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Befangene Richter und gekürzte Zeugenlisten

Im Verfahren gegen den US-Sergeanten und Wikileaks-Informanten Manning macht die Anklage aus ihrer Voreingenommenheit kaum einen Hehl

Von Max Böhnel, New York *

Seit vergangenem Freitag (16. Dez.) berät in Fort Meade im USA-Bundesstaat Maryland ein Militärgericht in Vorverhandlungen, ob gegen den Armee-Abhörspezialisten Bradley Manning das Hauptverfahren eröffnet wird.

Die Anhörungen sind auf fünf Tage angesetzt. Entscheidet das Gericht, dass die Beweislage gegen Manning ausreicht, droht ihm lebenslängliche Haft. Nach USA-Militärgesetz könnte gegen den Obergefreiten wegen »Spionage« und »Unterstützung des Feindes« auch die Todesstrafe verhängt werden, worauf die Staatsanwälte jedoch verzichteten.

Bradley Manning, der am Samstag (17. Dez.) im Armeestützpunkt Fort Meade unweit der USA-Hauptstadt Washington D.C. seinen 24. Geburtstag feierte, war im Mai 2010 in Irak verhaftet worden, weil er geheimes Armeematerial an die Aufklärerwebseite Wikileaks weitergeben haben soll. Zu den veröffentlichten Dokumenten gehört das Video des Angriffs einer USA-Hubschrauberbesatzung auf Zivilisten in Bagdad vom Juli 2007. Darüber hinaus geht es um weitere Filmaufnahmen aus Irak und Afghanistan sowie um die berühmten mehr als 25 0000 Botschaftsdepeschen.

Die Vorverhandlungen sind öffentlich, soweit über nicht geheimes Material gesprochen wird. Dementsprechend groß ist der Andrang der Medien, die über die Anhörungen berichten wollen. Liveübertragungen aus dem Gerichtssaal sind untersagt, ebenso wie Telefonate oder Internetkontakt.

Das Prozedere ist so schleppend, dass in den ersten beiden Tagen kaum etwas heraus kam. Zudem ist die Militärgerichtsbarkeit eindeutig gegen den Angeklagten eingestellt. Mannings Verteidiger David Coombs hatte eine Liste von 48 Zeugen vorgelegt, die zur Entlastung seines Mandanten beitragen sollten. Doch der Untersuchungsrichter Paul Almanza ließ davon nur zwei zu. Dagegen werden alle 20 der von der Strafverfolgung vorgeschlagenen Belastungszeugen angehört werden. Coombs hatte unter anderem USA-Präsident Barack Obama und den Ex-Pentagonchef Robert Gates als Zeugen vorladen wollen. Sie hätten über das im Wahlkampf vor drei Jahren versprochene »System der Transparenz« und die dann erfolgten Geheimhaltungsmaßnahmen der Regierung sprechen sollen.

Am Freitag (16. Dez.) griff Coombs den Untersuchungsrichter direkt wegen »Befangenheit« an und forderte ihn zum Rücktritt auf. Denn Almanza ist in seinem zivilen Leben gleichzeitig Ankläger für das Justizministerium, das ein Ermittlungsverfahren gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange führt. Doch Coombs' Befangenheitsantrag kam nicht durch. Ein Interessenkonflikt bestehe nicht, hieß es nach einer Beratung.

Am Samstag ging es zunächst um das zentrale Beweisstück der Strafverfolger, das die Verbindung zwischen Bradley Manning und Wikileaks nachweisen soll: das Protokoll eines Internetchats zwischen Manning und dem Hacker - und FBI-Informanten - Adrian Leno. Darin soll der Angeklagte erläutert haben, weshalb er die Dokumente an Wikileaks weitergab. »Das sind Dinge, die in die Öffentlichkeit gehören. Ich hoffe, dass sie eine Diskussion und Reformen auslösen«, soll es darin unter anderem geheißen haben.

Anwalt Coombs versuchte am Samstag (17. Dez.) dagegen, Mannings angeblich fragilen seelischen Zustand in den Vordergrund zu stellen. So sei der 24-Jährige wegen seiner Homosexualität und seinem geäußerten Wunsch, durch eine Geschlechtsumwandlung zur Frau zu werden, emotional angeschlagen und für den Dienst als Abhörspezialist der USA-Armee im geheimen SIPRNet möglicherweise nicht geeignet gewesen.

Vor den Einfahrtstoren von Fort Meade demonstrieren unterdessen täglich bis zu 200 Menschen für die Freilassung von Manning. Das Verfahren müsse sofort eingestellt werden. Denn Bradley Manning habe den USA und der Welt einen großen Dienst erwiesen, indem er die Machenschaften des Pentagon und Kriegsverbrechen aufzudecken half.

* Aus: neues deutschland, 19. Dezember 2011


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