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Abgepreßte Reue

In der Hoffnung auf Strafnachlaß entschuldigt sich US-Whistleblower Bradley Manning am letzten Verhandlungstag vor Militärgericht

Von Jürgen Heiser *

Im Militärgerichtsverfahren gegen den Whistleblower Bradley Manning fand am Mittwoch vor dem Militärgericht auf dem US-Stützpunkt Fort Meade der letzte Verhandlungstag statt. Voraussichtlich in der kommenden Woche soll das Strafmaß verkündet werden. Der Obergefreite war bereits Ende Juli in 20 Anklagepunkten schuldig gesprochen worden. Ihm droht nun eine Haftstrafe von bis zu 90 Jahren wegen Verstoßes gegen das Spionagegesetz aus dem Jahr 1917 und Diebstahls von Regierungseigentum. Nachdem Mannings Verteidigung seit Montag Zeugen zur persönlichen Entwicklung ihres Mandanten in den Zeugenstand gerufen hatte, ergriff Manning am Mittwoch nachmittag (Ortszeit) selbst das Wort. Zwar verteidigte er die Weitergabe von 700000 Geheimdokumenten aus militärischen Datenbänken als Handeln aus Gewissensgründen, bat aber für den angerichteten Schaden um Entschuldigung. Dies war seine erste Äußerung im Hauptverfahren, nachdem er Ende Februar im Vorverfahren mit einer umfangreichen Einlassung die Verantwortung für die Weitergabe von Dokumenten und Videomaterial an die Enthüllungsplattform Wikileaks übernommen hatte.

Manning sprach nur für zwei Minuten und nicht unter Eid, weshalb ihn die Staatsanwaltschaft anschließend nicht ins Kreuzverhör nehmen konnte. Er wandte sich direkt an die vorsitzende Richterin, Oberst Denise Lind, und erklärte, er habe niemandem Schaden zufügen wollen, auch nicht den Vereinigten Staaten. Er sei sich seines Handelns und seiner Entscheidungen stets bewußt gewesen, bedauere aber die »ungewollten Konsequenzen« seines Handelns. Er sei überzeugt gewesen, mit seinem Tun »Menschen zu helfen und nicht, ihnen zu schaden«. Der 25jährige verwies erneut auf die von der Verteidigung bereits ausführlich dargelegten persönlichen Probleme, die ihm die Stationierung im Irak bereitet habe. Ihm sei jedoch klar, daß er für sein Handeln und seine Entscheidungen einen Preis zu zahlen habe, so Manning. Er frage sich heute selbst, wie er als einfacher Junior-Nachrichtenanalyst habe annehmen können, »die Welt gegen die zuständigen Behörden zum Besseren wenden zu können«. Er bedauere die Methoden, mit denen er das gemacht habe. Rückblickend hätte er offensiver im Innern des Systems arbeiten sollen. Er habe Möglichkeiten dazu gehabt und hätte sie nutzen sollen. Er hoffe, eines Tages wieder seinen Platz in der Gesellschaft einnehmen, einen College-Abschluß machen und sich und seiner Familie zeigen zu können, daß er ein besserer Mensch geworden sei, schloß Manning seine Ausführungen ab.

Mannings Worte setzten den Schlußpunkt unter einen taktischen Schachzug seiner Verteidigung, die während der letzten drei Verhandlungstage die psychische Instabilität ihres Mandanten im Irak-Einsatz in den Mittelpunkt gerückt hatte, um eine mildere Strafe zu erreichen. Wikileaks reagierte auf Mannings Prozeßerklärung mit einem scharfen Angriff gegen das Militärgericht. Es akzeptiere als einzige Gegenleistung für einen Strafnachlaß »Bradley Mannings Erniedrigung«. Die »erzwungene Entschuldigung gegenüber der US-Regierung«, um seine Strafe vielleicht um ein Jahrzehnt oder mehr zu verringern, müsse deshalb »mit Mitgefühl und Verständnis betrachtet werden«. Seine Erklärung sei ihm »unter dem übermächtigen Druck der US-Militärjustiz abgepreßt worden«, so Wikileaks. Es habe allerdings drei Jahre und Millionen von US-Dollar gebraucht, um »zwei Minuten taktischer Reue aus diesem mutigen Soldaten herauszupressen«.

Jeff Paterson, Leiter des »Bradley Manning Support Network«, erklärte zu Mannings Worten, sie änderten überhaupt nichts an der Tatsache, daß er »inmitten eines illegalen Krieges heroisch gehandelt« habe. Er habe immerhin etwas getan, während die meisten untätig geblieben seien. Das habe Millionen Menschen dazu gebracht, ihn zu unterstützen, so Paterson, »und das ist der Grund, warum wir nicht nachgeben werden, bis er endlich frei ist«. Das Unterstützungsnetzwerk ruft deshalb dazu auf, am Tag der Verkündung des Strafmaßes gegen die Verurteilung des Whistleblowers zu protestieren.

* Aus: junge Welt, Samstag, 17. August 2013


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