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US-Haushalt in Not

Komitee kann sich nicht auf Sparplan einigen. Verschuldung außer Kontrolle. Wahlkampfthema Arbeitslosigkeit

Von Rainer Rupp *

Mindestens 1200 Milliarden Dollar muß die US-Regierung über die nächsten zehn Jahre einsparen. Bis zum 23. November hat ein vom US-Kongreß eigens gegründetes »Superkomitee« noch Zeit, einen entsprchenden Plan auszuarbeiten. Das mit zwölf Kongreßmitgliedern von Republikanern und Demokraten paritätisch besetzte Gremium bleibt jedoch entlang der parteipolitischen Grenzen gespalten. Die Republikaner werfen den Demokraten vor, sich vor Haushaltskürzungen zu drücken. Gemeint ist im Wesentlichen die Kappung staatlicher Sozialprogramme. Die Demokraten wiederum beschuldigen ihre Rivalen, sich gegen jegliche Steuererhöhungen zu sperren, die insbesondere die Reichen und Superreichen treffen würden. Der Wahlkampf für die Präsidentschafts- und Kongreßwahlen in zwölf Monaten hat bereits begonnen. Ein Kompromiß rückt zunehmend außer Sichtweite.

Der Superausschuß muß sich bis in knapp zwei Wochen mehrheitlich auf die geforderten Budgetkürzungen einigen. Sonst tritt ein Mechanismus in Kraft, mit dem automatisch alle Haushaltstitel pauschal reduziert werden, sofern sie nicht gesetzlich garantiert sind. Da große Sozialprogramme wie die Krankenversicherungen Medicare und Medicaid sowie die staatlichen Renten nicht ohne Gesetzesänderung gekappt werden können, fielen die Kürzungen bei gesetzlich nicht abgesicherten Haushaltsposten besonders hoch aus. Das würde bedeuten, daß die Hälfte der Einsparungen, also rund 60 Milliarden Dollar, die US-Militärausgaben träfe. Die Streitkräfte haben bei den Republikanern allerdings den Status einer heiligen Kuh. Um dort Streichungen zu vermeiden, hat sich bereits eine Phalanx von Falken gebildet. Sie wird von den republikanischen Senatoren John McCain und Lindsey Graham angeführt. An der katastrophalen Haushaltslage der US-Regierung ändert das Geplänkel unter den Militaristen und im Superkomitee freilich nichts. Das unterstreichen die jüngsten offiziellen Zahlen.

Das US-amerikanische Haushaltsjahr beginnt regulär im Oktober. Als Signal für eine Trendwende bewerteten Regierungsbeamte und Medien die Tatsache, daß im Oktober 2011 das monatliche Haushaltsdefizit auf 98,5 Milliarden US-Dollar zurückgegangen ist, verglichen mit 140,4 Milliarden im Vergleichsmonat des Vorjahres. Diese scheinbar sensationelle Reduzierung des Monatsdefizits ist nur einem kalendarischen Zufall zu verdanken – und der dezenten Nachhilfe eifriger Verwaltungsbeamter. Bestimmte Sozialleistungen waren erst im Oktober fällig, wurden aber schon im September ausgezahlt, weil der Monatserste auf einen Samstag fiel. Insgesamt wurden so 31 Milliarden Dollar ins alte Haushaltsjahr vorgezogen.

Auch im Oktober ist die tiefe Kluft zwischen Einnahmen von 163 Milliarden Dollar und Ausgaben von 293 Milliarden – inklusive Septemberzahlung – nicht kleiner geworden. Nur 56 Prozent der Ausgaben sind durch Einnahmen gedeckt. Den Fehlbetrag muß sich die Regierung auf den Finanzmärkten leihen, notfalls durch Anleiheverkäufe an die Notenbank Federal Reserve (Fed). Das Defizit für das bis September laufende Haushaltsjahr 2010/11 war mit 1,3 Billionen Dollar das dritthöchste der Nachkriegszeit. Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht, selbst wenn der Superausschuß sich doch noch darauf einigt, 1,2 Billionen Dollar über die nächsten zehn Jahre einzusparen. Denn das Haushaltsamt des US-Kongresses (CBO) hat berechnet, daß trotz aller Kürzungsanstrengungen die Defizite der nächsten zehn Jahre im Durchschnitt eine Billion Dollar jährlich betragen werden. Für den vollen Zeitraum ist also mit einem Gesamtdefizit von zehn Billionen Dollar auszugehen – das Ziel des Kongresses von 1,2 Billionen Dollar nimmt sich dagegen äußerst bescheiden aus.

Erschwerend kommt hinzu, daß das Zahlenwerk des CBO auf günstigen Prognosen für das US-Wirtschaftswachstum mit über drei Prozent beruht. Angesichts der desolaten Lage der US-Ökonomie wird dieser Fall immer unwahrscheinlicher, so die Warnung von US-Haushaltsexperten. Deshalb werden sich die Budgetdefizite noch weiter erhöhen. Denn je geringer die Wachstumsraten sind, desto höher fallen die Sozialausgaben aus.

Die Wahlen im November nächsten Jahres rücken näher. Die große Masse der Bevölkerung sorgt sich indes am meisten über die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Dagegen treten die Budgetprobleme in den Hintergrund. Die Politiker wissen das sehr wohl. Darum wird der US-Kongreß im nächstes Jahr keine Sparmaßnahmen beschließen, sondern neue Ausgaben, um die Wirtschaft zu stimulieren. Das Ende der gigantischen US-Haushaltsdefizite rückt in weite Ferne. Die destabilisierende Wirkung auf die Weltwirtschaft dagegen dauert fort.

* Aus: junge Welt, 14. November 2011


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