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USA-Militär profitiert von der Krise

Überdurchschnittliche Rekrutierungszahlen

Von Reiner Oschmann *

Man muss nicht gleich vom Krieg als Badekur sprechen, doch das USA-Militär gehört zu den Bereichen, die an der Wirtschafts- und Finanzkrise ihren Vorteil haben. Während Nobelpreisträger noch darüber streiten, ob die Krise schon jetzt oder erst 2010 an die Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts herankommt, verzeichnet das Pentagon einen wachsenden Zulauf zu den US-amerikanischen Streitkräften.

Erstmals seit fast fünf Jahren seien im abgelaufenen Rechnungsjahr die Rekrutierungsziele sowohl für die aktive Truppe als auch für Reservisten erfüllt und überboten worden. Die »New York Times«, die dazu eine Analyse vorlegte, kommentierte den Sachverhalt so: »In dem Maße, in dem Jobs überall im Land verloren gehen, treten mehr und mehr Amerikaner -- angelockt von der regelmäßigen Lohntüte, Ausbildungschancen und anderen Boni -- in die Streitkräfte ein.« Der Trend scheine sich weiter zu beschleunigen. In den Monaten Oktober bis Dezember 2008 (die Finanzkrise hatte am 15. September die Schlagzeilen erreicht) überbot insbesondere die Armee stetig ihre Rekrutierungsziele. Von den vier Teilstreitkräften war es in den Jahren davor namentlich der US Army schwer gefallen, genügend Nachwuchs, genauer gesagt Kanonenfutter, zu finden. Die Armee wies besonders lange Stationierungszeiten im Ausland und besonders hohe Opferzahlen im Irak-Krieg auf.

Die Nationalgarde, die in der Regel etwas ältere Semester anlockt, berichtet nach Angaben des Verteidigungsministeriums gleichfalls von gestiegenem Zulauf und wachsender Nachfrage. »Wenn die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt und die Arbeitsmarktchancen im zivilen Sektor sinken«, betont Pentagon-Direktor Curtis Gilroy, »wird die Rekrutierung von Soldaten wesentlich einfacher.« Er fügte an, dass auch der teilweise Rückgang der militärischen Gewalt in Irak zur größeren Attraktivität der Streitkräfte beigetragen habe. Aber die Hauptursache liege in der ökonomischen Situation in den USA. Diese Entwicklung weist gewisse Ähnlichkeiten mit der innerdeutschen Lage auf. So hieß es verschiedentlich in Medienberichten, dass der zahlenmäßige Anteil ostdeutscher Bundeswehrangehöriger, die Dienst in Afghanistan tun, deutlich über dem statistischen Anteil an der bundesdeutschen Gesamtbevölkerung liege.

Ein weiteres Lockmittel ergibt sich in den USA, wo zur Zeit keine Wehrpflicht besteht, aus einem Gesetzentwurf, der Rekruten für die Zukunft verbesserte Bildungs- und Studienchancen in Aussicht stellt. So können laut »New York Times« ab August dieses Jahres »Angehörige der Streitkräfte, die mindestens drei Jahre aktiver Dienstzeit vorweisen, auf Staatskosten ein College besuchen oder Antrag auf Erstattung der Studiengebühren einer privaten Universität einreichen.« Bereits in der jüngeren Vergangenheit, als die amerikanischen Opfer in Irak und Afghanistan stiegen, hatte die Armee versucht, mit Zusatzvergünstigungen und -lockerungen neue Rekruten zu gewinnen. So wurde es Bewerbern mit eingeschränkter gesundheitlicher Tauglichkeit, Bewerbern mit einer kriminellen Vorgeschichte oder Bewerbern, die bei der Aufnahmeprüfung relativ schlecht abschnitten, leichter gemacht, zur Truppe zu kommen. Künftig wolle die USA-Armee auch Immigranten in ihre Reihen aufnehmen, die keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung haben. Als Anreiz solle den Interessenten ein schnellerer Zugang zur USA-Staatsbürgerschaft geboten werden, berichtete dieser Tage die »New York Times«.

Mit der Wirtschaftskrise nehme der Zulauf zu den Streitkräften sprunghaft zu. Der Rekrutierungsbeamte für die US Army in Bridgeport (Connecticut), Phillip Lee, erklärte gegenüber Medien, verstärkt kämen Bewerber und sagten, im zivilen Sektor gebe es keine Arbeitsplätze und keine neuen Einstellungen. Besonders beeindruckt zeigte sich Lee von der großen Zahl arbeitsloser Bauarbeiter und älterer Rekrutenanwärter, Menschen in den 30ern und noch älter, die sein Büro aufsuchten. Die Obergrenze für den Eintritt in die Armee liegt in den USA gegenwärtig bei 42 Jahren. Sie war 2006 von damals 35 Jahren auf dieses Limit angehoben worden, um die Rekrutierungsnetze weiter auswerfen zu können. »Heute kommen mitunter Bewerber zu uns, die noch älter als 42 sind. Bei ihnen handelt es sich um Menschen mit wachsenden Problemen, einen sicheren oder gut bezahlten zivilen Job zu finden.«

* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2009


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