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Erfolg für Mumia

Todesurteil bleibt »nicht verfassungskonform«. Staatsanwaltschaft scheitert mit Berufung gegen höchstrichterliche Entscheidung

Von Jürgen Heiser *

Nach einer jüngsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA besteht begründete Hoffnung, daß das Todesurteil gegen den Journalisten und Bürgerrechtler Mumia Abu-Jamal vielleicht doch nicht vollstreckt wird. Am Dienstag (Ortszeit) gab das höchste US-Gericht bekannt, daß es die Zulassung eines Berufungsantrags der Staatsanwaltschaft von Philadelphia ablehnt.

In der dem Gerichtshof eigenen Art, komplizierte Rechtsfälle mit einer zwei Wörter umfassenden Entscheidung zu bedenken, war auf der Website des Supreme Court unter der Überschrift »Zulassung abgelehnt« in einer Liste von 274 Fällen auch der Antrag von Bezirksstaatsanwalt Seth Williams aufgeführt. Dieser wollte die Zulassung seiner Berufung gegen den Entscheid des Bundesberufungsgerichts vom 26. April 2011 erreichen.

Damals hatten drei Bundesrichter das Urteil, mit dem der heute 57jährige Abu-Jamal im Juli 1982 wegen Mordes an dem weißen Polizisten Daniel Faulkner zum Tode verurteilt worden war, als »nicht verfassungskonform« gewertet.

Zwar lehnte das Bundesgericht ein Wiederaufnahmeverfahren über die zahlreichen Unschuldsbeweise ab und segnete den ursprünglichen Schuldspruch mit höchstrichterlicher Zustimmung ab, wonach Abu-Jamal am 9. Dezember 1981 Faulkner erschossen habe. Ein schwerwiegendes Rechtshindernis sahen die Bundesrichter hingegen darin, daß die Geschworenen 1982 falsch darüber instruiert worden waren, wie mildernde Umstände zu berücksichtigen seien. Andernfalls wäre nach Überzeugung der Bundesrichter schon damals eine Verurteilung zu lebenslanger Haft möglich gewesen.

Deshalb ordneten die Bundesrichter im April 2011 an, vor dem zuständigen Staatsgericht in Philadelphia »innerhalb von 180 Tagen erneut vor einer Jury über das Strafmaß zu verhandeln«. Würde die Anklagebehörde keinen entsprechenden Antrag stellen, sei das Todesurteil automatisch in lebenslange Haft umzuwandeln.

Das Bundesberufungsgericht hatte damit frühere Entscheidungen von Bundesgerichten aus den Jahren 2001 und 2008 bekräftigt. Allerdings hatte die Staatsanwaltschaft gegen die früheren Entscheidungen jeweils erfolgreich Berufung eingelegt, weshalb das Todesurteil gegen den ehemaligen Black-Panther-Aktivisten rechtskräftig blieb und Mumia Abu-Jamal bis heute weitere lange Jahre im Todestrakt zubringen mußte.

Mit der Nichtzulassung der erneuten staatsanwaltschaftlichen Berufung erlangt die Bundesgerichtsentscheidung vom 26. April 2011 nun Rechtskraft. Damit liegt es jetzt im Ermessen der Anklagebehörde, ob sie das Wagnis eingehen will, öffentlich über das Strafmaß gegen Mumia Abu-Jamal zu verhandeln. Nach fast dreißig Jahren Kampf um Recht und Gerechtigkeit in diesem Verfahren dürfte eine neu zu wählende Jury heute nicht mehr so einfach dazu zu bringen sein, erneut auf die Todesstrafe zu erkennen. Dieser Meinung ist jedenfalls der US-Autor Dave Lindorff, der in seinem 2006 veröffentlichten Buch »Killing Time« Rechtsbeugung und Rassimus im Verfahren gegen Mumia Abu-Jamal gründlich nachgewiesen hat.

Erste Stellungnahmen aus der US-Solidaritätsbewegung verweisen darauf, daß Mumia Abu-Jamal nun im günstigsten Fall nach 30 Jahren Todestrakt bis an sein Lebensende ohne Aussicht auf Bewährung in eines der US-Hochsicherheitsgefängnisse verlegt würde, in denen sich derzeit die Insassen mit einem Hungerstreik gegen die Haftbedingungen wehren.

Die Staatsanwaltschaft Philadelphia lehnte eine Bewertung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ab. Sie ließ lediglich in einer mageren Pressemitteilung verlauten, Bezirksstaatsanwalt Williams müsse »sich mit der Fachabteilung beraten, welche nächsten Schritte er in diesem Fall zu tun« gedenke. Bei diesen Überlegungen wird sicher auch eine Rolle spielen, wie sich die mächtige Lobby der rechten Polizeibruderschaft Fraternal Order of Police (FOP) zur neuen Lage positioniert. Die FOP, auf die sich die Staatsanwaltschaft in ihrem bisherigen Bemühen um die Hinrichtung Abu-Jamals immer stützte, hat nie aufgehört, ihre Parole »Grillt Mumia!« zu propagieren.

* Aus: junge Welt, 13. Oktober 2011


"Gefängnis bis zum Tod ist keine Alternative"

Nach der Entscheidung des US Supreme Court: Kampf um Freilassung Mumia Abu-Jamals geht weiter. Ein Gespräch mit Annette Schiffmann **
Annette Schiffmann ist aktiv im Netzwerk gegen die Todesstrafe / Free Mumia Heidelberg.

Die Solidaritätsbewegung für Mumia Abu-Jamal will die Buchmesse in Frankfurt am Main nutzen, um auf den Fall des in der US-Todeszelle inhaftierten Publizisten und Bürgerrechtlers aufmerksam zu machen. Was planen Sie dort?

Am Samstag (15. Okt.) beginnen wir mit einer spektakulären Auftaktaktion unsere Kampagne gegen die Todesstrafe und für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal. Vor dem Haupteingang der Frankfurter Buchmesse werden um 14.30 Uhr Leute in orangen Overalls hinter hohen Gitterstäben stehen. Nacheinander wird einer nach dem anderen aus diesem Gitter heraustreten und einen kurzen Text vortragen– zu Todesstrafe, Haftbedingungen und gefängnisindustriellem Komplex, zu Schuld, Unschuld, Rassismus und Klassenjustiz, über Hoffnung, Solidarität und Freiheit.

Warum 30 Demonstranten, warum in orangefarbenen Overalls?

Mumia Abu-Jamal wird in diesem Dezember 30 Jahre in Haft sein, die längste Zeit davon im Todestrakt. Als Journalist und Autor hat er sowohl seinen Mitgefangenen als auch dem Widerstand gegen die Todesstrafe und die Gefängnisindustrie ein Gesicht gegeben.

Wir tragen neonorangefarbene Overalls, weil das in den meisten Bundesstaaten der USA die Gefängniskleidung ist. Sie ersetzen die Streifenanzüge von früher, ihre Funktion ist dieselbe: Sollte es Gefangenen jemals gelingen, sich unkontrolliert zu bewegen oder gar zu entkommen, fallen sie sofort auf.

Was soll im Rahmen der Buchmesse sonst noch für Mumia Abu-Jamal stattfinden?

Der Laika-Verlag, in dem in der Reihe »Bibliothek des Widerstands« das neueste Buch über und mit Mumia Abu-Jamal erschienen ist, wird eine me­tergroße Fotowand mit dem verfolgten Kollegen im Todestrakt aufstellen, und andere Verlage aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, den USA und England werden mit Infotafeln ihre Solidarität zeigen. Auf der Fotowand ist Mumia von bekannten Autorinnen und Autoren und anderen Wortschaffenden umgeben, die die Forderung nach seiner Freilassung unterstützen: Arundhati Roy, Alice Walker, Amy Goodman, Angela Davis, Noam Chomsky, Klaus Staeck, Eckart Spoo oder auch Sabine Kebir vom deutschen P.E.N. und andere.

Am Sonntag um 14 Uhr stellt ein Mitautor das erwähnte Buch vor. Es enthält ein neues, sehr persönliches Interview mit Abu-Jamal über das Leben im Todestrakt und seine Mitgefangenen.

Am Dienstag (11. Okt.) hat der US Supreme Court den Antrag der Staatsanwaltschaft von Philadelphia, die Todesstrafe nicht in lebenslange Haft umzuwandeln, nicht zugelassen. Was heißt das für Mumia Abu-Jamal und die Solidaritätsbewegung?

Die Freilassungskampagne bekommt jetzt ein ganz neues Gewicht. Wir sind sehr erleichtert über das Urteil des Supreme Court – zum ersten Mal zeichnet sich hier wirklich ein Wandel ab. Egal, ob das nun Taktik ist oder Überzeugung des Gerichts – der Weg zum endgültigen Aus des Todesurteils gegen Mumia ist gebahnt. Selbst Maureen Faulkner, die Witwe des damals erschossenen Polizisten Daniel Faulkner, die 30 Jahre lang auf einem Kreuzzug für Mumias Hinrichtung war, überlegt nun, ob sie nicht endlich aufgeben soll.

Das große ABER ist jedoch, daß die Alternative für Mumia Abu-Jamal damit ein Leben im Gefängnis bis zu seinem Tod ist. Und das ist keine Alternative. Wir alle wissen, daß eine Freilassungskampagne ohne das Damoklesschwert der Todesstrafe noch mühsamer ist – schauen Sie sich nur das Schicksal von Leonard Peltier an oder von Ruchell Chinque McGee, der 1970 zusammen mit Angela Davis verhaftet wurde und, im Gegensatz zu ihr, bis heute im Gefängnis sitzt. Mumia Abu-Jamal braucht einen neuen Prozeß, in dem er seine Unschuld endlich beweisen kann. Ich kann nur sagen: Jetzt erst recht!

Ihre neue Kampagne ist auf ein halbes Jahr angelegt. Was alles ist da genau geplant?

Ehrgeiziges Ziel ist die Sammlung von insgesamt 100000 Dollar Spenden für einen neuen Prozeß. Über unsere Webseite www.freiheit-fuer-mumia.de können Faltblätter, Plakate und eine Wanderausstellung bestellt und Kontakte zu Referenten hergestellt werden. Um den 9./10. Dezember herum, den Jahrestag der Verhaftung Mumia Abu-Jamals und internationalen Tag der Menschenrechte, gibt es zahlreiche Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet.

Weiterer Höhepunkt ist die alljährliche Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin am 14. Januar, für die Mumia wieder einen Beitrag verfaßt. Er freut sich schon sehr darauf. Außerdem wird eine Kollegin aus seinem Anwaltsteam aus New York zu Gast sein. An Abu-Jamals Geburtstag gehen wir vor die US-Botschaft in Berlin. Das wird der 30.Geburtstag sein, den er er in Gefangenschaft verbringen muß.

Interview: Rüdiger Göbel

* Aus: junge Welt, 13. Oktober 2011


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