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"Mumia Abu-Jamal ist in größter Gefahr", 02.10.2010

Am 9. November entscheidet ein US-Gericht, ob das Todesurteil gegen den Bürgerrechtler bestehen bleibt. Gespräch mit Robert R. Bryan


Frage: Für den 9. November 2010 wurde jetzt im Fall Ihres Mandanten eine mündliche Anhörung angesetzt. Worum geht es?

Robert R. Bryan: Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden vor drei Richtern des 3. US-Bundesberufungsgerichts jeweils 30 Minuten lang Argumente vortragen. Es geht um die Frage, ob das Todesurteil gegen meinen Mandanten bestehen bleibt oder ob es in einem neuen Juryprozeß in lebenslange Haft umgewandelt wird.

Was unterscheidet diesen Termin von der Anhörung im Mai 2007 vor demselben Gericht?

Damals ging es um die Wiederaufnahme des Verfahrens, die das Gericht im März 2008 und der Oberste Gerichtshof der USA im April 2009 ablehnten. Wir gewannen in der ersten Anhörung insofern, als das Berufungsgericht einen neuen Juryprozeß anordnete, in dem es um die Umwandlung der Todesstrafe in Lebenslang gehen sollte. Diese Entscheidung hob der Oberste Gerichtshof im Januar 2010 auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf und verwies den Fall an das Berufungsgericht zurück.

Was passiert in der Anhörung?

Zuerst spricht der Staatsanwalt, weil nur die Berufung der Anklagebehörde zugelassen ist. Dann trage ich unsere Argumente vor, das letzte Wort hat aber der Staatsanwalt.

Wie sieht der juristische Hebel gegen die drohende Hinrichtung Abu-Jamals aus?

Richter Albert Sabo hat 1982 im Prozeß die Jury instruiert, sie könne nur dann von der Todesstrafe absehen, wenn alle Geschworenen einstimmig auf mildernde Umstände erkennen würden. Das widerspricht aber höchstrichterlichen Grundsatzurteilen. Bundesrichter William Yohn hatte deshalb bereits 2001 entschieden, das Urteil müsse umgewandelt werden. Dem schloß sich das Bundesberufungsgericht 2008 an. In beiden Fällen legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein, weshalb das Todesurteil weiterhin Bestand hatte.

Was sagen Sie zu der sogar in der Solidaritätsbewegung vorhandenen Meinung, die Berufungsrichter könnten die »Todesstrafe erneut verhängen«?

Das ist falsch. Als ich Mumia erzählte, dies habe gerade wieder in einem Artikel gestanden, lachte er und meinte, das wüßte er aber. Seit fast 30 Jahren sitze er in der Todeszelle, und er hätte es gemerkt, wenn das Todesurteil aufgehoben worden wäre. Leider hat sich aber wegen der Berufungen der Staatsanwaltschaft gegen Entscheidungen der Bundesgerichte, die positiv für meinen Mandanten waren, nie etwas geändert! Außerdem können Bundesgerichte keine Todesurteile »verhängen«, sie können nur bereits gefällte verfassungsrechtlich überprüfen, eventuell aufheben und neuverhandeln lassen.

Wann wird das Berufungsgericht entscheiden?

In den Monaten nach der Anhörung.

Ihr Mandant darf wieder nicht im Gerichtssaal sein. Wie sieht er dem Termin entgegen?

Vorsichtig optimistisch, weil es gut ist, daß es den Termin gibt. Das Gericht hätte ihn nicht anordnen müssen. Schlecht ist, daß wir erneut über die Umwandlung der Todesstrafe verhandeln, also über etwas, worüber wir 2008 eigentlich schon triumphiert hatten.

Und wenn das Berufungsgericht das Todesurteil festschreibt?

Dann ziehen wir erneut vor den Obersten Gerichtshof.

Welche juristischen Argumente bleiben dann noch?

Es gibt Aspekte des Falles, die von weitreichender rechtlicher Bedeutung sind, aber von früheren Verteidigern vor den Bundesgerichten nicht angefochten wurden. Unsere Ermittlungen dazu laufen und wir arbeiten mit hervorragenden Spezialisten zusammen. Es fehlt uns aber das Geld dazu, alles Notwendige zu tun.

Die Spenden reichen also nicht aus?

Bei weitem nicht. Auch wenn diese Spezialisten für geringere Honorare arbeiten als sonst, müssen wir sie jedoch bezahlen. Die Unterstützung muß stärker werden, die Petition an US-Präsident Obama braucht mehr Unterschriften. Die Leute müssen begreifen, daß Teresa Lewis jetzt in Virginia hingerichtet wurde, obwohl sie viel Unterstützung bis in kirchliche und politische Kreise in Europa hatte. Mein Mandant hat es aber mit schlagkräftigen Gegnern wie der Fraternal Order of Police zu tun, die ihre 350000 Mitglieder und Millionen von US-Dollars mobilisiert, um seine Hinrichtung durchzusetzen. Wir stehen also unter einem viel größeren Druck und brauchen deshalb auch eine viel stärkere Solidarität. Mumia ist in allergrößter Gefahr.

Interview: Jürgen Heiser

* Aus: junge Welt, 1. Oktober 2010


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