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Grün und links haben es weiter schwer

Chomsky: Progressive in den USA sollten an der Basis arbeiten "für eine Bewegung von unten"

Von Max Böhnel, New York *

Bei den US-Präsidentschaftswahlen kam die Kandidatin der Grünen Jill Stein auf landesweit 0,3 Prozent. Das magere Ergebnis ist aber immer noch ein Erfolg gegenüber anderen linken und sozialdemokratischen Kandidaten, die mit ein paar hundert oder tausend Stimmen statistisch bei 0,0 Prozent blieben.

Die US-Grünen und Linken sind auch bei den Abgeordneten- und Senatorenwahlen deutlich gescheitert. Auf kommunaler Ebene gab es einige Erfolge, aber in der Gesamtschau fällt ein Bürgermeister hier oder ein Richterposten dort kaum ins Gewicht. Als Kraft, die sich eigenständig organisiert und von der Wählerschaft entsprechend wahrgenommen wird, bleibt die US-Linke eine Marginalie.

Es muss allerdings gesagt werden, dass progressive Kandidaten mitunter als Mitglieder der Demokratischen Partei antreten. In Massachusetts gewann die links orientierte Juraprofessorin Elizabeth Warren einen Senatssitz. Sie gilt als scharfe Banken- und Wallstreet-Kritikerin. In Ohio setzte sich Sherrod Brown mit einer gewerkschaftsfreundlichen Kampagne durch. Schließlich gewann in Wisconsin Tammy Baldwin, eine bekennende Lesbe, ebenfalls einen Sitz in Washingtoner Senat. Sie war allerdings bereits seit 1999 Mitglied des Repräsentantenhauses. Die demokratische Mehrheit im Senat erhielt damit einen leichten Linksruck.

Der weltbekannte Bostoner Globalisierungskritiker Prof. Noam Chomsky reagierte auf die Wahlergebnisse allerdings mit Skepsis. Er freue sich über Warrens Wahlsieg sowie darüber, dass Mitt Romney und die Republikaner nicht durchmarschiert seien. Aus seiner Sicht lohne es sich für die Linke »fünf Minuten lang über die Wahlen nachzudenken, dann aber die politische Arbeit wieder aufzunehmen« - die Arbeit an der Basis zur »Bildung einer Bewegung von unten«.

Großen wahlanalytischen Klärungsbedarf gibt es offenbar in der bedeutendsten linkssozialdemokratischen USA-Gruppierung Democatic Socialists of America (DSA). Einer ihrer Köpfe, Prof. Joseph Schwartz, hatte Barack Obama am Wochenende im nd-Interview als »Mitte-Links-Kandidat« bezeichnet. Ganz anders klang sein DSA-Kollege Prof. Cornel West im Fernsehsender »Democracy Now«. Der Präsident sei ein »Rockefeller-Republikaner«, kritisierte West.

Einig ist sich die USA-Linke jedenfalls darüber, dass schon die kommenden Wochen wegweisend sein werden. Denn Obama muss noch vor Jahresende einen Kompromiss mit den Republikanern über die »Steuerklippe« aushandeln. Ansonsten drohen automatische Steuererhöhungen und scharfe soziale Sparmaßnahmen. Die linke Vorsitzende der nationalen Gewerkschaft des Krankenhauspersonals, Rose Ann DeMoro, formulierte ihre Erwartungen an das Weiße Haus mit den Worten, der Präsident und der Kongress sollten jegliche Einschnitte in die großen staatlichen Sozialprogramme zurückweisen und »darauf bestehen, dass Wall Street unserer Nation die Schäden mit der Robin-Hood-Steuer zurückerstattet«. Wie DeMoro befürchten Viele allerdings den »großen Kompromiss« Obamas mit den Republikanern: sanfte Steuererhöhungen für die Reichen und eine schrittweise Austeritätspolitik für den Rest der Gesellschaft.

Die Führung der Republikaner im Kongress hat ihre Verhandlungsbereitschaft bereits signalisiert. Aber bei den USA-Rechten rumort es seit der Wahlniederlage Romneys gewaltig. Noch in der Wahlnacht gaben sich bis dahin als geniale konservative Strategen geltende Vordenker hilflos. Karl Rove, der fast 400 Millionen Dollar für den rechten Wahlkampf eingesammelt und ausgegeben hatte, stritt zunächst einen Obama-Wahlsieg ab. Später behauptete er, die Demokraten hätten Stimmen gestohlen. In rechten Zeitschriften wie »National Review« wird die Schuld wahlweise bei Romney, bei den »linken Medien« oder gar »den dummen Wählern« gesucht. Das rechtsreligiöse Lager befindet sich geradezu in Schockstarre angesichts es von ihm empfundenen »Werteverfalls in Amerika«.

Beobachter befürchten deshalb, dass sich enttäuschte Republikaner radikalisieren und den Rechtsextremen zulaufen werden. Ob die Republikanerführung angesichts ihres desolaten Zustands also überhaupt in der Lage ist, ihrer Basis einen Kompromiss mit Obama und den Demokraten zu verkaufen, ist deshalb fraglich.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 13. November 2012


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