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Bradley Manning droht lebenslange Haft

Neue Anklagepunkte gegen mutmaßlichen Wikileaks-Informanten in USA / Kritik an Haftbedingungen

Von Olaf Standke *

Die US-Militärstaatsanwaltschaft hat ihre Anklageschrift gegen Bradley Manning erweitert und will eine lebenslange Haftstrafe für den mutmaßlichen Wikileaks-Informanten fordern.

Bradley Manning ist Private First Class der US-Army und soll der Enthüllungsplattform Wikileaks brisantes Material zugespielt haben, vom erschütternden Video eines tödlichen Luftangriffs auf Zivilisten in Irak bis zu den schlagzeilenträchtigen Geheimdepeschen US-amerikanischer Diplomaten. Seit über sechs Monaten sitzt der Gefreite auf der Marinebasis Quantico (Virginia) in verschärfter Einzelhaft. Für das Pentagon ist der einstige Analyst, der wie rund 500 000 weitere Nutzer während seiner Dienstzeit Zugang zu Hunderttausenden vertraulichen Dokumenten im geheimen militärischen SIPRNet hatte, ein Verräter.

Nun sei die Anklage um 22 Punkte erweitert worden, wie der Fernsehsender NBC berichtete. Am schwersten wiege dabei der Vorwurf der »Unterstützung für den Feind« (aiding the enemy). Wobei die Ermittler keine gerichtsfeste Verbindung zwischen Manning und Wikileaks-Gründer Julian Assange gefunden haben sollen. Die Militärstaatsanwaltschaft wolle keine Todesstrafe fordern, schrieb die »Washington Post«. Werde Manning in allen Anklagepunkten für schuldig befunden, drohe ihm aber lebenslange Haft.

Sein Anwalt David Coombs erklärte, dass die erste Anhörung zu den Vorwürfen Ende Mai stattfinden könne. Zudem müsse laut Pentagon vor der Prozesseröffnung das Ergebnis einer von der Verteidigung erwirkten Untersuchung zur Zurechnungsfähigkeit Mannings vorliegen. Die neuen Anklagepunkte ohne wirkliche Beweise seien ein »rachsüchtiger Angriff« auf ihn, hieß es auf der Wikileaks-Seite beim Internetdienst Twitter. Der Vorwurf der »Feindunterstützung« lege auch nahe, dass die Plattform als Feind betrachtet werde, was »für alle Medien ein sehr gefährlicher Präzedenzfall« sei.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte der USA-Regierung schon Anfang des Jahres eine »unmenschliche Behandlung« Mannings vorgeworfen. Obwohl nicht verurteilt, leide er unter inhumanen Haftbedingungen. Freunde und sein Anwalt berichten, dass diese sehr viel härter seien, als das Pentagon zu suggerieren versuche. Seit Ende Januar steht Manning unter Dauerüberwachung. 23 Stunden täglich in einer Einzelzelle, unterliege er permanent Schlafbeschränkungen. Zudem verharmlose man den angeschlagenen psychischen Zustand Mannings.

Das Spendenkonto seines Unterstützerkomitees »Courage to Resist« wurde in der Vorwoche zeitweilig vom Online-Bezahlunternehmen PayPal gesperrt. Das Bradley Manning Support Network kündigte für den 20. März eine Demonstration vor der Marinebasis Quantico an.

Unterdessen hat der in Großbritannien unter Hausarrest stehende Wikileaks-Gründer Assange Berufung gegen die Entscheidung eines Londoner Gerichts zu seiner Auslieferung an Schweden eingelegt. Gegen ihn wird in Stockholm wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung ermittelt. Der Internetaktivist hat die Vorwürfe stets als Teil eines Komplotts zurückgewiesen, befürchtet die anschließende Auslieferung an die USA und dort ebenfalls einen Prozess wegen der Veröffentlichung geheimer Regierungsdokumente.

* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2011


Erzfeind Wahrheit

Bradley Manning soll Wikileaks Video von einem verbrecherischen US-Luftangriff in Bagdad zugespielt haben. Dafür droht ihm jetzt die Höchststrafe

Von Jürgen Heiser **


Es wird eng für Bradley Manning. Im Fall des 23jährigen Obergefreiten der US-Armee, der sich seit Mai 2010 in Militärhaft befindet, hat das U.S. Army Criminal Investigation Command als zuständige militärische Strafverfolgungsbehörde jetzt das Ergebnis ihrer siebenmonatigen Ermittlungen bekanntgegeben. Manning soll sich während seiner Tätigkeit als Analyst einer Aufklärungseinheit der US-Armee in Irak »unerlaubt Zugang zu Softwareprogrammen auf Regierungscomputern verschafft haben, um Verschlußsachen herauszufiltern, diese rechtswidrig herunterzuladen, unsachgemäß zu speichern und die vertraulichen Daten zur Veröffentlichung und zur Nutzung durch den Feind zu übermitteln«, wie es in einer am Mittwoch verbreiteten Erklärung der Armeeführung in Washington D.C. heißt.

Den Hintergrund der Vorwürfe bilden Veröffentlichungen der Enthüllungsplattform Wikileaks, die Geheimdokumente der US-Kriegsführung in Afghanistan und Irak veröffentlicht hat. Manning wird verdächtigt, das Leck im Apparat zu sein. Unter anderem soll er Wikileaks Videoaufnahmen eines US-Luftangriffs in Bagdad im Jahr 2007 zugeleitet haben. Damals starben irakische Zivilisten und zwei Journalisten der Agentur Reuters unter dem gezielten Feuer aus US-Kampfhubschraubern, begleitet von menschenfeindlichen Kommentaren der Piloten. Wikileaks verbreitete das in Bild und Ton dokumentierte Kriegsverbrechen im April 2010 unter dem Titel »Kollateraler Mord«.

In der Folge des vorläufigen Ermittlungsberichts hat die US-Armee Manning in 22 Punkten unter Anklage gestellt. Der Hauptvorwurf lautet jetzt auf »Unterstützung des Feindes«, indem er »öffentliches Eigentum oder Daten gestohlen« und »verteidigungsrelevante Informationen« im Internet veröffentlicht habe, obwohl »er wußte, daß sie dann dem Feind zugänglich werden«. Hauptmann John Haberland, Justizsprecher der Armeeführung, wird in der Washingtoner Verlautbarung zitiert, die neuen Anklagepunkte belegten »sehr genau die Bandbreite der Verbrechen«, die man Manning vorwerfe.

Der Vorwurf »Unterstützung des Feindes« ist nach der US-Militärgesetzgebung ein Kapitalverbrechen und kann folglich mit der Todesstrafe geahndet werden. Die US-Anklagebehörde will aber nach einer Erklärung gegenüber Mannings Verteidigern nicht die Todesstrafe beantragen. Allerdings drohen Manning bei einer Verurteilung lebenslange Haft, Degradierung und die unehrenhafte Entlassung aus den Streitkräften bei Verlust aller Bezüge.

Jeff Paterson vom Unterstützungsnetzwerk für Bradley Manning zeigte sich in einer ersten Stellungnahme »schockiert« über die Zuspitzung der Anklagepunkte. Er bezeichnete es als Ironie, daß die Armeeführung zwar »die Möglichkeit herunterspielt, Manning hinrichten zu lassen«, die Todesstrafe aber ins Gespräch gebracht habe, während gleichzeitig alle Welt wisse, daß auch die »Veröffentlichung von Geheimdaten aus dem US-Außenministerium zu den Revolutionen und Revolten gegen die Diktaturen im Nahen Osten und in Nordafrika beigetragen haben«. Nun werde aber gerade derjenige mit dem Tod oder lebenslanger Haft bedroht, »dem man vorwirft, der erste Whistleblower in den USA zu sein, der sich also um die Informationsfreiheit und die Freiheit überhaupt verdient gemacht hat«, so Paterson.

Unterdessen wird Bradley Manning weiterhin im Militärgefängnis der Marine Corps Base in Quantico, Virginia, in strikter Isolationshaft gehalten. Verteidigung und Unterstützer gehen davon aus, daß die verschärften Haftbedingungen und die neue Anklage den mutmaßlichen Whistleblower unter Druck setzen und zu Aussagen bewegen wollen, die sich gegen ihn und den Wikileaks-Gründer Julian Assange verwenden lassen.

Info: www.bradleymanning.org

** Aus: junge Welt, 4. März 2011


Mannings Schuhe

Von Olaf Standke ***

Informations- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in »Gottes eigenem Land.« Gerade hat das Oberste Gericht in einem Grundsatzurteil entschieden, dass die Verfassung der USA sogar homosexuellenfeindliche Äußerungen in »verletzender Sprache« schütze. Bei Kriegswahrheiten ist das anders, wie Bradley Manning zu spüren bekommt. Der Gefreite gilt als Wikileaks-Informant und damit als Verräter. Er soll der Enthüllungsplattform das Video zugespielt haben, das einen tödlichen US-amerikanischen Luftangriff auf irakische Zivilisten zeigt, und auch hinter der Veröffentlichung jener Geheimdepeschen Washingtoner Diplomaten stecken, die seit geraumer Zeit weltweit immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Für die Militärstaatsanwaltschaft ist das nun auch »Kollaboration mit dem Feind«, was Manning, wenn nicht den Kopf, so doch lebenslang die Freiheit kosten könnte. Und was Wikileaks naheliegend auf sich bezieht und deshalb einen »gefährlichen Präzedenzfall« für alle Medien nennt. Aber selbst im Pentagon sieht man wohl, dass eine solche Feindbestimmung voller juristischer Fallen steckt, weshalb man den Bogen lieber indirekt zu all den Terroristen zwischen Hindukusch und Zweistromland schlagen will. Für Mannings Unterstützer wird daraus ein ganz anderer Schuh. Sie fragen, ob die veröffentlichten Depeschen des USA-Außenministeriums nicht vielmehr zu der auch von Washington so begrüßten Revolte in der arabischen Welt beigetragen hätten.

*** Aus: Neues Deutschland, 4. März 2011 (Kommentar)

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