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Kein Zivilgericht

Prozeß um Anschläge vom 11. September vor Militärtribunal in Guantánamo. Obama bricht Wahlversprechen

Von Philipp Schläger, New York *

Die US-Regierung wird Khalid Scheich Mohammed, der als Chefplaner der Anschläge vom 11. September 2001 gehandelt wird, nun doch vor einem Militärtribunal im umstrittenen US-Gefangenenlager Guantánamo anklagen. Das kündigte Justizminister Eric Holder am Montag an, demselben Tag, an dem US-Präsident Barack Obama seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit anmeldete. Für dessen Administration bedeutet die Entscheidung eine klare Niederlage, denn Obama war ursprünglich mit dem Versprechen angetreten, die unter der Regierung George W. Bushs etablierten menschen- und rechtsstaatswidrigen Zustände abzuschaffen. Holder begründete die Kehrtwende nun mit dem Widerstand im US-Kongreß. Dort würden Verfahren gegen Terrorverdächtige vor Zivilgerichten in den Vereinigten Staaten abgelehnt. Er habe das Verfahren deshalb zurück an das Verteidigungsministerium verwiesen, damit die Angehörigen der Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 nicht noch länger auf Gerechtigkeit warten müßten, so Holder. »Wir können es nicht erlauben, daß ein Verfahren weiter verzögert wird. Wir müssen die Verschwörer zur Rechenschaft ziehen.«

Fast zehn Jahre nach den Anschlägen von New York und Washington wurde noch kein einziger mutmaßlicher Täter vor Gericht gebracht. Der Prozeß werde nun »in Kürze« beginnen, sagte Holder. Die Entscheidung betrifft neben Scheich Mohammed auch vier weitere Gefangene: dessen Neffen Ali Abd Al-Aziz Ali, den vermeintlichen Cheflogistiker der Hamburger Zelle, Ramzi Binalschib, Mustafa Ahmad Al-Hawsawi aus Saudi-Arabien sowie Walid Bin Attasch, ein jemenitisches Al-Qaida-Mitglied.

Nach und nach hat Obama somit sämtliche seiner Versprechungen zur Wiederherstellung rechtsstaatlicher Verfahren über Bord geworfen, angefangen bei der Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo. Die Demokraten hatten zu wanken begonnen, als einstige Mitarbeiter der Bush-Administration ihre radikale Folterpolitik verteidigten und Obama vorwarfen, die nationale Sicherheit zu gefährden. Auch die fatale Idee der Obama-Regierung, Militärtribunale und damit quasi ein paralleles Strafrechtssystem in den Vereinigten Staaten aufzubauen, stieß nicht nur bei den in Frage kommenden Bundesstaaten auf Ablehnung. Auch Menschenrechtsorganisationen reagierten schockiert auf die Pläne für ein »Guantánamo Nord« auf US-amerikanischem Staatsgebiet. Zuletzt blieb der Wille, zumindest den mutmaßlichen Hintermännern der Anschläge vom 11. September den Prozeß vor einem ordentlichen Strafgericht in New York, unweit von »Ground Zero«, zu machen. Doch auch daraus wird nun nichts mehr. Aus Angst vor einem weiteren Terrorakt zog die Stadt New York ihre Zusage zurück.

Damit hat der Rechtsprofessor und Friedensnobelpreisträger Obama, der noch im Wahlkampf gerade in diesem Bereich der größte Kritiker der Politik Bushs gewesen war, dessen Politik fast eins zu eins übernommen. Auch wenn die unter Zwang erfolgten Aussagen von Angeklagten nicht mehr verwertet werden dürfen, sind die Verfahren vor Militärpersonal meilenweit von rechtsstaatlichen Prozessen entfernt. Viele Häftlinge werden darüber hinaus weiter in Guantánamo festgehalten, ohne jemals angeklagt zu werden.

Obamas Abkehr von Guantanámo beschränkte sich damit auf symbolische Maßnahmen kurz nach der Amtsübernahme wie das Verbot des »Waterboarding«, das allerdings auch schon in den letzten Jahren der Amtszeit George W. Bushs nicht mehr zur Anwendung kam. Die Arbeit der Militärtribunale wurde nur zeitweise unterbrochen und nach der Korrektur der extremsten Mängel wieder aufgenommen.

172 Menschen sind bis heute auf dem US-Militärstützpunkt auf Kuba eingesperrt.

* Aus: junge Welt, 6. April 2011


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