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1500 Dollar pro Kopf

USA: Entschädigungszahlungen an Indianer nach langwierigen juristischen Auseinandersetzungen. Keine Entschuldigung für Unrecht

Von Philipp Schläger, New York *

Es war eine der größten und kompliziertesten Sammelklagen gegen die US-Regierung überhaupt. 13 Jahre dauerte die juristische Auseinandersetzung. Sie erstreckte sich über die Amtsperioden dreier US-Präsidenten, mündete in sieben Verfahren mit insgesamt 196 Verhandlungstagen und zehn Berufungsentscheidungen. Und am Ende steht nun ein Vergleich, der einen Schlußstrich unter den Rechtsstreit setzen soll.

Das US-Innenministerium einigte sich in der vergangenen Woche (siehe jW vom 10.12.) mit Vertretern von etwa 300 000 Indianern auf eine Entschädigung in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar (2,3 Milliarden Euro). Damit die Vereinbarung in Kraft treten kann, müssen noch Kongreß und Bundesgerichte den Kompromiß absegnen. Nach Angaben von Regierungsbeamten könnte dies schon innerhalb weniger Monate geschehen. In diesem Fall wäre die Zahlung die höchste, die die US-Regierung je an amerikanische Ureinwohner geleistet hat. Eine Entschuldigung für das begangene Unrecht beinhaltet das Abkommen allerdings nicht.

Präsident Barack Obama bezeichnete die Beilegung des Rechtsstreits als einen wesentlichen Schritt zur Versöhnung. Justizminister Eric Holder sprach von einem »historischen Ereignis.« Hintergrund der Auseinandersetzung ist das Dawes-Gesetz von 1887, das es dem US-Innenministerium erlaubte, Land, das nach indianischer Tradition allen gemeinsam gehörte, zu beschlagnahmen und aufzuteilen. Die Regierung vergab Parzellen an einzelne Stammesmitglieder und – wenn der Boden reich an Rohstoffen war – auch an Privatunternehmen. Da viele Ureinwohner keine Testamente verfaßten, entstand bald schon Konfusion über die Frage, wem das Land gehörte. Über Generationen wuchs die Zahl potentieller Eigentümer.

Das 1824 gegründete Office of Indian Affairs (OIA, Büro für Indianerangelegenheiten) im Innenministerium verwaltet heute in Treuhandfonds Indianerland, dessen Gesamtfläche an die Großbritanniens heranreicht. 40000 Quadratkilometer sind Grundstücke, die einzelnen Ureinwohnern gehören, etwa 190000 Quadratkilometer gehören Indianernationen. Die Gewinne aus Nutzungsrechten für Weiße, wie Öl- und Gasbohrungen, Abholzungen oder Weiderechte, sollten an die Indianer zurückfließen. 2009 nahm die Regierung etwa 289 Millionen Dollar für 384000 individuelle indianische Konten ein.

Die Ureinwohner werfen der Regierung jedoch seit Jahren vor, ihr Land und die Erlöse aus dessen wirtschaftlicher Ausbeutung schlecht verwaltet zu haben. Sie forderten Entschädigung für entgangene Einnahmen. Nun sollen vor allem Angehörige von indianischen Stämmen in den US-Bundesstaaten North Dakota, South Dakota, Oklahoma und Montana zusammen 1,4 Milliarden Dollar als Ersatz für vergangene und künftige Ansprüche erhalten. So sind jeweils mindestens 1500 Dollar für 300000 Indianer vorgesehen. Mit weiteren zwei Milliarden Dollar will die Regierung Land kaufen. Die Summe liegt deutlich unter der Forderung der Kläger, die in dem Verfahren bis zu 47 Milliarden Dollar einzuklagen versuchten.

Die Schwarzfußindianerin Elouise Cobell aus Montana, eine der führenden Klägerinnen gegen das Innenministerium, sagte: »Heute ist ein bedeutsamer Tag für das ganze Volk im indianischen Land, das so lange auf Gerechtigkeit gewartet hat.« Die Summe könne den Genozid an den Indianern nicht ausgleichen, erklärte Clyde Bellecourt gegenüber junge Welt. Der Mitbegründer der Amerikanischen Indianerbewegung (AIM) wies auf die aktuellen Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung hin, die er mit denen in der dritten Welt verglich. In seinem Stamm Anishinabe im Norden Minnesotas hätten acht von zehn Menschen keine Arbeit. Alkohol sei die Haupttodesursache in den US-Reservaten, auch die Suizidrate sei sieben Mal höher als der nationale Durchschnitt. Die Wohnbedingungen vieler Ureinwohner seien ärmlich. Rund 70 Prozent hätten kein fließendes Wasser im Haus. Die Gesundheitsversorgung sei katastrophal. Indianer lebten mit einem deutlich höheren Todesrisiko durch Krankheiten wie Tuberkulose, Diabetes oder Grippe. Die 1500 Dollar pro Kopf würden an dieser Misere gar nichts ändern, sagte Bellecourt.

* Aus: junge Welt, 14. Dezember 2009


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