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Russland-USA: Bush hinterlässt viele Minen

Von Nikita Petrow *

In den Vereinigten Staaten naht der wichtigste Tag, der die Politik des Landes in den kommenden vier Jahren bestimmen wird: die Wahl des neuen Präsidenten.

Der Kampf zwischen dem Kandidaten der Republikaner, John McCain, und dem Demokraten Barack Obama ist ziemlich verbissen. Politiker, Soziologen, Beobachter und Bürger des Landes rechnen um die Wette die Ratings und Chancen des einen und des anderen Anwärters auf den Einzug ins Weiße Haus.

Indes hinterlässt die alte US-Administration ein Erbe, mit dem es nolens volens jene Experten zu tun haben werden, die McCain oder Obama auf die höchsten Staatsposten mit sich bringen werden.

Eines dieser "Erbstücke" für die neue Regierung werden die zweijährigen Sanktionen sein. Vorige Woche verhängte das US-Außenministerium sie gegen mehrere Länder und Organisationen, denen es einen Verstoß gegen das 2000 verabschiedete US-Innengesetz "Über die Nichtweiterverbreitung in Bezug auf Iran" vorwirft. Das Gesetz verbietet die Zusammenarbeit mit Iran im Bereich der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen.

Zu den "Opfern", die unbegründet einer solchen Zusammenarbeit bezichtigt werden, gehört auch zum x-ten Male der russischen Rüstungskonzern Rosoboronexport, der einzige russische Waffen- und Kampftechnikexporteur. Den US-Gesellschaften, Organisationen und selbst Bürgern ist verboten, mit Rosoboronexport sowie mit seinen Partnern und Tochtergesellschaften jegliche Geschäftsverbindungen zu haben.

Auf dieses Verbot hat Rosoboronexport prompt reagiert und erklärt, die Sanktionen würden die Tätigkeit des Unternehmens nicht beeinflussen, da es zu amerikanischen Partnern keine Geschäftsbeziehungen unterhält.

Russlands Präsident Dmitri Medwedew äußerte sich ebenfalls dazu. In einer Sitzung der Kommission für militärtechnische Zusammenarbeit am vergangenen Dienstag erklärte er: "Wir haben bereits wiederholt gesagt, auch ich habe das gesagt, dass wir solche Sanktionen für kurzsichtig halten." "Das ist unfairer Wettbewerb, einfach ein Versuch, Lieferanten auszuschalten, und das Wichtigste: Wir sind gegen diesen Beschluss so gut wie unempfindlich, und diejenigen, die ihn fassen, sollten das in Betracht ziehen", betonte der Staatschef. Er bemerkte, dass sich der Exportauftragsbestand der russischen Verteidigungsindustrie "merklich aufgefüllt hat" und derzeit 30 Milliarden US-Dollar übersteigt.

Medwedews Worte werden auch im US-Kongress bestätigt. "Im Waffenexport steht Russland nach wie vor an zweiter Stelle in der Welt", heiße es, wie Reuters meldet, in einem von US-Experten für den Kongress vorbereiteten Bericht. Laut Angaben der Autoren dieses Dokuments habe Moskau im vergangenem Jahr Waffen für 10,4 Milliarden Dollar verkauft. Sein Anteil an den weltweiten Waffenlieferungen mache 17,4 Prozent aus. Im ähnlichen Bericht von vor einem Jahr wurden die russischen Waffenlieferungen auf 8,1 Milliarden geschätzt. Die größten Abnehmer von in Russland produzierten Waffen seien Indien und China.

Wie die Autoren des Dokuments hervorheben, unternimmt Russland in letzter Zeit viel, um Abnehmer in Nordafrika, Südostasien und im Nahen Osten zu gewinnen. Vor kurzem, so der Bericht, habe Russland erstmals nach Beendigung des Kalten Kriegs versucht, auf die Märkte lateinamerikanischer Länder zu kommen. Moskau sei es bereits gelungen, einen neuen Großkunden in dieser Region zu heranzuziehen: Verträge über den Kauf russischer Waffen seien mit Venezuela unterzeichnet worden.

Auch insgesamt würden sich die russischen Waffen, lesen wir weiter im Bericht, wegen ihrer niedrigen Preise bei einigen Entwicklungsländern künftig ebenfalls einer stabilen Nachfrage erfreuen. Doch führend auf dem Weltwaffenmarkt seien nach wie vor die USA. 2007 hätten die Vereinigten Staaten Verträge über Waffenlieferungen für 24,8 Milliarden Dollar geschlossen, das sei beinahe doppelt soviel wie vor einem Jahr, als der Waffenexport der USA auf 16,7 Milliarden geschätzt wurde. Auf die amerikanischen Waffen entfallen 41,5 Prozent des gesamten Exports von legalen Waffen.

Es ist nichts Sensationelles dabei, dass die amerikanischen Technik- und Waffenproduzenten über die Konkurrenz seitens der russischen Waffenproduzenten nicht gerade begeistert sind, und sie tun alles Mögliche, um einen Anstieg ihrer Lieferungen ins Ausland zu stören.

Ebenso offensichtlich ist, dass die Sanktionen des US-Außenministeriums die Tätigkeit von Rosoboronexport kaum merklich beeinflussen werden. Dennoch bestehe das Hauptziel dieses demonstrativen Schritts des US-Außenamts, wie einige Analysten sagen, nicht nur und nicht so sehr darin, den Verkauf russischer Waffen auf dem Außenmarkt zu erschweren, sondern darin, der neuen Administration Ärger in den Beziehungen zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml zu hinterlassen. Probleme, die der neue Präsident, ob es nun Obama oder McCain ist, nicht ohne weiteres wird überwinden können, selbst wenn er einen solchen Wunsch haben sollte. Das gleicht einer Mine auf dem Weg zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Moskau und Washington.

Eine solcher "Minen" kompliziert unsere Beziehungen schon seit mehr als dreißig Jahren. Wir meinen die berüchtigte Jackson-Vanik-Amendment. Heute erinnern sich nur Wenige daran, dass der US-Kongress sie gegen die Sowjetunion einführte, weil deren damalige Staats- und Parteiführung die Ausreise von Juden aus dem Lande, die sich mit ihren nahen oder fernen Verwandten in Israel wiedervereinigen oder einfach in die "historische Heimat" übersiedeln wollten, behinderte. Das Amendment verbot es den Ländern und Unternehmen, die mit amerikanischen Firmen zusammenarbeiteten, der UdSSR High-Tech-Anlagen und Werkzeugmaschinen zu verkaufen.

Das Land Sowjetunion besteht seit langem nicht mehr. Juden und nicht nur sie, sondern auch andere Nationalitäten haben das Recht und die Möglichkeit, aus Russland nach Belieben auszureisen, dort zu leben, wo sie es für besser halten, und heimzukehren, wenn sie den Wunsch haben. Aber die Jackson-Vanik-Amendment ist noch immer in Kraft. Weder Bill Clinton noch George Bush jun. haben es vermocht, sie aufzuheben. Vermutlich wird es auch der nächste US-Präsident nicht schaffen, obwohl jeder von ihnen es versprach.

Die im Sommer von US-Außenministerin Condoleezza Rice mit ihren Amtskollegen aus Polen und Tschechien unterzeichneten Abkommen über den Aufbau des dritten Stellungsraums des US-Raketenabwehrsystems (ABM) trüben ebenfalls die Beziehungen zwischen Moskau und Washington.

Es handelt sich um einen Stützpunkt für zehn Abfangraketen nahe der Ortschaft Wicko-Morskie, die an der Ostsee zwischen den Städten Ustka und Darlowo (Pomorze/Pommern) liegt, und ein Radar in Brdy unweit von Prag.

Obwohl in den Vereinigten Staaten immer noch behauptet wird, die Raketenabwehrsysteme in Osteuropa seien gegen die "Schurkenstaaten" gerichtet, zu denen dort auch Iran gezählt wird, ist man in Russland überzeugt: Diese Stützpunkte sind dazu da, das einheimische Counterforce-Potential der strategischen Abschreckungskräfte, die im europäischen Teil des Landes stationiert sind, herabzusenken.

Die scheidende US-Administration vererbt auch die durch Bush verschuldete Ungewissheit bezüglich der Verlängerung des Vertrags über die Begrenzung der strategischen Offensivwaffen (START-1), der im Dezember 2009 abläuft. In den acht Jahren der Amtszeit des 33. Präsidenten der Vereinigten Staaten haben die Amerikaner nicht die Zeit gefunden, um sich mit Russen an den Verhandlungstisch zu setzen und zu entscheiden, wie es mit dem Vertrag weitergeht: Ist er in einem wie auch immer gearteten Format zu verlängern oder wie der Schlaftraum von gestern zu vergessen?

Der derzeitige US-Verteidigungsminister Robert Gates will, egal ob unter McCain oder Obama, auf seinem Posten bleiben und sagt, in der noch verbleibenden Zeit gelte es doch, ein Unterhändlerteam zu bilden und das START-1-Problem zu erörtern. Es scheint jedoch, dass in der heutigen Administration niemand daran interessiert ist. Wann die neue Regierungsmannschaft sich dazu aufraffen wird und ob überhaupt, ist unbekannt. Der Prozess der Kontrolle über die Offensivwaffen verkümmert.

Das ist unter anderem am Beispiel des Vertrags über die Reduzierung der strategischen Offensivpotentiale (SORT) zu sehen, den George W. Bush und Wladimir Putin 2002 unterzeichneten. Der Mechanismus seiner Erfüllung und Verifizierung fehlt bis heute. Die Kommission, die zu diesem Zweck hätte gebildet werden sollen, gibt es nicht.

Die neue Administration wird also, gleich wer am 4. November in den USA zu ihrem Chef gewählt wird, auf dem Weg zur Zusammenarbeit mit Russland viele Minen entfernen und entschärfen müssen. Wenn das natürlich in ihrem Interesse ist. Die scheidende Administration von George Bush jun. hat sich, wenn man von den Äußerungen über den Wunsch, die strategische Partnerschaft mit Moskau anzubahnen, absieht, durch keine erfolgreichen Handlungen in dieser Richtung ausgezeichnet. Höchstens durch zusätzliche Komplikationen, die sie ihren Nachfolgern hinterlässt.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 1. November 2008



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