"Dem Feind Geheimmaterial übergeben"
Wikileaks-Prozeß in USA: Anhörung von Bradley Manning abgeschlossen
Von Jürgen Heiser *
Mit den Schlußplädoyers ist am Donnerstag nachmittag (22. Dez.) im US-Militärstützpunkt Fort Meade die Anhörung des mutmaßlichen »Whistleblowers« Bradley Manning beendet worden. Der 24jährige Obergefreite wird beschuldigt, geheime Dokumente der US-Armee und des Außenministeriums an die Internet-Enthüllungsplattform Wikileaks weitergegeben zu haben. Mit der Anhörung sollte die Frage geprüft werden, ob die Beweise für ein Militärgerichtsverfahren gegen Manning ausreichen.
An den vorausgegangenen sechs Verhandlungstagen hatte die Anklage 20 ihrer Zeugen vernommen, bevor Hauptverteidiger David Coombs die beiden einzigen Zeugen präsentieren konnte, die ihm von den ursprünglich beantragten 48 Zeugen genehmigt worden waren. Die Mehrzahl der übrigen Vorgeladenen waren entweder Ermittler der Militärpolizei oder Computerforensiker. Mit ihrer Hilfe wollte die Anklage Verbindungen zwischen dem Angeklagten und Wikileaks nachweisen.
Das ist nur vage gelungen. Zwar triumphierte die Staatsanwaltschaft, als der Forensikexperte Mark Johnson bekundete, er habe auf Mannings Notebook Beweise für einen Kontakt mit Wikileaks gefunden. Der Dämpfer kam allerdings, als Johnson im Kreuzverhör einräumen mußte, daß das Notebook nicht paßwortgeschützt war und deshalb von jedem anderen aus Mannings Einheit hätte benutzt werden können. Hauptmann Steven Lim, Vorgesetzter des Nachrichtenanalysten Manning, hatte zuvor schon erklärt, die Sicherheitsvorkehrungen an den über das gesamte Militärlager in Bagdad verstreuten Arbeitsplätzen seien »ausgenommen locker« gewesen. Und Feldwebel Chad Madaras bestätigte, den PC-Arbeitsplatz von Manning auch genutzt zu haben.
Schon am Montag (19. Dez.) hatte Spezialagent David Shaver zugegeben, auf Mannings Computer Depeschen von US-Diplomaten gefunden, diese aber zunächst nicht mit den Wikileaks-Veröffentlichungen abgeglichen zu haben. Erst später habe er festgestellt, daß Mannings Dateien nicht mit den fraglichen Wikileaks-Dokumenten übereinstimmten.
Die Staatsanwaltschaft zeigte sich von den in der Beweisaufnahme aufgetauchten vielfältigen Widersprüchen unbeeindruckt und stellte in ihrem Plädoyer die Notwendigkeit eines Militärgerichtsverfahrens gegen Bradley Manning heraus. Al-Qaida habe direkten Vorteil aus den verbreiteten Geheimdokumenten gezogen, weswegen Manning vorzuwerfen sei, er habe »dem Feind durch Wikileaks wissentlich Geheimmaterial übergeben«.
Rechtsanwalt Coombs nannte die Vorwürfe gegen seinen Mandanten hingegen »überzogen« und forderte das Gericht auf, Milde gegen den jungen Soldaten walten zu lassen. Selbst wenn man von einer Täterschaft seines Mandanten ausginge, habe die Veröffentlichung keinen Schaden angerichtet. Sollte US-Außenministerin Hillary Clinton das anders sehen, sollte sie es sagen.
Der Vorsitzende der Anhörung, Oberstleutnant Paul Amanza, hat jetzt bis 16. Januar Zeit, eine abschließende Entscheidung zu treffen.
* Aus: junge Welt, 24. Dezember 2011
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