Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kuschen vor Lobbyisten

Barack Obama – der entzauberte Präsident

Von Victor Grossman *

Der Titel verrät es: Ein Lobgesang auf den US-Präsidenten bietet dieses Buch nicht. Und dabei hat es mit Barack Obama doch so hoffnungsvoll begonnen! Nun streiten sich die Linken in den USA, ob sie ihn weiter unterstützen oder ihm und der n faulen Demokratischen Partei ihre Sympathien verweigern sollten.

Gewiss, die Bush-Jahre belasteten Obamas Amtseinführung gleich mit mehreren schweren Krisen: die ökonomische Krise und die Kriege in Irak und Afghanistan. Philipp Schläger, ein in New York lebender Journalist, erinnert an Präsident Roosevelt, der Krisen zu nutzen verstand, um voranzukommen, Obama dagegen, so der Autor, ließ »sie alle ungenutzt und ging in die Defensive«. Anstatt »einen echten Wandel, eine Transformation der amerikanischen Gesellschaft durchzusetzen, für die er immerhin eine Mehrheit der Bevölkerung gewonnen hatte, bewegte sich Obama schon bald nach seiner Wahl in die politische Mitte … Anstelle des Wandels wollte Obama Gespräche über Wandel. Und anstatt Hoffnung gab es Enttäuschung.«

Eine wahrlich ernüchternde Bilanz, die Schläger zieht. Selbst wo er einige, wirkliche oder vermeintliche, Erfolge auflistet, folgt das Urteil, dass auch diese nicht jene waren, die sie hätten sein können. Bei der dringend nötigen Krankenversicherung für fast 50 Millionen Amerikaner hat Obama sich dem Druck der Pharmaindustrie und der Versicherungsriesen gebeugt, deren Lobbyisten mit 1,5 Millionen US-Dollar täglich Abgeordnete bestechen und Werbekampagnen im Fernsehen lancieren. Erst als selbst das Kompromisspapier durch sture Republikaner zerfetzt werden sollte, hat sich Obama aufgerafft, Unterstützung im Volke zu suchen und die rudimentäre Reform noch halbwegs zu retten. Warum entschloss er sich dazu nicht früher?

Ähnlich war es mit der Finanzreform. Die Banken gaben mindestens 600 Millionen Dollar an Schmiergeld und Propaganda aus – mit dem für sie erfreulichen Ergebnis, dass ein zahnloses Gesetz verabschiedet wurde, das ihnen nicht sonderlich weh tat. Und wieder zahlen sie sich ungeniert unverschämt hohe Boni.

Und wie verhält es sich mit den versprochenen Maßnahmen zum Umweltschutz? Wiederum spendeten die Konzerne Millionen, um weiterhin Landschaft und Luft zu verschandeln und zu vergiften. 2340 Lobbyisten schwärmten aus, um die egoistischen Interessen der Industrie zu wahren – d. h. es kamen mehr als vier Lobbyisten auf ein Kongressmitglied. Obgleich diese Herrschaften selbst Millionäre sind, begrüßen sie jeden weiteren Geldsegen, den sie für ihre Wahlkämpfe nutzen. Obama eingeschlossen. Ein Konzern, der elf Atomkraftwerke in dessen Bundesstaat Illinois betreibt, hatte ihm über die Jahre 330 000 Dollar für seinen Wahlkampf gesponsert. Obama ist der erste US-Präsident seit 30 Jahren, der den Bau von neuen Atommeilern bejahte. Zur Enttäuschung der Umweltaktivisten in den USA lobt er die »saubere Kohle«. Einer Tragikomödie gleich kam, wie er vor BP in der Frage weiterer Erdölbohrungen vor der Küste Amerikas einknickte und kuschte.

Auch die »Terrorbekämpfung« von Bush setzte Obama fort. Er lehnte jede Untersuchung der dabei bisher begangenen Menschenrechtsverletzungen ab und setzte sogar die flächendeckende Überwachung fort. Täglich werden in den USA 1,7 Milliarden Telefongespräche und E-Mails kontrolliert. In Afghanistan geht der brutale Krieg weiter.

Und auch im Nahen Osten ist der Frieden nicht näher gerückt. Schläger zitiert einen Kommentator, der sich wunderte, dass bei einem Besuch des israelischen Premiers Netanyahu man nicht statt den Sternen-und-Streifen-Banner eine weiße Fahne gehisst habe; diese hätte der Situation besser entsprochen.

Das Buch bietet bittere Wahrheiten, wahrt jedoch stets einen sachlichen Ton. Schläger informiert, was und wer alles Obamas womöglich gut gemeinten, doch naiven Ideen entgegengewirkt hat. Der Autor klagt zugleich die fortschrittlichen Kräfte an, versäumt zu haben, Obama immer wieder zu bedrängen, seine Versprechen einzuhalten.

So enttäuschend bisher die Amtszeit von Obama war, eine 2012 mögliche Alternative kann einem schon jetzt Angst einflößen. Schläger verweist aber auch darauf, dass es in der Geschichte der USA mächtige soziale Bewegungen gegeben hat, die einiges bewirkt hatten. Die Hoffnung ist also noch nicht gestorben.

Philipp Schläger: Der entzauberte Präsident. Barack Obama und seine Politik. Rotbuch Verlag: Berlin 2010, 191 Seiten, ISBN-10: 3867891133

* Aus: Neues Deutschland, 10. März 2011


Zurück zur USA-Seite

Zurück zur Homepage