das tun, für unsere Kinder, für die Menschen, die gestorben sind, damit wir das Wahlrecht
bekamen.« Auch Deddrick Battler, ein afroamerikanischer Hausmeister in Saint Louis, meint: »Das
ist gewaltig. Als ich aufwuchs, dachte ich immer, sie setzen den ins Weiße Haus, den sie haben
wollen. Ich glaubte nicht daran, dass meine Stimme zählt. Das hat sich geändert.« Battle ist 55
Jahre alt und hatte sich bisher nie als Wähler eintragen lassen.
Und auch der 83-jährige Ron Wheeler, ein Weißer aus Berlin, der schon lange in Massachusetts
lebt, votierte für Obama und dessen »Change« – den Wechsel. Weil Präsident Bush den Irak-Krieg
so vermasselt habe.
»Sie werden sich nicht an einem Tag ändern«
Aber es gibt auch warnende Stimmen: »Ich denke, dass es auch ein Schwarzer als Präsident nicht
schaffen wird, die Ansichten derer zu ändern, die ihn nicht mögen, weil er schwarz ist«, sagt der
Afroamerikaner Greg Gregory aus Antioch in Kalifornien. »Schließlich werden sich ihre Ansichten
nicht an einem Tag ändern, weil sie nicht an einem Tag entstanden sind.«
Andere vergleichen Obama allerdings mit Jackie Robinson, dem ersten afroamerikanischen
Baseballspieler, dem nachgesagt wird, die Rassentrennung in dieser Sportart durchbrochen zu
haben. Er war einer der besten »hitter« (Schläger) Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre. »Jackie
Robinson kam nicht in die erste Liga weil er schwarz war – er kam dorthin, weil er ein großartiger
Baseballspieler war«, schrieb Willie Brown, der frühere schwarze Bürgermeister von San Francisco.
»Barack Obama wird nicht zum Präsidenten gewählt, weil er schwarz ist, sondern weil er ein
brillanter Politiker ist.«
Der wird auch dringend gebraucht. Denn die Erbschaft von acht Jahren Bush-Präsidentschaft wiegt
schwer. Den USA drohen eine Rezession und ein Rekorddefizit, der Staat wird aber kaum noch
mehr Schulden aufnehmen können, um weitere Konjunkturpogramme zu finanzieren. Und Obama
muss den kriegsgeschädigten Ruf der USA im Ausland aufbessern.
* Aus: Neues Deutschland, 7. November 2008
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