Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Chevrolet" aus Teheran?

Von René Heilig *

Die US-Regierung wirft Iran vor, ein Attentat auf den saudi-arabischen Botschafter in den USA geplant zu haben. Teheran dementiert vehement, Washington setzte eine weltweite Terrorwarnung ab. Alte Spannungen werden aktiviert, neue Konfrontationen drohen.

Eine Story wie aus einem Agentenfilm: Die Regierenden in Teheran schickten zwei Revolutionsgardisten aus, um einen Anschlag auf den saudi-arabischen Botschafter in den USA, Adel al-Jubeir, zu organisieren. Die Bombe sollte in einem Nobelrestaurant in Washington explodieren. Für das Attentat heuerte man ein Mitglied der mexikanischen Drogenbande »Los Zetas« an. Doch der »Killer« war Agent der US-Drogenbehörde DEA und ließ die Anschlagspläne, die unter dem Codenamen »Chevrolet« liefen, auffliegen.

»Auch wenn es sich liest wie ein Hollywood-Drehbuch, die Folgen wären äußerst real gewesen«, sagte FBI-Direktor Robert Mueller bei einer Pressekonferenz mit Justizminister Eric Holder und dem New Yorker Bezirksstaatsanwalt Preet Bharara. Letzterer erhob am Dienstag formal Anklage gegen zwei mutmaßliche Verschwörer: den 56-jährigen US-Bürger mit iranischem Pass, Manssor Arbabsiar, und den Angehörigen der iranischen Spezialeinheit Al-Kuds, Gholam Schakuri. Auch weitere ranghohe Mitglieder der Eliteeinheit in Teheran seien eingeweiht gewesen. Arbabsiar ist in Haft, Schakuri in Iran.

Der angebliche Auftragskiller habe pro forma vier Helfer und 1,5 Millionen Dollar verlangt und gewarnt, es sei mit dem Tod vieler Unbeteiligter zu rechnen, wenn der Botschafter in seinem Lieblingsrestaurant, in dem auch US-Politiker verkehren, getötet werden sollte. »Wenn Hunderte mit ihm sterben, scheiß drauf«, habe Arbabsiar gesagt und betont: Seine Auftraggeber wollten, dass der Botschafter stirbt.

Auch wenn das ausgewählte Opfer unbehelligt blieb, die Folgen für die internationale Politik sind tatsächlich äußerst real. US-Präsident Barack Obama warf Iran einen Verstoß gegen das Völkerrecht vor. Iran müsse zur Rechenschaft gezogen werden. Die USA und viele ihrer westlichen Verbündeten verdächtigen die Islamische Republik, Atomwaffen herstellen zu wollen. Zudem wurde in den vergangenen Monaten immer öfter darüber spekuliert, dass Iran und Saudi-Arabien ihren Kampf um die Führungsrolle in der Region verstärken.

Die US-Regierung rief alle Bürger zu erhöhter Wachsamkeit auf. Nach dem aufgedeckten Komplott gebe es Hinweise auf einen »aggressiveren Fokus der iranischen Regierung bei terroristischen Aktivitäten«. Außenministerin Hillary Clinton drängt auf die Verschärfung der bereits gegen Iran verhängten Sanktionen und hofft, dass noch zögerliche Staaten nun mitmachen.

Trotz bunter Berichte in US-Medien sind zahlreiche Fragen, die eine Verstrickung der Regierung von Ahmadinedschad belegen, ungeklärt. US-Senator Dick Durbin behauptete überdies, dass auch die israelische Botschaft in Washington angegriffen werden sollte. Andere sagen, die israelische Botschaft in Argentinien sei bedroht gewesen. Und warum erst jetzt der Zugriff? Die Verabredungen zum Auftragsmord hatten im Mai begonnen, im August waren 100 000 Dollar überwiesen worden. Eine Erklärung für das Zögern: Das FBI wartete mit den Enthüllungen, bis zwei in Iran inhaftierte US-»Wanderer« gegen Kaution freigelassen wurden.

Nicht nur Irans Führung dementiert die Attentatspläne. Auch der Iran-Experte Alireza Nader von der US-Denkfabrik Rand Corporation vermisst in der »Washington Post« ein Motiv. Stimmt die Anklage jedoch, so hätte man es mit einem Strategiewechsel der iranischen Führung und ihrer Geheimdienste zu tun. Bislang haben sie die USA - wenn überhaupt - nur indirekt attackiert.

* Aus: neues deutschland, 13. Oktober 2011


Inszeniertes Mordkomplott

USA: Spur des vereitelten Anschlags führt nach Washington, nicht nach Teheran

Von Knut Mellenthin **


Nach der inszenierten »Aufdeckung eines iranischen Mordkomplotts« gegen den saudi-arabischen Botschafter in Washington am Dienstag (11. Okt.) hat die US-Regierung die Lage am Mittwoch weiter verschärft. Das Außenministerium hat mit einer Reisewarnung alle US-Staatsbürger im Ausland alarmiert und zu Vorsichtsmaßnahmen aufgerufen. In dieser Erklärung heißt es: »Die US-Regierung schätzt ein, daß der vom Iran unterstützte Plan zur Ermordung des saudischen Botschafters darauf hindeuten könnte, daß die iranische Regierung einen aggressiveren Schwerpunkt auf terroristische Aktivitäten gegen Diplomaten gewisser Länder setzen könnte. Das schließt mögliche Angriffe in den Vereinigten Staaten ein.«

In Wirklichkeit räumen alle beteiligten US-amerikanischen Dienststellen ein, daß es keine Hinweise auf eine Verwicklung oder Mitwisserschaft der iranischen Regierung gibt. Daß alle westlichen Mainstreammedien trotzdem so tun, als wäre das Gegenteil der Fall, war allerdings vorauszusehen und ist aus Sicht der US-Administration gewiß nicht unerwünscht. Nur so läßt sich auch die Ankündigung »neuer Strafmaßnahmen« gegen den Iran durch Außenministerin Hillary Clinton rechtfertigen. Auf einer Pressekonferenz kündigte sie die Absicht ihrer Regierung an, »sich mit unseren Freunden und Partnern überall auf der Welt zu beraten, wie wir ein ganz starkes Signal aussenden können, daß diese Art von Aktionen, die internationale Normen verletzen, beendet werden müssen«. Iran habe »eine Linie überschritten« und müsse »dafür zur Rechenschaft gezogen werden«. Triumphierend setzte Clinton hinzu: »Ich denke, dieser Vorfall wird das wohlbegründete Mißtrauen vieler Länder gegen das, was Iran vorhat, verstärken.«

Das angebliche Mordkomplott, das zusätzliche »Strafmaßnahmen« gegen ein ganzes Land begründen soll, war offenbar eine sogenannte Sting Operation, wie sie in den vergangenen Jahren immer häufiger von FBI, CIA und anderen US-Sicherheitsbehörden praktiziert wurde, um der Öffentlichkeit »muslimische Terroristen« vorführen zu können. Bei dieser Methode werden systematisch labile Individuen aufgespürt, die sich von Polizei- und Geheimdienstagenten in fingierte Verschwörungen verwickeln lassen. Diese entspringen überwiegend der Phantasie und den Aktivitäten eben dieser Behörden. Das reicht von der Vorgabe der Attentatsziele bis zur Beschaffung von Sprengstoff und Waffen.

Die Aussage der Verantwortlichen, daß im aktuellen Fall »nie eine Gefahr bestanden« habe, weil der Hauptverdächtige »von Anfang an unter Beobachtung gestanden« habe, ist ein eindeutiger Hinweis, daß es sich wieder einmal um eine solche »Sting Operation« gehandelt hat. Der inhaftierte Mann, Manssor Arbabsiar, ist ein US-Staatsbürger iranischer Herkunft. Der Anklageschrift zufolge war er von unbekannten Männern angeworben und bezahlt worden, die er für hochrangige Offiziere der iranischen Revolutionsgarden gehalten habe. Diese hätten ihn beauftragt, sich mit einem mexikanischen Drogenkartell in Verbindung zu setzen, um Auftragskiller für die Ermordung des saudi-arabischen Botschafters in Washington zu besorgen. Weitere Anschläge sollten sich später gegen die israelischen Botschaften in den USA und Argentinien richten.

Wie nimmt ein ganz normaler US-Bürger Kontakt zu mexikanischen Gangstern auf? Offenbar war auch das von Arbabsiars Auftraggebern arrangiert worden: Der Iraner geriet ausgerechnet und kaum zufällig an einen mexikanischen Kontaktmann, der als Informant im Dienst der US-Drogenbehörde DEA steht. Diese Leute sind in der Regel Drogenabhängige und Kriminelle, die mit massiven Drohungen zur Mitarbeit erpreßt werden und so gezwungenermaßen zu jeder Lüge bereit sind.

Die Anklageschrift nennt den Namen eines zweiten Iraners, Golam Shakuri, der sich in seinem Heimatland befinden soll und angeblich Offizier der Revolutionsgarden ist. Ob dieser Mann wirklich etwas mit dem fingierten Mordkomplott zu tun hatte und ob er überhaupt existiert, ist jedoch ungewiß

** Aus: junge Welt, 13. Oktober 2011


Die Erben der "Adlerkralle"

Attentatsvorwürfe heizen die Feindschaft zwischen den USA und Iran erneut an

Von Olaf Standke ***


Den bilateralen Beziehungen zwischen den USA und Iran droht nach den jüngsten Attentatsvorwürfen ein neuer Tiefpunkt.

Am 25. April 1980 sollte eine Spezialeinheit über 50 USA-Bürger in Teheran befreien. Sie waren Geiseln des Mullah-Regimes von Ajatollah Chomeini, der den Schah im Januar 1979 gestürzt hatte und am 4. November die Washingtoner Botschaft stürmen ließ, um eine Auslieferung des in die USA geflohenen Monarchen zu erzwingen. Doch die Operation »Eagle Claw« (Adlerkralle) war ein Desaster. Erst im Januar 1981 kamen die Geiseln frei. Die USA und Iran unterhalten seit damals keine diplomatischen Beziehungen mehr.

In den USA wird diese Geiselkrise als Beginn der andauernden Feindschaft mit den Teheraner Mullahs gesehen. Wobei man gern vergisst, dass erst ein CIA-Putsch gegen den vom Parlament gewählten Nationalliberalen Mohammed Mossadegh 1953 dem Schah die Macht sicherte. Nach Terroranschlägen in Libanon erklärte Präsident Ronald Reagan Irans Regime 1984 zum »Sponsor des internationalen Terrorismus«. Vier Jahre später schoss ein US-Kriegsschiff einen iranischen Airbus über dem Golf ab - alle 290 Passagiere starben.

Neben dem Terrornetzwerk Al Qaida ist Iran das wichtigste Feindbild der Supermacht, das Präsident Mahmud Ahmadinedschad mit paranoidem Antisemitismus noch düsterer zeichnet. Immer wieder werden Meldungen gestreut, wonach die iranischen Revolutionsgarden die libanesische Hisbollah, die radikal-islamische Hamas in Gaza oder die Aufständischen in Irak und in Afghanistan mit Waffen versorgen. Dazu kommen Vorwürfe, man kooperiere mit Al Qaida.

Vor allem aber ist es der vermeintliche Griff nach Atomwaffen, der Iran für die westliche Welt zum Paria macht. Während Teheran auf den zivilen Charakter seines Atomprogramms pocht, befürchten die USA und Israel die klandestine Entwicklung von Kernwaffen. Wobei es zur Ironie der Geschichte gehört, dass die USA 1967 mit einem Leichtwasser-Forschungsreaktor gleichsam den Grundstein legten und nicht davor zurückschreckten, dem Schah waffenfähiges Uran zu liefern.

Inzwischen überzieht Washington iranische Politiker, Militärs und Unternehmen mit Sanktionen. Der Kongress hat ein Gesetz verabschiedet, das Firmen Restriktionen androht, die in Irans Energiewirtschaft investieren. So hatten Senatoren Bundesaußenminister Guido Westerwelle aufgefordert, die Finanzierung des iranischen Atomprogramms durch die Europäisch-Iranische Handelsbank (EIHB) zu stoppen. Prompt setzte sich Deutschland dafür ein, das Finanzinstitut mit Sitz in Hamburg auf die Sanktionsliste der EU zu setzen.

Zugleich wurde in Washington über eine militärische Lösung nachgedacht. Vor allem in der Ära von George W. Bush trieb man die Planungen für eine Invasion voran. Geheimdokumente, die die Internet-Plattform Wikileaks öffentlich gemacht hat, zeigen, dass auch arabischen Herrscher nichts dagegen hätten. So soll der saudische König Abdullah die USA schon 2008 aufgefordert haben, »der Schlange den Kopf abzuschlagen«. Republikanische Abgeordnete, die der konservativen »Israel Lobby« nahe stehen, fordern auch jetzt wieder eine Konfrontationsstrategie. Senator Lindsey Graham machte klar, was das heißt: »Die Marine des Staates versenken, seine Luftwaffe zerstören und den Revolutionsgarden den entscheidenden Schlag versetzen. Mit anderen Worten: das Regime ausschalten.«

Die Obama-Regierung hat bisher diesem Druck offiziell nicht nachgegeben. Andererseits wollte man bei der Vorstellung der neuen Nuklearstrategie im Vorjahr selbst einen atomaren Erstschlag gegen Iran oder Nordkorea im Fall der Fälle nicht ausschließen. Die »New York Times« enthüllte kürzlich, das Pentagon habe längst Geheimoperationen in Vorderasien und am Horn von Afrika ausgeweitet, um für einen Iran-Krieg vorbereitet zu sein. Man sammle Informationen über das Atomprogramm und Dissidenten-Gruppen. Und Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin schließt nicht aus, dass die USA auch ihr Projekt zum Aufbau eines Raketenschildes in Europa als Vorwand für die Vorbereitung eines Angriffs auf Iran nutzen könnten. Schließlich sei es kein reines Defensivsystem.

»Die USA beabsichtigen, Iran für seine Handlungen zur Verantwortung zu ziehen«, sagte Justizminister Eric Holder jetzt nach den Attentatsvorwürfen. Konkrete Pläne nannte er noch nicht.

** Aus: neues deutschland, 13. Oktober 2011


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