Militärtheater in Fort Meade
Angeklagt wegen Geheimnisverrats: Bradley Manning vor Gericht
Von Max Böhnel, Fort Meade *
Um den USA-Whistleblower Bradley Manning ist es ruhig geworden, seit alle Welt von der NSA und Edward Snowden spricht. Manning steht derweil in der Militärsiedlung Fort Meade vor Gericht.
Dem Wegweiser nach Fort Meade zu folgen, hat etwas Unwirkliches an sich. Denn die mit Drahtzäunen, Kameras und Schießwarnungen abgeschirmte Militärstadt versteckt sich ganz banal: hinter nachlässig geschnittenen Laubbäumen in der Pampa, 50 Kilometer nördlich von Washington. Noch langweiliger: Morgens um 7 gähnen einen die Pendler im Berufsverkehr mit seinem Stop-and-Go aus ihren Fahrzeugfenstern an. Wissen sie denn nicht, dass Fort Meade das Hauptquartier der ehemals geheimsten Geheimbehörde der Welt NSA beherbergt? Ist ihnen egal, dass hier außerdem Bradley Manning im Militärgefängnis sitzt?
Das NSA-Gebäude ist nicht zu sehen, sein Standort nicht einmal zu ahnen. Denn Fort Meade ist eine Riesenstadt: mit Kindergärten, Kinos, Supermarkt und Mietwohnungen. Außerdem schirmen sich die NSA-Spione auch in Fort Meade ab. Sie haben ihre eigene Autobahnzufahrt. Ein entsprechendes Schild sagt nur »NSA« – ein anderes »Employees only« (Nur Beschäftigte).
Vor dem Haupteingang von Fort Meade an der Reece Road, die für die Öffentlichkeit problemlos zugänglich ist, steht seit Anfang Juni – Prozessbeginn gegen Manning – jeden Montagmorgen eine Gruppe von Manning-Unterstützern. »Free Bradley Manning« heißt es unübersehbar auf Plakaten. Eine Ankündigung zu den örtlichen Feierlichkeiten samt Feuerwerk am Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli, haben die Aktivisten am frühen Morgen überhängt mit einem eigenen Transparent: »Arrest the real criminals – Free Bradley Manning«. Zwei Dutzend Aktivisten meist älterer Jahrgänge haben sich auf dem Grünstreifen neben der Einfahrt zu Fort Meade versammelt. »Präsenz zeigen« heißt offenbar die Devise, obwohl der heutige Prozesstag gegen Bradley Manning wenig Neues und nichts Spektakuläres erwarten lässt.
Aufgerufen hat das »Bradley Manning Support Network«, das mit seiner Webseite (www.bradleymanning.org) auch international bekannt geworden ist. Dem Angeklagten selbst und seinen Anwälten ist es wohlbekannt. Die junge Farah Mohsin al-Mussawi, Mitte 20, kurzhaarig, begrüßt mich mit einem freundlichen Blick durch ihre schicke Brille. Die in Bagdad geborene Menschenrechtsaktivistin, die für das Netzwerk die Pressearbeit mitorganisiert, hatte die US-Irakinvasion miterlebt. »Die Milizen vertrieben damals nach der Invasion mich und meine Familie«, sagt sie. Nach fünf Jahren als Flüchtling in Syrien sei sie von einer US-Universität als Studentin aufgenommen worden. »Bradley Manning hat öffentlich gemacht, was ich persönlich erlebt habe«, erläutert Farah Al-Mussawi ihre Beweggründe, dem Unterstützerkreis beizutreten, »Kriegsverbrechen an irakischen Zivilisten durch die US-Invasoren.«
Gut 40 Jahre älter ist der weißhaarige Chuck Heyne. Als Teilnehmer am Vietnamkrieg habe er selbst »Kriegsverbrechen direkt miterlebt und Selbstmordgedanken gehabt«. Allein deshalb sympathisiere er mit Manning und fordere dessen Freilassung.
Eine halbe Stunde vor dem offiziellen Verhandlungsbeginn rollen die Unterstützer ihre Transparente zusammen und begeben sich zu ihren Autos auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang. Die Soldaten lassen sich nur den Führerschein zeigen und werfen einen Blick in den Kofferraum. In Fort Meade geht es einen guten Kilometer an zivil anmutenden Backsteinhäuschen entlang. An einem unscheinbaren einstöckigen Gebäude heißt es »court room« (Gerichtsraum). Martialisch ausgerüstete Militärpolizei, wie sie am ersten Gerichtstag aufmarschiert war, ist heute nicht zu sehen. Eine Einmann-Eskorte führt mich und neun weitere Besucher an einem Zaun entlang in einen Metallcontainer. Zwei Soldaten filzen mich, es dauert aber nicht so lange wie an einem US-Flughafen. Ich habe entsprechend der Regelungen nichts Verbotenes an mir: kein Aufnahmegerät, keine Kamera, kein Handy, kein T-Shirt mit politischem Slogan. Mein deutscher Reisepass wird mir ungeöffnet zurückgegeben. Er interessiert nicht.
Fünf Minuten später befinde ich mich in einem vergleichsweise winzigen Gerichtssaal: jeweils vier Sitzbankreihen, der Boden aus billigem Mehrzweckfilz. Gut 30 Besucher haben sich eingefunden, etwa die Hälfte der Gesichter kenne ich schon von der Mahnwache. Die andere Hälfte: vermutlich ein paar Journalisten, ein Gerichtszeichner und ein paar Menschen in Anzug und Hosenanzug. NSA? Angehörige? Geschäftsleute? Nicht auszumachen.
Es ist totenstill im Saal. Ich kann in der zweiten Reihe Platz nehmen – und stelle fest, dass keine fünf Meter von mir entfernt Bradley Manning sitzt. Er wendet uns, wie die Verteidiger links und rechts, den Rücken zu. Zuhörer, Verteidigung, Angeklagter und Anklage auf engstem Raum beieinander – rein örtlich durch nichts voneinander getrennt. Bradley Manning ist deutlich kleiner als seine Anwälte. Wie auf den Fotos trägt er eine Brille. Er ist schmächtig. Bürstenhaarschnitt und Militäruniform unterscheiden ihn äußerlich durch nichts von seiner Umgebung. Er macht einen gefassten und konzentrierten Eindruck. Zu keinem Zeitpunkt wendet er sich uns Zuhörern zu. An diesem Gerichtstag wird er keine Miene verziehen und kein Wort sprechen. Er wird sich ab und zu Notizen machen und einen oder zwei Sätze mit einem Anwalt flüstern. Nichts weiter.
Im Gerichtssaal herrscht absolutes Schweigen. »Kaugummi kauen, schlafen, laut rascheln, flüstern oder Sonstiges, was zur Störung des Gerichts führen könnte«, werde mit der sofortigen Entfernung durch Militärpersonal beantwortet, erklärte zu Beginn ein glatzköpfiger Uniformierter. Links und rechts der Zuschauerbänke sitzen je zwei legere Sicherheitsbeamte in Zivil – offenbar aber trotzdem bereit, auf Störer sofort zuzugreifen. Probe aufs Exempel: Als ich mittellaut huste – nicht aufdringlich, aber hörbar –, merken die Beamten sofort auf. Einer fixiert mich für gut eine Minute.
Wer »Störer« ist – das Urteil darüber obliegt offenbar Richterin Denise Lind, die die Kriterien dafür immer wieder nach Gutdünken verschiebt. Bei den Anhörungen vor den offiziellen Gerichtstagen hatte sie Besuchern das Tragen von T-Shirts mit der Aufschrift »Free Bradley Manning« untersagt. Wer es dennoch tat, wurde unter Androhung von Gewalt aus dem Saal eskortiert. Später wurde angeordnet, dass T-Shirts mit der simplen Aufschrift »Truth« (Wahrheit) nicht akzeptabel seien. Stattdessen könnten Besucher ihre T-Shirts umdrehen und die Aufschrift nach innen tragen. Als Unterstützer mit T-Shirts auftauchten, die »Truth« spiegelverkehrt zeigten, gab sie nach. Inzwischen moniert sie »Truth« auch in korrekter Schreibweise nicht mehr. Aber das kann sich wieder ändern.
Seit der Name Edward Snowden die sensationshungrigen Medien beschäftigt, fällt der Name Bradley Manning kaum noch. Und das, obwohl in Fort Meade pro Woche bis Ende August mehrere Gerichtstermine anberaumt sind. Laut Pentagon haben fast 400 Journalisten eine Akkreditierung beantragt. 70 wurden zugelassen. Aber an einem »normalen« Gerichtstag tauchen nur wenige auf. An diesem Mittwoch sind es ganze elf, die Hälfte davon Blogger und die obligatorischen Berichterstatter von Nachrichtenagenturen.
In der Berichterstattung fällt deshalb an diesem »unspektakulären« Termin ein Punkt unter den Tisch. Die peinlichen Depeschen des USA-Außenministeriums, die Manning eingestanderermaßen an Wikileaks weitergegeben hatte, waren für Zehntausende Regierungsangestellte und Soldaten einsehbar. Das sagt nach ein paar Nachfragen des Verteidigers David Coombs ein Zeuge der Anklage. Es ist kein anderer als der damalige Chef-Internetexperte des USA-Außenministeriums Charlie Wisecarver. Er wird für etwa eineinhalb Stunden von Anklage und Verteidigung im Zeugenstand angehört.
Die Weitergabe der 251 287 Depeschen hatte Außenministerin Hillary Clinton als »Angriff auf die internationale Gemeinschaft« bezeichnet. Wisecarver erläutert dagegen, dass zu Pentagon-Daten dieses Kalibers mehr als 20 000 Angestellte des Außenamtes Zugriff hatten – ohne dafür eine besondere Befugnis ausweisen zu müssen. Bradley Manning ein Geheimnisverräter? Keinesfalls, zumindest in diesem Punkt. Aber weder »New York Times« noch »Wall Street Journal«, CNN oder Fox berichteten darüber. Da es sich um ein teilweise geheimes Militärgericht handelt, bleibt auch fraglich, ob Wisecarvers Zeugnis überhaupt Einfluss haben wird auf das Urteil – wie so viele andere Details.
Nicht nur für mich als Beobachter ohne militärjuristischen Hintergrund ergeben sich mehr Fragen als Antworten. Auf Nachfrage sagt der junge Blogger und Gerichtsreporter Nathan Fuller, der das Prozedere für das »Bradley Manning Support Network« in eine fassbare Sprache zu übersetzen versucht, er bezweifle den demokratischen Charakter der US-Militärgerichtsbarkeit. Einige ausländische Kollegen, die in Guantanamo waren, sind sogar der Meinung, das Manning-Verfahren sei wegen Zensur und Geheimhaltung noch weniger zu durchschauen. Eine wohlhabende Aktivistin, die die unabhängige Berichterstattung mit viel Geld unterstützt, flüstert mir zu, es handele sich »um reines Militärtheater mit System«. Manning habe »null Chancen, zeit seines Lebens in die Freiheit entlassen zu werden«.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 2. Juli 2013
Zurück zur USA-Seite
Zurück zur Homepage