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"Frieden gehört zu unseren Schlüsselwerten"

Grüne in den USA wollen nicht in die Fußstapfen ihrer deutschen Schwesterpartei treten. Ein Gespräch mit Cynthia McKinney *

Cynthia McKinney war Kongreßabgeordnete der Demokraten in den USA, trat 2007 den dortigen Grünen bei und kandidierte 2008 für das Präsidentenamt. Am Wochenende nahm sie an den Protesten gegen die »Münchner Sicherheitskonferenz« teil.



US-Präsident Barack Obama ist oft mit John F. Kennedy verglichen worden, den dieses Amt das Leben gekostet hat. Obama hat viel versprochen - aber es gibt den Running Gag, daß er manches gar nicht ändern kann, wenn er nicht erschossen werden will. Glauben Sie, daß Sie noch am Leben wären, wenn Sie die Präsidentschaftswahl im Jahr 2008 gewonnen hätten?

Ja, denn wenn ich gewonnen hätte, wäre das politische Kräfteverhältnis ein anderes - ich hätte dann auch den entsprechenden Rückhalt im Kongreß. Unter dem tatsächlichen Kräfteverhältnis konnte ich die Wahl gar nicht erst gewinnen, also erübrigt sich die Frage, ob ich es überlebt hätte. Es müßten sich schon ganz andere Werte durchgesetzt haben, damit jemand wie ich eine Wahl gewinnen könnte.

Wie hoch ist aus Ihrer Sicht der Einfluß neokonservativer Stiftungen und finanzkräftiger Denkfabriken wie der »Heritage Foundation« auf die Politik der USA?

Sie haben großen Einfluß auf diejenigen, die ihr Spiel mitspielen, weil Politik für sie ein Selbstzweck ist und sich nicht um die Werte und Hoffnungen der Menschen dreht. Im Moment ist dieses Politikverständnis leider das vorherrschende. Das politische System der USA ist von zahlungskräftigen Interessengruppen korrumpiert. Der Supreme Court hat ja nun auch die lange geltenden Begrenzungen für Geldspenden von Kapitalgesellschaften an Politiker und Parteien aufgehoben.

Glauben Sie, daß Obamas Wähler grundlegend andere Werte haben als Ihre?

Nein! Er ist ja mit ähnlichen Werten angetreten und hat im Wahlkampf Dinge in Aussicht gestellt, denen ich nicht widersprechen kann. Nicht zuletzt wurde er von vielen bewußt als erster schwarzer Präsident gewählt - und schwarze Politiker in den USA haben immer die Rolle des Gewissens der Nation gespielt. Viele seiner Wähler haben darauf gebaut, daß er diese Rolle als Präsident ausfüllen würde. Aber er hat diese Werte verraten. Wir müssen ihn danach beurteilen, was er tatsächlich tut - und nicht nach seinen Wahlkampfreden. Die kriminellen Machenschaften der Bush-Administration hätten unter dem neuen Präsidenten aufgearbeitet werden müssen - auch juristisch. Ich meine damit Folter und Verschleppung, das Ausspionieren unschuldiger Menschen mit abweichenden Meinungen, Krieg und Besatzung; Verbrechen gegen die Verfassung der USA und Verbrechen gegen den Frieden. Das ist nicht geschehen. Die Partei der Demokraten in den USA ist eine Kriegspartei, deshalb konnte man von Obama auch nichts anderes erwarten.

Sind seine Wähler denn bereits enttäuscht von ihm?

Viele sind bereits enttäuscht, viele haben noch Hoffnung. Aber davon werden viele auch in nächster Zeit ihre Hoffnung auf Obama verlieren. Sie müssen lernen, auf die eigene Kraft zu vertrauen. Wir brauchen eine alternative Bewegung, die sich nicht von denen vereinnahmen läßt, die für die bestehenden Probleme verantwortlich sind.

Sie kennen sicher in groben Zügen die Geschichte der Grünen in Deutschland - sie galten einmal als Friedenspartei. Aber mit Regierungsverantwortung ausgestattet, waren sie es, die 2001 zusammen mit der SPD deutsche Truppen nach Afghanistan schickten.

Ja, das ist schlimm.

Die Grünen in den USA haben bisher nicht regiert. Wären sie vor einem solchen Sinneswandel sicher?

Ich weiß, in letzter Konsequenz sind Worte und Beteuerungen billig. Wir müssen uns danach beurteilen lassen, was wir tun. Die Grüne Partei in den USA hat Schlüsselwerte, zu denen auch Frieden gehört. Viele würden sich von uns abwenden, wenn wir nicht mehr dazu stehen würden. Wir müßten schwer dafür bezahlen, wenn wir eine so enttäuschende Entwicklung wie die Grünen in Deutschland durchlaufen würden. Ein weiterer Schlüsselwert der Grünen in den USA ist Basisdemokratie.

Viele Grüne in Deutschland haben sich mit moralischen Argumenten von militärischen Lösungen überzeugen lassen. Schon der Kosovo-Krieg wurde als humanitäre Mission bezeichnet - und der Afghanistan-Krieg wurde der grünen Basis als Befreiung der Frauen verkauft.

Das ist ein schlechter Witz. Krieg ist immer die schlimmste Lösung, durch nichts wird die Frau mehr unterdrückt.

Interview: Claudia Wangerin

* Aus: junge Welt, 9. Februar 2010


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