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Außenpolitische Abkehr von Bush

Präsident Obama macht, was er als Kandidat angekündigt hat

Von Reiner Oschmann *

Außenpolitisch ist der Unterschied, den der neue Präsident in den ersten 100 Tagen im Vergleich zu George W. Bush gemacht hat, nicht vollkommen, aber vollkommen unübersehbar. Nur Engstirnige oder Illusionisten bestreiten das. Unter letzteren gibt es auch Linke. Sie dachten wohl, weil Obama schwarz ist, kann er im Zweifel nur ein Roter sein. Darauf freilich deutete in Obamas Biografie nichts hin, auch sein Wahlkampf lieferte dafür keine Anhaltspunkte. Daran sollte man schon erinnern.

Am auffälligsten ist der Stilwechsel in Washington: Wo immer er bisher im Ausland auftrat, der Präsident Barack Obama hört zu, spricht Probleme offen an und behauptet nicht, Lösungen für alles zu haben. Er verschaffte den USA damit in kurzer Zeit, was diese nach Bush, Irak und Afghanistan, nach Abu Ghoreib, Guantanamo und Waterboarding am meisten brauchten – anfängliches Vertrauen und beginnende Glaubwürdigkeit. Der Bruch zu seinem Vorgänger gerade auf dem Gebiet des Politikstils entspricht dem Wechsel vom Unilateralisten Bush (»Ihr seid entweder mit uns oder mit den Terroristen«) zum Multilateralisten Obama. Dieser Wechsel kam nicht überraschend. Er war im Wahlkampf angelegt und – zum Beispiel – in seinem Auftritt im Berliner Tiergarten letzten Juli zu beobachten. Der Wandel ist nicht selbstlos, sondern interessengeleitet. Obama ist 44. Präsident der USA; er hat sich nicht um den Vorsitz der Kommunistischen Plattform bemüht.

Mit seinem Vorschlag zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt, auch dies hatte Obama an der Siegessäule angesprochen, traf er den Nerv von Millionen Menschen und eine Notwendigkeit, die durch die Schwierigkeit, dieses Ziel zu erreichen, nicht geringer wird. Mit der Bereitschaftserklärung, durch Einschnitte in die US-amerikanischen und russischen Kernwaffenarsenale mit Beispiel voranzugehen, verhält sich Obama als Multilateralist, natürlich taktisch und in der Erkenntnis, dass Länder, die heute Nuklearmächte werden wollen, nicht länger auf die Unterstützung anderer Kernwaffenstaaten angewiesen sind. In Obamas Vorstoß, der einen langen Weg mit offenem Ausgang vor sich hat, geht ein anderes Kalkül ein, das nicht gegen ihn spricht, weil er es im Gegensatz zu Bush ernst nimmt: Die USA haben – wieso eigentlich? – zwar noch immer GI’s in 153 der 192 UNO-Mitgliedstaaten stationiert und ihre Rüstungsausgaben sind noch immer wesentlich höher als die der nächsten zehn Länder zusammen, gleichwohl weisen sie viele Anzeichen einer Großmacht in Ohnmacht auf. Das anzuerkennen ist Indiz für Realitätssinn. Obama scheint ihn zu besitzen.

Im Fall Iraks und Afghanistans, Obamas ungemütlichstes Erbe, fällt die Bush-Abkehr nicht überzeugend aus. Nicht nur, dass er das Versprechen für den Kampftruppenabzug aus Irak bis 31. August 2010 und der restlichen Truppen bis Ende 2011 de facto mit dem Weiterreichen dieser Truppen nach Afghanistan verbindet, auch seine Forderung nach einem verschleiernden Sonderetat in Höhe von 83,4 Milliarden Dollar für den Krieg in beiden Ländern widerspricht seiner Wahlkampfzusage, als Präsident sämtliche Kriegskosten »transparent und ehrlich« im Bundeshaushalt offen zu legen. Obamas Zusicherung der Freiheit vor Strafverfolgung für CIA-Beamte, die an der Folterung von Terrorverdächtigen beteiligt waren, ist eine weitere Inkonsequenz. Mit der von ihm verfügten Veröffentlichung der geheimen Folterprotokolle baut sich gegenwärtig aber ein möglicherweise gewollter Verfolgungsdruck auf, der noch einmal übers Justizministerium zum Tragen kommen könnte.

Barack Obamas auch von russischer Seite gewürdigter Schritt zum Neubeginn der Beziehungen USA–Russland, seine von schonungsloserer Analyse als unter Bush motivierte diplomatische Offensive gegenüber Iran, die ersten Gespräche seit vier Jahren auf hoher Ebene mit Syrien als einem Schlüsselstaat für einen Nahost-Friedensvertrag oder die ersten, gewiss nicht letzten Schritte zur Beseitigung des 47-jährigen Handelsembargos Washingtons gegenüber Kuba – das sind Initiativen, die unter Bush undenkbar gewesen wären. Sie werden stets mit Blick auf US-amerikanische Interessen erwogen und verdeutlichen: Der außenpolitische Wandel ist nicht vollzogen, aber eingeleitet. Die USA Obamas sind mit denen Bushs nicht mehr zu vergleichen.

Zahlen und Fakten

Barack Obama hat so viel Rückhalt unter den Amerikanern wie nur wenige seiner Vorgänger. Bei einer Umfrage des Fernsehsenders CBS und der »New York Times« zeigten sich 68 Prozent der Befragten mit seiner Arbeit zufrieden. Bessere Werte zum gleichen Zeitpunkt hätten seit 1953 nur John F. Kennedy (83 Prozent) und Dwight Eisenhower (72 Prozent) erzielt. George W. Bush hatte damals nur 56 Prozent der Befragten hinter sich.

Die Bürger stimmen Obama in allen wichtigen Themenfeldern, etwa dem Truppenabzug aus Irak (63 Prozent), der Wirtschaftspolitik (61 Prozent) oder der Terrorbekämpfung (55 Prozent) zu. Allerdings glauben nur 37 Prozent an ein Ende der Rezession in Obamas ersten vier Amtsjahren. Nur 44 Prozent glauben, dass das Militär-Engagement in Irak in dieser Zeit wirklich enden wird.

Obama fehlt vor allem noch die Gunst der Republikaner. Weniger als ein Drittel ihrer Anhänger stimmten der Arbeit des Präsidenten zu. Bei den Wählern der Demokraten liegt die Zustimmung bei 90 Prozent. dpa/ND



* Aus: Neues Deutschland, 29. April 2009


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