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Glänzende Auferstehung

Ökonomie. Wie mit dem Dollar in der Ölkrise vom Oktober 1973 die globale Hegemonie der USA erneuert wurde

Von Elmar Altvater *

Eine solche Idylle hat es weder vor noch nach der Ölpreiskrise vor 40 Jahren gegeben. Auf den Autobahnen der BRD konnten am 25. November 1973 und nochmals am 2., 9. und 16. Dezember Eltern mit ihren Kindern wandern oder radeln. Auf dem Ku’damm in Westberlin wurden Fußballspiele ausgetragen, Rollschuhfahrer zogen ihre Kreise und Spaziergänger flanierten, wo sonst »freie Bürger« mit ihren Autos das Recht der »freien Fahrt« hatten. Doch diese Beschaulichkeit dauerte nicht lange. Bereits am vierten »autofreien Sonntag« hatte die Öl- und Autolobby »so viele Ausnahmen« durchgesetzt, »daß es auf den Straßen wieder zu Staus kam«. So schließt resigniert der Autor des Wikipedia-Eintrags zum »autofreien Sonntag«.

Dieser sollte eine Antwort auf die sogenannte Ölkrise sein, die von den arabischen Förderstaaten mit einem totalen Embargo gegen die USA und die Niederlande ausgelöst wurde. Das geschah zur Unterstützung einer von Ägypten und Syrien geführten arabischen Koalition gegen die israelische Besatzungsmacht auf der Sinai-Halbinsel und den Golanhöhen, die sich seit 1967 dort festgesetzt hatte. Der Jom-Kippur-Krieg zwischen dem 6. und 26. Oktober 1973 (siehe jW-Thema vom 2./3.10.2013) hatte zur Folge, daß sich der Ölpreis von 2,89 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) auf über 11,65 US-Dollar vervierfachte. Für alle Verbraucherländer stieg die Importrechnung für Öl an. Bei den Exporteuren sammelten sich »Petrodollars« auf Konten, die vor allem bei US-amerikanischen, britischen und Schweizer Banken gehalten wurden. Die Bundesrepublik kam vergleichsweise gut weg, denn die »Öl- und Sandstaaten« auf der arabischen Halbinsel kauften weiterhin industrielle Ausrüstungen »Made in Germany«. Die DM gewann an Wert, wodurch sich die Ölimporte verbilligten. Die Bevölkerung in Ländern mit hoher Inflation und abgewerteter Währung, wie Italien, litt unter der beträchtlich erhöhten Rechnung, denn diese war in harten Devisen zu begleichen.

Nicht nur teurer, vor allem knapper

Die Preissteigerung war mehr als die Reaktion auf den Jom-Kippur-Krieg, sie war das Fanal für das Ende eines Zeitalters. Denn das Öl, der Treibstoff der Industriegesellschaft, wird seit 1973 teurer, und zwar nicht nur wegen der – wie es in den Medien vor 40 Jahren hieß – »Erpressung der Ölscheichs«. Der Krieg im Nahen Osten bot nur die Gelegenheit für die Preissteigerung, die wirkliche Ursache war vielmehr die Knappheit des Energieträgers. Dessen Vorkommen gehen zur Neige, was sich zu Beginn der 1970er Jahre abzeichnete. Schon in den 1950er Jahren hatte der US-Geologe Marion King Hubbert den Höhepunkt der US-amerikanischen Ölförderung für das Jahr 1972 prognostiziert. Und exakt so kam es: Die USA konnten ihre Ölextraktion trotz steigender Nachfrage nicht erhöhen. Es zeigte sich, daß die Ausbeute jeder endlichen Ressource einen Höhepunkt hat. Danach geht es zumeist sehr rapide bergab. Diese Tatsache wird mit dem US-Ölfachmann Colin J. Campbell »Peak Oil« genannt. In den folgenden vier Jahrzehnten nach 1973 hat auch die globale Ausbeute den Höhepunkt überschritten.

Wo sollte nun die Energie herkommen, um die von entsprechenden fossilen Trägern vollständig abhängigen Wirtschaften der Industrieländer zu versorgen? Die naheliegende und erste Antwort war und ist: Das Öl kommt weiterhin aus den Regionen, in denen die Quellen noch reichlich sprudeln; es wird zur Hauptaufgabe der Diplomatie, die Förderländer fest in die Allianz mit den Großverbrauchern zu binden. Die Ölproduzenten im Mittleren Osten konnten zwar die Gunst der Stunde des Jom-Kippur-Krieges nutzen und das energetische Monopol in politische Macht und klingende Münze umsetzen. Aber sie können und wollen aus der »fossilen Allianz« nicht ausbrechen. Den Rohstoff gab es also auch nach der Ölkrise in ausreichender Menge, allerdings zu steigendem Preisen – jedenfalls seit dem Ende der 1980er Jahre.

Weil der Energieträger teurer wurde, begann zweitens die Suche nach neuen Quellen, nach »unkonventionellem« Öl. Großbritannien war glücklich dran, weil mit steigendem Ölpreis die Exploration des Nordseeöls, von dem man seit den 1950er Jahren wußte, rentabel wurde. Die Förderung begann 1975 in großem Stil. Norwegen folgte, und das Nordseeöl der Marke »Brent« wurde zu einem Standard im internationalen Geschäft. So konnte nicht nur die Abhängigkeit von den arabischen Exporteuren vermindert werden. Die die neuen Funde halfen der inzwischen ins Amt gewählten neoliberalen britischen Regierung unter Margaret Thatcher auch, die streikenden Bergarbeiter ins Leere laufen zu lassen. Denn die wegen des Streiks ausbleibende Kohle konnte leicht durch das Öl aus der Nordsee ersetzt werden. Der arbeiterfeindliche Neoliberalismus in Verbindung mit dem neuen Schub des »Fossilismus« haben der britischen Arbeitermilitanz der 1970er und 1980er Jahre den Stachel gezogen. Der neue britische Ölreichtum wurde als Mittel des Klassenkampfs von oben eingesetzt.

Drittens begann auch in anderen Weltregionen Mitte der 1970er Jahre eine fieberhafte Suche nach alternativen Energieangeboten. Brasilien ist ein gutes Beispiel, das für viele Länder steht. Die Militärdiktatur legte ab 1975 das »Proàlcool«-Programm auf, die massive Förderung der Produktion von Äthanol aus Zuckerrohr und die Umstellung der Automobilflotte auf »Biosprit«. Wenige Jahre danach fuhren die Autos mit einem Benzin-Äthanol-Gemisch, und riesige Areale des Landes, von denen kleine Bauern vertrieben wurden, wurden in großflächige Agrotreibstoffabriken verwandelt.

Viertens kann die Kernkraft den Energiehunger, sofern er sich mit Elektrizität befriedigen läßt, zumindest teilweise stillen. Das ist nirgendwo erfolgreich. In Brasilien wurden mehrere Atomkraftwerke an der Atlantikküste nahe der Hafenstadt Angra dos Reis geplant, in wunderschöner Küstenlandschaft zwischen Rio de Janeiro und Sao Paulo gelegen. Das AKW »Angra dos Reis I« des US-amerikanischen Unternehmens Westinghouse war von Anfang an ein »Pleitemeiler«, der erst eineinhalb Jahrzehnte nach Baubeginn, 1985, jedoch nur 14 Tage lang Strom lieferte. Der Siemens-Reaktor »Angra dos Reis II« ist auch nicht besser. Er ging 2001 nach 25 Jahren Planungs- und Bauzeit ans Netz. Ein ernster Störfall passierte nur wenige Wochen später. »Angra dos Reis III« kostet immer noch und bringt nichts ein, denn die technischen Ausrüstungen für etwa 750 Millionen Euro hat Siemens eingemottet. Heute installiert, ließe sich daraus nur ein Schrottreaktor zu Ende bauen.

Auch in anderen Ländern haben sich Atomkraft und Agrosprit als Alternativen zum fossilen Kraftstoff nicht bewährt. Man braucht nicht nur an Tschernobyl und Fukushima erinnern. Der Übergang zu einer Wirtschaft mit erneuerbarer Energie muß, wie der vor wenigen Jahren verstorbene SPD-Politiker Hermann Scheer immer wieder betont hat, anders organisiert werden als mit der Großtechnologie des fossilen Zeitalters. Man muß schon konsequent sein und den Übergang zur solaren Energie – denn eine andere steht der Menschheit dauerhaft nicht zur Verfügung, wenn die fossilen Reserven ausgeschöpft sind – als eine Revolution, als eine »große Transformation« begreifen und organisieren. Dieser Auffassung ist sogar der »Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen« in seinem Gutachten über die »große Transformation« der Energiewirtschaft oder etwa der Chemiker Ugo Bardi aus Florenz in seinem Bericht »Der geplünderte Planet« an den Club of Rome aus dem Jahr 2013.

Kapitalherrschaft unantastbar

Doch was ist mit der »Großen Transformation« gemeint? Eine Revolution? Ja, es gab viele Ansätze einer Unterminierung der Herrschaft des Kapitals vor vier Jahrzehnten: Der Mai 1968 in Frankreich, der Prager Frühling im August desselben Jahres, der mit Panzern niedergeschlagen wurde, der heiße Herbst 1969 in Italien, der sich als neuer Zyklus von Klassenkämpfen in ganz Italien, dann auch in Westeuropa fortsetzte und sogar in Deutschland eine Woge »wilder Streiks« vor den Bundestagswahlen 1969 auslöste. Im September 1970 siegte bei Parlamentswahlen in Chile die Unidad Popular des späteren Präsidenten Salvador Allende. Dann kam das bejubelte Ende der faschistischen Diktaturen in Portugal, Spanien und Griechenland Mitte der 1970er Jahre, der grandiose Sieg der Befreiungsbewegung in Vietnam gegen die US-Supermacht im Mai 1975 und zu Beginn der 1980er Jahre der Zusammenbruch der lateinamerikanischen Militärdiktaturen. Es formierte sich in den 1970er Jahren zum ersten Mal, in Whyl, Grohnde und Brokdorf, Widerstand gegen die Kernkraft der in Deutschland mit der Energiewende von 2011 einen späten, aber bitteren und vielleicht nur halben Sieg feiern kann.

Den Siegen folgten schwere und schmerzliche Niederlagen wie der blutige, von der CIA unterstützte Putsch des Generals Augusto Pinochet gegen die chilenische Volksfront am 11. September 1973 (siehe jW-Beilage »Chile« vom 31.8.2013). Die zeitweisen Erfolge sind aber auch von der ungeheuren Sogkraft einer »transformistischen Revolution« verschluckt worden. Als Transformismus bezeichnete der im faschistischen Kerker 1936 verstorbene italienische Philosoph und Kommunist Antonio Gramsci revolutionäre Strategien, die doch nur dazu taugen, das System zu modernisieren: Gut für die Erneuerung der maroden Herrschaft des Kapitals, ungeeignet, um eine nichtkapitalistische Perspektive zu eröffnen. Der Transformismus der 1970er Jahre hat es in sich und bereitet der neuen, weil modernisierten politischen und ökonomischen Reaktion das Feld. Die erstarkende neoliberale Ideologie liefert der Reaktion die Rezeptur für ein Mittel, das in Thinktanks und immer mehr auch an den Universitäten in aller Welt zusammengerührt wird und die Millionen, die es bereitwillig einnehmen, trunken macht.

Wiedergewonnene US-Vormacht

Auch ökonomisch waren die Auswirkungen der Steigerung des Ölpreises radikal. Doch wurden sie so gestaltet, daß am Ende die dem Knockout nahe US-amerikanische Hegemonie in neuem Gewand glänzend auferstand. Dieses politische Wunder können sich zwei Präsidentenberater in Washington gutschreiben: Zbigniew Brzezinski und Henry Kissinger. Beide erwiesen sich als Meister im Monopoly um die weltwirtschaftlich strategischen Preise. Das sind die Kreditzinsen (Preis des Kapitals), der Wechselkurs (Preis des Weltgeldes), der Ölpreis (Referenzpreis der Energie) und die Löhne als Preis der Ware Arbeitskraft. Die Lohnbildung bleibt bis heute im wesentlichen in der Hand nationalstaatlicher Akteure, allerdings auf immer weiter deregulierten Arbeitsmärkten und mit Gewerkschaften, die ihrer Verhandlungsmacht beraubt wurden. Die Zinsen werden nicht mehr durch politische Instanzen wie die Zentralbank (mittels des Diskontsatzes) festgelegt, sondern auf liberalisierten Finanzmärkten von den großen privaten Akteuren, also von den großen Banken und Fonds, und in vielen Fällen, wie bei der Bildung des Libor, mit kriminellen Machenschaften manipuliert. Es zeigt sich: Privatisierung heißt Kriminalisierung der Gesellschaft.

Ölpreis und Preis des Weltgeldes hängen eng zusammen. Wenn es einem Land gelingt, die eigene Währung zur Ölwährung aufzuwerten, ist das so, als ob im Keller der Zentralbank, wo das Geld »gedruckt« wird, eine reichhaltige Ölquelle sprudeln würde, die dem Gesetz der Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen ein wundersames Schnippchen schlagen kann. Aber nicht jedes Land kann seine Währung zur Ölwährung adeln lassen. Die USA können das, denn sie haben unbegrenzten Kredit. Sie kaufen jedenfalls mit den von der Zentralbank in die Zirkulation geworfenen US-Dollar das begehrte schwarze Gold nahezu ohne Limit ein. Für die USA heißt das zunächst: Peak Oil ade.

Die große Finanzmarkt-Bonanza, die das spätere Desaster der Finanzmarktkrisen vorbereiten wird, konnte beginnen. Die gewaltige Kreditschöpfungsmaschine des globalen Finanzsystems wurde angeworfen, und alles Kapital, das da geschaffen und in US-Dollar konvertiert werden konnte, fungiert im Prinzip auch als Kaufmittel für Öl. Ölknappheit? Energiearmut? Beides ist in den reichen Industrieländern für die nächsten Jahre zwar Thema für Ökologen, nicht aber für »moderne« Wirtschaftspolitiker.

Doch seitdem die Endlichkeit der Ölressourcen nicht nur Umweltwissenschaftler interessiert, sondern als Faktum in die strategischen Überlegungen der zukünftigen Energieversorgung eingeht, ist die Bedeutung einer Ölwährung erkannt. Solange es zum US-Dollar keine Alternative gab, war dieses Problem eher nachrangig, wie die Ölkrise von 1973 sehr deutlich gezeigt hat. Damals hatten die Förderländer nur die Option, den Preis in US-Dollar zu steigern. Inzwischen aber läßt sich absehen, daß es nicht mehr nur um den Preis geht, sondern auch um die Währung. Viele Ölimportländer, vor allem aus der »Dritten Welt« müssen sich extern verschulden, um die gestiegene Rechnung bezahlen zu können. Und zwar in der Öl- und Kreditwährung US-Dollar, also nicht in der eigenen. Dies wird ihnen durch eine andere Neuerung des »revolutionären Jahrzehnts« möglich gemacht – und zum Verhängnis: durch das »Recycling der Petrodollars«, d.h. durch den Rückfluß der Einnahmen der Förderländer ins Bankensystem der westlichen Industrieländer, vor allem der USA. Die Banken können die Petroliquidität, die zu ihnen fließt, für Kredite an Länder der »Dritten Welt« nutzen. Das bringt Gewinn, denn der Zinssatz der Schuldner liegt mindestens um den »Spread« über dem Zinssatz für Zentralbankgeld oder über dem Zins auf dem schnell expandierenden Interbankenmarkt.

Die Schuldner ihrerseits nahmen die Kredite zunächst gern auf, denn diese waren in den 1970er Jahren wegen der schwachen Kreditnachfrage in den Industrieländern billig, und sie wurden anders als Weltbankdarlehen ohne harte Konditionen vergeben. Also kann die Ölrechnung bis heute auf Pump bezahlt werden. Alternativ werden Luxusimporte für die herrschenden Eliten finanziert (wie in Argentinien), »pharaonische« Großprojekte in Angriff genommen (wie in Brasilien) oder moderne Waffen gekauft (wie in allen Militärdiktaturen). Das Recycling und seine verschiedenen Stationen werden durch die US-Außenpolitik nachgerade bravourös organisiert, und die Waffenschmieden der Industrieländer verdienen sich eine goldene Nase. Die Ölversorgung ist trotz Peak Oil in den Vereinigten Staaten und auch für die Bündnispartner gesichert. Der Geldkreislauf des Recyclings ist geschlossen, und das US-Finanzsystem bleibt dessen unangefochtenes Zentrum. Die Londoner City ist als Appendix auch dabei. Am Anfang des Prozesses in den frühen 1970er Jahren lagen die USA und der US-Dollar auf den Knien, am Ende des Jahrzehnts war die infolge der Dollarabwertung und der Niederlage in Vietnam angeschlagene US-Hegemonie wiederhergestellt und der Dollar als die neue Ölwährung etabliert.

Beginn der Austeritätspolitik

Daran konnte auch die zweite Ölkrise von 1979 nach der »Islamischen Revolution« im Iran nichts mehr ändern. Rußland und das sozialistische Lager konnten kein Paroli bieten. Alle Warschauer Vertragsstaaten hatten sich des »süßen Gifts« der leichten Westkredite bedient. Den unvermeidlichen Kater konnten sie nur mit der Medizin der Privatisierung, Liberalisierung und Entsozialisierung kurieren.

Auch für die »Dritte Welt« ist der Preis der externen Finanzierung der Ölrechnung sehr hoch. Die 1980er Jahre gehen als »verlorenes Jahrzehnt« in die Geschichte ein. Denn erstens verursachte die zweite Ölkrise nach dem Sturz des Schah-Regimes im Iran 1979 eine nochmalige Verteuerung des Erdöls, die das wirtschaftliche Wachstum in den Entwicklungsländern mehr als in den Industriestaaten bremste. Zweitens trieben die USA bereits unter dem US-Präsidenten James Carter in den 1970er Jahren, dann aber verstärkt unter Ronald Reagan in den 1980er Jahren, die Zinssätze nach oben, um so Kapitalanlagen in den Vereinigten Staaten attraktiv zu machen. Das war und ist notwendig, damit ihr immer größer werdendes Leistungsbilanzdefizit mit externen Krediten finanziert werden kann. Die USA verschulden sich seitdem extern wie kein anderes Land. Das macht ihnen aber nichts, da die Schulden in eigener Währung bedient werden können. Der Übergang zum finanzgetriebenen Kapitalismus der folgenden Jahrzehnte begann.

In der »Dritten Welt« führte die Verschuldung freilich in die Schuldenkrise, denn der Schuldendienst mußte in fremder Währung – zumeist in Dollar – geleistet werden. Nun wurden Investitionen und Konsum zugunsten des Schuldendienstes eingeschränkt. Die Phase der Austeritätspolitik begann, von der zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg Mitte der 1970er Jahre in Italien die Rede war und die seit den 1980er Jahren in den verschuldeten Ländern der »Dritten Welt« die berüchtigten »Strukturanpassungsprogramme« des IWF prägt. Diese folgen einem Muster, das als »Konsens von Washington« bezeichnet wird. Die US-Regierung, IWF und Weltbank, die großen Thinktanks der kapitalistischen Weltwirtschaft, alle mit Sitz in Washington D.C., stehen dahinter und setzen sie durch, auch gegen sozialen und politischen Widerstand. Das ist das Muster, dem heute in der Euro-Krise die Troika folgt.

Schon der britische Ökonom John Maynard Keynes hatte in seiner Analyse des »deutschen Transferproblems« aus dem Jahr 1932 gezeigt, daß Austerität zur Verarmung und Verelendung der Bevölkerung führt und daß dies weder für die Schuldner noch für die Gläubiger gut ist. Denn letztere verlieren Absatzmärkte und werden am Schluß doch gezwungen sein, die nicht werthaltigen Kredite abzuschreiben.

Kriege für Öl

Die Ölkrise von 1973 ist der Beginn einer neuen Ära, in der die fossilen Energieträger plötzlich eine Mangelware sind. Gleichzeitig muß alle Welt in vermehrtem Maße und daher auch immer gieriger darauf zurückgreifen, weil Alternativen der Energieversorgung viel zu wenig entwickelt worden sind. Die Menschen, und vor allem die Entscheidungsträger, in der energieintensiven fordistischen Produktions- und Lebensweise wollen den Peak Oil nicht wahrhaben. Konflikte um die Verteilung der Mangelware Öl spitzen sich zu. Die Verbrennung des Energieträgers hat nicht nur negative Umweltfolgen, sondern ist für das friedliche Zusammenleben der Völker eine Gefahr. Die neoliberale Ansicht, man könne das Öl mit Investitionen in die Exploration, die Förderanlagen, die Transport- und Leitungsnetze bis in eine weite Zukunft verfügbar halten – eine absurde Idee, die von marktgläubigen Ökonomen wie dem US-amerikanischen Ökonomen Robert M. Solow in den 1950er Jahren oder dem Statistiker Harold Hotelling bereits in den 1930er Jahren in die Welt geworfen worden ist –, wird praktisch durch die neoliberale Realpolitik korrigiert. Diese verläßt sich nicht auf den Marktmechanismus, sondern schließt auch politische Erpressung oder militärischen Druck ein.

In der Welt des Marktes wird natürlicher Mangel in ökonomische Knappheit transformiert. Dies bedeutet, daß die Preise der rarer werdenden Ware steigen. Doch der Mangel verwandelt knapper werdendes Öl in ein »oligarchisches Gut«, so der britische Ökonom Roy F. Harrod bereits 1958. In der Welt der Politik wird der natürliche Mangel, der nicht mehr durch Knappheitspreisbildung auf dem Markt reguliert werden kann, als Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Positionale bzw. oligarchische Güter werden daher auch mit politischer Macht und militärischer Gewalt verteilt. Die Mechanismen des Marktes und der politischen Macht sind daher keineswegs alternativ. Sie finden eine ideologische Entsprechung in der Kombination von neoliberaler Marktrhetorik und neokonservativem Säbelrasseln. Zur Sicherung der Ölversorgung der mächtigen Industriestaaten unter Führung der USA werden Kriege angezettelt, müssen Millionen Menschen sterben.

Die Ölpreiskrise von 1973 würde uns als Markt­ereignis nicht Jahrzehnte später beschäftigen, wenn sie nicht einen Einschnitt der Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft bezeichnen würde: einerseits das Ende der leichten Verfügbarkeit fossiler Energieträger, die die Dynamik des Kapitalismus ermöglichten, und andererseits die Notwendigkeit, den Übergang zu erneuerbaren Energieträgern zu ebnen und zu diesem Zweck Produktions- und Lebensweise umzubauen.

* Elmar Altvater ist Wirtschafts- und Politikwissenschaftler, gehört zum wissenschaftlichen Beirat von ATTAC und ist ein Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne.

Aus: junge Welt, Montag, 21. Oktober 2013



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