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Wandelt Obama doch auf Bushs Spuren?

Heute besucht USA-Justizminister Holder das Gefangenenlager Guantanamo / Verschleppung von Verdächtigen durch die CIA soll weitergehen

Von Reiner Oschmann *

USA-Justizminister Eric Holder wird heute (23. Feb.) in das Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba reisen, das Barack Obama innerhalb eines Jahres schließen will. Beinahe im Stundenrhythmus hatte der Präsident nach seiner Amtseinführung für Hochstimmung bei Bürgerrechtsorganisationen der USA und anderer Länder gesorgt. Das hat sich geändert.

Kraft seines Amtes hat der neue USA-Präsident angekündigt, weniger Geheimniskrämerei als Amtsvorgänger Bush, sondern vielmehr eine »offene Regierung« zu praktizieren, Verhörmethoden des Geheimdienstes CIA bei Terrorismusverdächtigen den strengen Auflagen des Militärhandbuchs der US-Streitkräfte anzugleichen, Folterungen wie das »Waterboarding« zu verbieten sowie Geheimgefängnisse der CIA im Ausland und spätestens in einem Jahr das widerrechtliche Hochsicherheitsgefängnis Guantanamo zu schließen. Es gab kaum einen USA-Präsidenten, der so viele schnelle Signale der Entschlossenheit in so kurzer Frist ausgesandt hat.

Gut vier Wochen später stellt sich die Lage auf diesem Gebiet aber nicht mehr ganz so eindeutig dar, obwohl Vizepräsident Joe Biden bei der Vereidigung des neuen CIA-Direktors Leon Panetta in Langley soeben bekräftigte, dass die Geheimdienstpraxis unter Bush »Al Qaida ein großartiges Rekrutierungsinstrument verschafft« habe. Im Schatten des größten wirtschaftlichen Krisenprogramms in der Geschichte des Landes und trotz der öffentlichen Abwendung von Bushs Kampfbegriff »Krieg gegen den Terror«, so bilanzierte jetzt die »New York Times«, signalisiere »die Obama-Administration auf stillem Wege anhaltende Unterstützung für andere wichtige Elemente seines Vorgängers im Umgang mit Al Qaida«. In parlamentarischen Anhörungen bestätigten neu ernannte Obama-Berater ihr Einverständnis mit der unter Bush geübten CIA-Praxis, terrorverdächtige Gefangene ohne Anspruch auf verbriefte Rechte in andere Länder zu verschleppen bzw. auf unbestimmte Zeit ohne Gerichtsverfahren einzusperren, selbst wenn diese weit außerhalb militärischer Kriegsgebiete festgenommen wurden.

Die fortgesetzte »Auslieferung« (Rendition) von Verdächtigen in Drittländer, auch wenn dort Folterungen nicht ausgeschlossen werden können, war etwa von Panetta bei seiner Anhörung genannt worden. Die CIA werde sich auf diplomatische Zusicherungen guter Behandlung der Gefangenen stützen -- das ist die gleiche Floskel, die die Bush-Männer in solchen Fällen benutzten, und von der Kritiker immer sagten, dass sie nicht funktionierte.

Im Wahlkampf hatte Obama oft starken Beifall erhalten, wenn er Geheimdienstpraktiken der Bush-Regierung gegen den Terrorismus kritisierte. Nun ist nicht mehr sicher, dass er sich von aller bisherigen CIA-Willkür verabschiedet. So übernahm die neue Administration auch die Auffassung der Rechtsberater Bushs, wonach Klagen von früheren CIA-Gefangenen mit Hinweis auf die Wahrung von »Staatsgeheimnissen« niedergeschlagen werden können. Das hatte sich zu Beginn des Monats abgezeichnet, als ein britisches Gericht Druck aus den USA anführte, der die Herausgabe von Informationen über behauptete Folterungen eines britischen Staatsbürgers vereitelte. Die Regierung Obama sah sich zu einer Stellungnahme veranlasst. Sie fiel so aus, dass man für einen Moment nicht sicher sein konnte, ob im Weißen Haus die Wachablösung schon stattfand. Man dankte der britischen Regierung »für ihre anhaltende Verpflichtung, sensible Informationen der nationalen Sicherheit zu schützen«.

Der partielle Sinneswandel der neuen Regierung in der Terrorismus-Bekämpfung hat in den USA zu Besorgnis und Kritik von Bürgerrechtsgruppen und zu Lob von Verteidigern der Bush-Regierung geführt. So hieß es auf der Leitartikelseite des »Wall Street Journal«, es sehe so aus, »als gewinne die Antiterror-Architektur der Bush-Administration neue Legitimation«. Da ist es besonders pikant, wenn jetzt die Ex-Chefin des britischen Inlandsgeheimdienstes Stella Rimington den Umgang der USA mit Terrorverdächtigen kritisierte. Man sei »mit Guantanamo und der Folter zu weit gegangen« und habe Terroristen eine Rechtfertigung für deren Taten geliefert, sagte Rimington, die von 1992 bis 1996 den Geheimdienst MI5 geleitet hatte.


Nach den Anschlägen auf die USA vom 11. September 2001 richtete die Bush-Regierung auf dem Marinestützpunkt Guantanamo Bay ein Gefangenenlager für Terrorverdächtige ein. Die Basis im Osten Kubas unterhalten die USA seit 1903. Ein 28 Kilometer langer Grenzzaun mit 44 Wachtürmen trennt sie vom Rest der Insel. Da sich der Stützpunkt nicht auf dem Staatsgebiet der USA befindet, verwehrte Washington den Insassen grundlegende Rechte. Seit Anfang 2002 werden dort vor allem mutmaßliche Taliban und Al-Qaida-Mitglieder festgehalten und verhört. Insgesamt waren mehr als 750 Terrorverdächtige inhaftiert. Derzeit sind es noch 240. Fast alle sitzen ohne Anklage und Zugang zu Anwälten ein. Immer wieder gab es Berichte über Misshandlungen und Erniedrigungen von Gefangenen. Nur zwei Tage nach seinem Amtsantritt hat dann Präsident Obama sein Wahlversprechen eingelöst und die Schließung des Lagers innerhalb eines Jahres angeordnet. Menschenrechtsorganisationen hatten das seit langem gefordert. Justizminister Holder ernannte inzwischen den früheren Staatsanwalt Olson zum Chef einer »Task Force« für die Vorbereitung. Sie soll alle Informationen über die verbliebenen Insassen zusammentragen und entscheiden, was mit jenen geschieht, die weder frei gelassen noch im Ausland aufgenommen werden. ND



* Aus: Neues Deutschland, 23. Februar 2009


Bagram - das andere Guantanamo

Über 600 Männer sind in dem Militärknast in Afghanistan rechtlos inhaftiert

Von Olaf Standke **


Die »New York Times« widmete diesem Lager unlängst ihren Aufmacher auf der ersten Seite. Schlagzeilen hatte das von den Militärs BHF (Bagram Holding Facility) genannte »Antiterrorgefängnis« auf der gleichnamigen US-amerikanischen Militärbasis rund 60 Kilometer nördlich der afghanischen Hauptstadt Kabul bislang selten gemacht. Es stand immer im Schatten des weltweit kritisierten Lagers Guantanamo. Das andere GITMO, wie Bagram in Anspielung auf Washingtons Marinestützpunkt im Südosten Kubas genannt wird, entstand 2001 auf einem alten sowjetischen Flughafen als Kontrollposten nach der Vertreibung der Taliban durch USA-Truppen. Derzeit sind hier etwa drei Mal so viele Menschen eingekerkert wie in Guantanamo.

Schon seit langem weisen Menschenrechtsorganisationen auf die unhaltbaren Zustände in dem Haft- und Folterzentrum hin. »Bagram scheint mindestens genauso schlimm zu sein wie Guantanamo«, meint Hina Shamsi von der Bürgerrechtsbewegung ACLU und bezieht sich auf einen vertraulichen Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Die Inhaftierten würden ohne rechtliche Grundlage sowie ohne Kontakt zur Außenwelt und ihren Anwälten festgehalten. Einige sitzen bereits seit Jahren hinter Gittern, ohne dass gegen sie Anklage erhoben wird. Die Häftlinge haben nicht einmal das Recht, sogenannte Combatant Status Review Tribunals anzurufen, um eine juristische Revision ihres Falls herbeizuführen. Anders als in Guantanamo unterhält das USA-Militär in Bagram keine Sondertribunale. Die Einrichtung ist hoffnungslos überfüllt, so das IKRK. Gefangene würden hinter den drei riesigen Sicherheitswällen über Wochen und Monate in Isolationshaft gehalten. Häftlinge sterben, werden gefoltert oder »verschwinden« spurlos.

Nun entschied das Washingtoner Justizministerium, den über 600 Gefangenen von Bagram auch künftig keinen besseren Rechtsstatus einzuräumen. Der Bezirksrichter John Bates hatte die neue Regierung aufgefordert, bis zum 20. Februar mitzuteilen, ob sie in dieser Frage von der bisherigen Position abrücken wolle. Unter Bush galt: Da die Insassen in einem Kampfgebiet festgenommen wurden, könne sie das Militär auf unbegrenzte Zeit festhalten.

Konkret wurden jetzt die Anträge von vier Häftlingen - zwei Jemeniten, ein Afghane und ein Tunesier - zurückgewiesen. Sie hatten sich auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA zum Umgang mit den Gefangenen in Guantanamo berufen. Doch das Ministerium meint, sie hätten keinen Anspruch darauf, die gegen sie erhobenen Vorwürfe und Beweismaterialien zu kennen sowie ihre Haft vor US-amerikanischen Zivilgerichten anzufechten. Damit halte Präsident Obama an der Sichtweise seines Vorgängers fest, kritisierten die Verteidiger der vier Häftlinge. Er übernehme eine Position, die »dazu beigetragen hat, unser Land zu einem Aussätzigen zu machen, weil es die Menschenrechte sträflich missachtet«, sagte Anwältin Barbara Olshansky. Und Bagram soll sogar noch wachsen und zu einem Hochsicherheitstrakt aus Stahl und Beton ausgebaut werden. Künftig will das Pentagon dort bis zu 11 000 Häftlinge unterbringen.

** Aus: Neues Deutschland, 23. Februar 2009


Lügen über Guantánamo ***

Ein von US-Präsident Barack Obama in Auftrag gegebener Pentagon-Bericht zu Guantánamo hat dem Gefangenenlager bescheinigt, die Genfer Konventionen zu respektieren. Die Gefangenen würden human und im Einklang mit den Genfer Konventionen sowie mit US-Gesetzen behandelt, heißt es nach Angaben eines US-Regierungsvertreters in dem Bericht. Die Regierung ernannte derweil einen Beauftragten für die Schließung des Lagers.

Bereits vor seiner offiziellen Veröffentlichung rief der Pentagon-Bericht scharfe Kritik hervor. Die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union kritisierte das »Übertünchen« der Mißhandlungen von Gefangenen.

Die neue US-Regierung will den 600 Gefangenen auf dem Militärstützpunkt Bagram in Afghanistan auch künftig keinen besseren Rechtsstatus einräumen. Das Justizministerium entschied am Freitag (Ortszeit), daß die Gefangenen in Bagram keinen Anspruch darauf haben, die gegen sie erhobenen Vorwürfe und Beweismaterialien zu kennen sowie ihre Haft vor US-Zivilgerichten anzufechten. Konkret wurden die Anträge von vier Häftlingen aus Bagram zurückgewiesen. In der knappen Entscheidung des US-Justizministeriums heißt es, die US-Regierung beharre in dieser Sache auf der »zuvor formulierten Position«, nach der den Gefangenen in Bagram nicht der volle Rechtsstatus von Gefangenen in den USA eingeräumt werde.

Unterdessen ist das berüchtigte Gefängnis Abu Ghraib im Irak unter neuem Namen wiedereröffnet worden. Es heißt jetzt Zentralgefängnis Bagdad und verfügt nach Behördenangaben über Freizeiteinrichtungen, Trainingsgeräte, Computer, eine Bücherei und Gewächshäuser. »Wir haben daraus etwas gemacht, das eher wie eine Ferienanlage als ein Gefängnis aussieht«, sagte Mohammed Al-Seidi vom Amt für Wiedereingliederung am Samstag bei einem Rundgang mit Journalisten. (AP/AFP/jW)

*** Aus: junge Welt, 23. Februar 2009


Er kann es auch! Obama zieht in den Bush-Krieg

Von Werner Pirker ****

Die Herrschaft der Bush-Männer ist mit Obamas Amtsantritt nicht zu Ende gegangen. Der »War on terror« findet weiterhin jenseits zivilisatorischer Mindeststandards statt. Mister Change zeigt sich zwar bereit, das Gefangenenlager in der Bucht von Guantánamo schließen zu lassen, nicht aber, mit einer Rechts­praxis zu brechen, die internationale Rechtsnormen verneint. Guantánamo soll aufgelöst, das dort entwickelte Lagerregime aber aufrechterhalten werden. Im afghanischen US-Gefängnis Bagram bedeutet »Yes we can!« Foltern, was das Zeug hält. Das können wirklich nur die US-Boys: Im Namen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten Territorien zu rechtsfreien Zonen zu erklären sowie einer Gruppe von Menschen jegliches Menschenrecht abzuerkennen.

Bei dieser Gruppe handelte es sich um sogenannte illegale feindliche Kämpfer. Diese sind illegal, weil sie feindlich sind. Aus der Gleichsetzung von Widerstand und Terrorismus als Gesetzlose im absoluten Sinn vorverurteilt, sind sie als Rechtssubjekte praktisch nicht existent. An diesen von den Bush-Kriegern geschriebenen Gesetzen jenseits von Genfer Konventionen und einer rechtsstaatlich begründeten zivilen Justiz will auch der neue US-Präsident festhalten. Den rund 600 Gefangenen in Bagram soll auch weiterhin das Recht auf Prüfung ihrer Haft vor einem amerikanischen Gericht verweigert werden. Als illegale Kombattanten festgehalten, sitzen sie in Folterkellern, ohne Zugang zu Anwälten und ohne Chance auf ein juristisches Verfahren. Der Antiterrorkrieg kennt keine Unschuldsvermutung.

Vergangenen Freitag hat das US-Justizministerium entschieden, daß die Gefangenen von Bagram keinen Anspruch darauf haben, die gegen sie erhobenen Vorwürfe und Beweismaterialien zu kennen. Auch nur die Spur eines gewissen Rechtsstatus, die die amerikanischen Justizbehörden nach jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen den Insassen von Guantánamo zuerkennen mußten, wird den in Afghanistan Inhaftierten von der Obama-Administration eiskalt vorenthalten. Sie hat das Land am Hindukusch zum wichtigsten Schlachtfeld im »Krieg gegen den Terror« erklärt, und entsprechend gnadenlos agiert sie bereits.

Die US-Regierung will zudem die angekündigte Auflösung des Lagers in Guantánamo keineswegs als Schuldeingeständnis verstanden wissen. Das Pentagon ist vielmehr eifrig bemüht, die Tierhaltung von Menschen in diesem Lager als mit den Genfer Konventionen vereinbar darzustellen. Doch in diesen sind die Rechte von Kriegsgefangenen festgeschrieben und nicht die von Gefängnisschergen, »illegale feindliche Kämpfer« vollends zu entrechten. Wie man sieht, will Barack Obama den von den Bushisten geschaffenen rechtsfreien Raum für US-Verbrechen keineswegs kampflos preisgeben.

**** Aus: junge Welt, 23. Februar 2009 (Kommentar)


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