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USA: Millionen hungern

Amtliche Statistik schockt die Vereinigten Staaten: 48 Prozent ihrer Bürger sind arm oder fast arm. Vor allem Kinder betroffen. Solidarität aus Venezuela

Von André Scheer *

Die »Occupy«-Bewegung prägt weiter die öffentliche Diskussion in den USA. Das Magazin Time wählte die »Protestierenden« aus aller Welt – darunter ausdrücklich auch die spanischen und griechischen »Empörten« und ihre nordamerikanischen Ableger – zur »Person des Jahres 2011«. Auch der den Widerstand gegen die reichsten ein Prozent der Bevölkerung symbolisierende Slogan der »Occupy«-Bewegung »We are the 99 percent« (Wir sind die 99 Prozent) wurde von der Yale University jetzt zum »Zitat des Jahres« erklärt, wie die Nachrichtenagentur AP in der Nacht zum Montag (19. Dez.) meldete.

Die Aktivisten der Bewegung, die Mitte September mit einem Aufruf, die New Yorker Wall Street zu besetzen, ihren Ausgang nahm, können sich nun auch von offiziellen Zahlen der US-amerikanischen Behörden bestätigt fühlen. Eine von den nordamerikanischen Medien in den vergangenen Tagen heftig diskutierte Studie der dem Handelsministerium angegliederten Statistikbehörde U.S. Census Bureau kommt zu dem Schluß, daß nicht weniger als 48 Prozent der US-Amerikaner – insgesamt fast 150 Millionen Menschen – mittlerweile als arm gelten können, weil sie mit ihren Gehältern unter die offizielle Armutsgrenze gerutscht sind oder zu der nur knapp darüber liegenden Schicht mit »geringen Einkommen« gehören. 57 Prozent der Kinder in den USA leben in dieser Klasse. Das Durchschnittseinkommen aller Familien ist seit 2007 inflationsbereinigt um 6,7 Prozent gesunken.

In der vergangenen Woche warnte zudem die Konferenz der Bürgermeister US-amerikanischer Städte bei einer Pressekonferenz in Washington, daß aufgrund der wachsenden Arbeitslosigkeit immer mehr Familien ihre Unterkunft verlieren und Hunger leiden. Das Problem sei so groß wie nie zuvor in den vergangenen 25 Jahren. Die Zahl der Nothilfeanträge sei in den zwölf Monaten bis September 2011 um 15 Prozent gestiegen. Selbst Berufstätige seien nicht mehr vor Hunger geschützt: 26 Prozent derjenigen, die auf Lebensmittelspenden angewiesen seien, hätten einen Arbeitsplatz.

Sheldon Danziger, ein auf Armutsforschung spezialisierter Professor der Universität von Michigan, zeichnete gegenüber AP ein trübes Bild: »Die Realität ist, daß die Aussichten für die Armen und die fast Armen trostlos sind.« Wenn der Kongreß und die Bundesstaaten ihre Kürzungspolitik im sozialen Bereich fortsetzten, werde die Zahl der armen Familien in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Bisher hätten Hilfsprogramme wie Lebensmittelmarken und Steuerstundungen einen noch höheren Anstieg verhindert, aber bereits jetzt hätten viele Bedürftige zu diesen keinen Zugang mehr. So würden Familien, deren Einkommen knapp über der Bemessungsgrenze liegt, die aber berufs- oder gesundheitsbedingt höhere Ausgaben haben, leer ausgehen.

Solidarität mit diesen Menschen kommt auch in diesem Jahr aus Venezuela. Zum siebten Mal in Folge hat das in venezolanischem Staatsbesitz befindliche Ölunternehmen CITGO in der vergangenen Woche erneut die Lieferung von kostenlosem Heizöl an mehr als 400000 Menschen in 25 US-Bundesstaaten, darunter den Bewohnern von 250 Obdachlosenheimen, begonnen. Seit 2005 habe CITGO für dieses Programm mehr als 400 Millionen US-Dollar ausgegeben, sagte CITGO-Präsident Alejandro Granado.

* Aus: junge Welt, 20. Dezember 2011


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