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Die Stunde der Patrioten

Der Ring um US-Vizepräsident Cheney und US-Verteidigungsminister Rumsfeld zieht sich zusammen

Von Jürgen Elsässer*

Auch im Film stehen manchmal anständige Militärs gegen ihre Führung auf. Die Kritik am US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld reißt nicht ab. Im Zentrum der Vorwürfe stehen dessen autoritärer Führungsstil und gravierende Fehleinschätzungen bei der Kriegführung im Irak, aber auch die geplante Aggression gegen den Iran.

Trotz der Rückendeckung durch Präsident George W. Bush bei einer Pressekonferenz am Dienstag [18. April] hat sich die Lage Rumsfelds nicht wesentlich verbessert. Der demokratische Senator Dick sprach sich am selben Tag für den Rücktritt des Ministers aus und brachte die Idee einer symbolischen Vertrauensabstimmung im Senat im Verlaufe der nächsten Woche ins Gespräch.

Gegen ein Iran-Abenteuer

Seit Anfang März haben sechs pensionierte Generäle die Demission Rumsfelds gefordert – allesamt militärische Haudegen mit Kampferfahrung bis in die jüngste Zeit (siehe Aufstellung in der Spalte). Mittlerweile gibt es Anzeichen, daß die Empörung der Exgeneräle auch auf das aktuelle Oberkommando übergreift. So will der Nachrichtendienst EIR – eine Gruppe ehemaliger Geheimdienstleute und Analysten, die dem rechtskonservativen US-Demokraten Lyndon LaRouche nahesteht – vor einigen Tagen aus dem Umfeld der Vereinigten Stabschefs (JCS) erfahren haben, »daß der JCS-Vorsitzende Peter Pace einen von einer Reihe aktiver Generäle und Admiräle unterzeichneten Brief erhalten hat, in dem sie ihre Demission ankündigen für den Fall, daß man ihnen Militärschläge gegen den Iran befiehlt«. Ihr Hauptmotiv soll die Weigerung des Weißen Hauses sein, bei einem eventuellen Militärschlag gegen den Iran den Einsatz von Nuklearwaffen explizit auszuschließen.

Generale in der Offensive

Exgeneral John Batiste hat durch zahlreiche Auftritte in großen Talkshows und Beiträge in den führenden Zeitungen der Kritik an Rumsfeld ein Gesicht gegeben. Er trumpfte zum ersten Mal am 5. April mit einer Rede vor einem Rotarier-Club in Rochester (New York) auf und bezeichnete Rumsfeld als arrogant, weil er den Widerspruch seiner militärischen Berater über die Irak-Strategie ignoriert habe. Am 13. April äußerte er im Gespräch mit der Washington Post: »Ich glaube, daß wir einen Neubeginn an der Spitze des Pentagon brauchen. Wir brauchen dort eine Führung, die das Militär ebenso respektiert, wie sie erwartet, daß das Militär sie respektiert.« In der ABC-Sendung »Good morning, America« sagte Batiste am 14. April, Rumsfeld habe im Falle des Irak »zehn Jahre gut überlegter Kriegsplanung des US-Zentralkommandos« übergangen. In einer Sendung des TV-Kanals NBC am selben Tag faßte Batiste seine Beweggründe zusammen: »Ich war 31 Jahre lang ein loyaler Untergebener und tolerierte keinen Dissens in der Truppe.« Aber »ich denke, es ist eine Frage der Verantwortlichkeit: Verantwortlichkeit für den Kriegsplan, der dafür geschaffen war, im Irak einzumarschieren, aber keinen Frieden schuf, Verantwortlichkeit für das, was in Abu Ghraib geschah, Verantwortlichkeit für einen Führungsstil, der einschüchternd und beleidigend war«.

General Charles Swannacks Position ist ähnlich: »Wir müssen den globalen Kampf gegen den Terror fortsetzen und ihn von unseren Küsten fernhalten. Aber ich glaube nicht, daß Minister Rumsfeld der richtige Mann ist, diesen Kampf zu führen, wegen seines absoluten Versagens bei der Leitung des Kriegs gegen Saddam im Irak... Ich glaube, daß Rumsfeld die Dynamik der Aufstandsbekämpfung nicht wirklich versteht.«

Auch Cheney unter Druck

Rumsfeld hat ein weiteres Problem - wegen Guantanamo. In einem offiziellen Untersuchungsbericht der US-Armee, der dem Online-Magazin Salon Anfang April zur Verfügung gestellt wurde, heißt es, Rumsfeld sei direkt für die brutalen Verhöre des angeblich in den Terror vom 11. September 2001 involvierten Mohammend Al Kahtani im Jahre 2002 verantwortlich. Al Kahtani mußte nackt vor einem weiblichen Verhöroffizier aussagen, man zwang ihn, Frauenunterwäsche zu tragen und an einer Leine »Hundetricks« vorzuführen. Vor dem Generalinspekteur der US-Armee erklärte Generalleutnant Randall Schmidt unter Eid, Rumsfeld sei an diesem Verhör »persönlich beteiligt« gewesen. Schmidt sagte aus, er habe Bedenken wegen der harten Verhörmethoden gehabt; Schmidt wörtlich: »Es gab keine Grenzen«.

Last not least gab Sonderermittler Patrick Fitzgerald am 5. April neue Informationen über die Rolle von US-Vizepräsident Dick Cheney und seinem ehemaligen Stabschef Lewis Libby im sogenannten Niger-Gate bekannt. Dabei handelte es sich um die Ausschaltung interner Kritiker im Vorfeld des geplanten Irak-Krieges. Im Jahre 2002 war der ehemalige Botschafter Joe Wilson nach Niger geschickt worden, um Behauptungen zu überprüfen, Saddam wolle sich dort Uranerz zum Atombombenbau besorgen. Er fand keinen Anhaltspunkt dafür und berichtete Bush entsprechend – und trotzdem tauchte eine entsprechende Ente in den späteren Reden des Präsidenten als Begründung für den Krieg gegen Irak auf. Als Wilson diesen Vorgang schließlich öffentlich machte, wurde in der New York Times eine Schmutzkampagne gegen seine Frau gestartet. Die entsprechenden Informationen gab Stabschef Libby an NYT-Reporterin Judith Miller, aber offensichtlich – so die Angaben Fitzgeralds über eine aktuelle Vernehmung Libbys – auf direkte Anweisung von Cheney. Cheney muß bei Bekräftigung dieser Vorwürfe mit einem Amtsenthebungsverfahren rechnen.

* Aus: junge Welt, 20. April 2006

Die Liste renitenter Generäle

Erinnerungen an den 20. Juli 1944

Forderungen nach Rücktritt von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld kommen von sechs ehemaligen Generalen der US Army: General John Batiste, 2004/2005 Kommandeur der 1. Infanteriedivision im Irak, Generalmajor Charles Swannack, 2004 Kommandeur der 82. Luftlandedivision, Generalmajor John Riggs (angeblich wegen militärstrategischer Differenzen in der Irakpolitik 2003 in Ungnade gefallen) sowie die Generäle Anthony Zinni (Stellvertretender Kommandeur der Eliteeinheit Marines) und Gregory Newbold (Kampfoffizier der Marines) sowie Paul Eaton (Ausbildungschef der irakischen Armee bis Januar 2006).

Die militärstrategische Differenz zwischen dieser Gruppe und Rumsfeld konzentriert sich darauf, daß die sechs Generäle (die damals zum Teil noch im aktiven Dienst waren) die Irak-Invasion lieber mit mehr Soldaten und mit mehr schwerer Infanterie durchgeführt hätten, während der Verteidigungsminister einer geringeren Truppenzahl den Vorzug gab und diesen Malus mit einem Mehr an High-Tech-Spielereien kompensierte. Auf den ersten Blick mag das als bloße Differenz zweier gleichermaßen unsympathischer Militärfraktionen erscheinen. Dahinter könnte sich aber ein Dissens im Grundsätzlichen verbergen: Rumsfeld lehnte zusätzliche Manpower nämlich deswegen ab, um Truppen für andere Kriegsschauplätze in Reserve halten zu können. Gegen diese Vision eines grenzenlosen und globalen Feldzuges gegen den Terrorismus bestehen die renitenten Generäle auf einem kleinteiligen Vorgehen, bei dem man erst einmal die Beute aus einer Operation sichert, bevor man zur nächsten antritt. Dies entspräche auch dem Interesse der Mehrheitsfraktion im US-Kapital.

In etwa ähnelt die Konstellation der in der Nazi-Führung am Vorabend und während des zweiten Weltkrieges: Die Spitze der Wehrmacht, die immer vor den Gefahren eines Zweifrontenkrieges warnte, paßte nicht zu den größenwahnsinnigen Plänen Adolf Hitlers und wurde deswegen Zug um Zug ausgeschaltet. Der Putschversuch am 20. Juli 1944 war ein letzter Versuch dieser Kreise, den selbsternannten Gröfaz doch noch zu stoppen.
(je)

* Aus: junge Welt, 20. April 2006




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