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Der Showdown ist nur verschoben

Haushaltskompromiss in den USA angesichts der "Fiskalklippe"

Von Max Böhnel, New York *

Erst zwei Stunden nach Mitternacht am 1. Januar stimmte eine Mehrheit der USA-Senatoren für einen Haushaltskompromiss. Rein technisch stürzte das Land damit über die »Fiskalklippe«. Aber noch am Dienstag wollte das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus über den »fiscal deal« abstimmen.

Zu Steuererhöhungen für alle US-Amerikaner und drastischen Einsparungen im Militär- wie im Sozialbereich würde es vorerst nicht kommen, wenn auch die größere Kongresskammer dem Kompromiss zustimmt. Schon am Montagnachmittag hatte Präsident Barack Obama die Lösung angedeutet, die Vizepräsident Joe Biden und der führende Senats-Republikaner Mitch McConnell aushandelten. Die Mehrheit im demokratisch dominierten Senat fiel mit 89 Ja- gegen acht Nein-Stimmen überwältigend für den Kompromiss aus. Gleich danach rief Obama das Repräsentantenhaus zur unverzüglichen Abstimmung über das Gesetzesvorhaben auf.

Dem Deal zufolge werden die einschneidenden Sparmaßnahmen um zwei Monate hinausgeschoben. Gleichzeitig gibt es Steuererhöhungen für Haushalte mit einem Jahreseinkommen von mehr als 450 000 Dollar. Der Steuersatz dafür steigt von bisher 35 auf 39,6 Prozent. Über dieser Einkommensgrenze sollen Kapitalbeträge und Dividenden ebenfalls höher besteuert werden: statt mit 15 künftig mit 20 Prozent. Die Erbschaftsteuer wird leicht erhöht. Darüber hinaus wird die Arbeitslosenunterstützung um ein Jahr verlängert. Steuervorteile für Kinder und Bildung bleiben bestehen. Außerdem werden Programme zur Unterstützung der Landwirtschaft verlängert.

Die Betonung liegt bei den meisten Vorhaben allerdings auf »vorübergehend«. Von einer Lösung im Haushalts- und Steuerstreit kann deshalb keine Rede sein. Zudem haben die USA zum Jahresende ihre Schuldenobergrenze von 16,39 Billionen Dollar erreicht, wie Finanzminister Timothy Geith-ner dem Kongress mitteilte. Damit der Staat in den kommenden zwei Monaten zahlungsfähig bleibt, wird der Haushalt umgeschichtet. Nach Ablauf dieser zwei Monate werden Senatoren und Abgeordnete die Debatte erneut aufnehmen müssen. Ende Februar und Anfang März fallen die beiden Termine - Neuverhandlung der Schuldenobergrenze und Ablauf der hinausgezögerten Sparmaßnahmen - zusammen. Wenn der Kongress die Obergrenze nicht erhöht, kann der Staat keine neuen Schulden aufnehmen und muss die Ausgaben stark zurückschrauben.

Die neoliberalen Republikaner, die sich gegen Steuererhöhungen sträuben und für Ausgabenkürzungen eintreten, haben angekündigt, dann erneut Druck auf die Demokraten und das Weiße Haus auszuüben. Der republikanische Senator John McCain aus Arizona sprach am Montag sogar von einem bevorstehenden Showdown, der noch heftiger ausfallen werde als der Haushaltsstreit zur Jahreswende.

Ursprünglich hatte Obama die Steuern auf Jahreseinkommen über 250 000 Dollar erhöhen wollen. Sein Zugeständnis an die Republikaner, diese Untergrenze zu erhöhen, hatte in seiner Partei, vor allem beim linksliberalen Flügel, für Verärgerung gesorgt. Robert Reich, einst Arbeitsminister in der Regierung Bill Clintons, kritisierte, durch die Anhebung dieser Grenze werde »der Löwenanteil der Defizitreduzierung der Mittelschicht aufgebürdet«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 02. Januar 2013


US-Politik hängt fest

Von Rainer Rupp **

Sind die USA nun über die »Fiskalklippe« gestürzt oder nicht? Die Nachrichten um den Jahreswechsel sind widersprüchlich. Aber letztlich spielt die Antwort auf die Frage trotz der großen Inszenierung in den Medien keine Rolle. Denn die tiefgreifenden Haushaltsprobleme der US-Regierung mit alljährlichen Defiziten von einer Billion Dollar und mehr, werden nicht verschwinden, unabhängig davon, ob sich Präsident Barack Obama mit Hilfe des Senats und einiger eventuell abtrünniger Republikaner im Repräsentantenhaus durchsetzt oder nicht.

Mit »Fiskalklippe« werden die automatischen Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen ab 1. Januar 2013 bezeichnet, welche die US-Wirtschaft eventuell mit einem Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von bis zu vier Prozent belasten und in die nächste Rezession stürzen könnten. Der US-Kongreß hatte sich Anfang 2012 auf diesen Automatismus geeinigt, falls sich die beiden Parteien nicht auf einen Kompromiß bei den Haushaltskürzungen verständigen sollten. Dies war bis Mitternacht am 31. Dezember 2012 nicht geschehen. Die Republikaner blockierten mit ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus Obamas Steuererhöhungen für die Superreichen und verlangten stattdessen Einsparungen bei den Sozialprogrammen, speziell bei Medicare (Medizinische Versorgung für die über 65jährigen), Medicaid (Medizinische Hilfe) und bei der Sozialversicherung für pensionierte Regierungsangestellte. Diese Kürzungen zielen aber in das Interessenzentrum der Wähler von Obamas Demokratischer Partei.

Das Problem für Washington ist, daß Medicare, Medicaid und die Sozialversicherung mit 1,677 Billionen Dollar im Jahr 2012 zusammen etwa 47 Prozent der US-Haushaltsausgaben ausmachten. Zählt man die vierte große Position, den Rüstungsetat von fast einer Billion Dollar (688 Milliarden für den Pentagon-Haushalt, 138 Milliarden für die Nachsorge der Veteranen, 60 Milliarden für die CIA, weitere Zig-Milliarden Dollar für die US-Nuklearwaffen, die im Haushalt des Energieministeriums versteckt sind) hinzu, dann machen diese vier großen Posten bereits 75 Prozent des gesamten US-Haushalts aus.

Von diesen vier großen, dominierenden Titeln kann nur der Rüstungsetat alljährlich im Haushaltsgesetz willkürlich erhöht oder gekürzt werden. Die anderen drei sind sogenannte »mandatory«, durch allerlei Gesetze geschützte Ausgaben, deren Empfänger sich ihre Ansprüche durch jahrzehntelange Einzahlungen erworben haben. Um diese Positionen zu beschneiden, bedürfte es eines jahrelangen Streits um Gesetzesänderungen, die sich keine der beiden Parteien leisten kann.

Sollte jetzt tatsächlich die »Fiskalklippe« aktiviert worden sein, bedeutet das, daß der nächste Haushalt um 100 Milliarden Dollar kleiner ausfallen muß als der von 2012. Die drei »mandatory« Positionen blieben dabei unangetastet. Die 100 Milliarden müssen nach der Rasenmähermethode bei allen anderen Haushaltsposten eingespart werden. Aber damit wäre das Problem nicht gelöst. Laut Prognose der Haushaltsbüros des US-Kongresses sollen die Staatsdefizite bis 2022 jährlich bei einer Billion Dollar liegen. Die automatischen Kürzungen im Jahr 2013 würden das Defizit auf 900 Milliarden reduzieren – falls es nicht durch eine weitere Rezession wieder explosionsartig steigt.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 02. Januar 2013


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