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Fragiler Rohstoffboom

Fracking läßt US-Konzerne jubeln, doch wie lange noch? Das Verfahren ist wenig erprobt, potentiell gefährlich und Vorkommen sind schneller erschöpft als erwartet

Von Wolfgang Pomrehn *

In den USA kommen Zweifel an dem neuen Rohstoffboom und der Euphorie auf, die das Land auf dem Weg zum Selbstversorger und weltgrößten Produzenten von Mineralöl und vor allem Erdgas sieht. Sind die neuen Funde tatsächlich so vielversprechend? Wie lange kann die Förderung auf dem derzeitigen hohen Niveau aufrechterhalten werden, fragen verschiedene Geologen und Energieökonomen.

Viel Aufhebens wird in in jüngster Zeit um die Entdeckung von Schiefergas gemacht. Nachdem sich in den zurückliegenden Jahren die Erkenntnis der Endlichkeit der fossilen Energielieferanten allmählich durchzusetzen begann, sind auf einmal die Zeitungen und Blogs voll von dem Thema, eine neue Gas- und Ölbonanza scheint programmiert. Bereits seit einigen Jahren hatte man in Nordamerika begonnen, sogenannte unkonventionelle Vorkommen auszubeuten. Gemeint sind Gas- und Ölfelder, in denen die begehrten Brennstoffe nicht in großen Blasen vorliegen, sondern in feinen Poren des Gesteins eingeschlossen sind. Schiefergas und Schieferöl nennen die Geologen diese Lagerstätten. Die Gesteinsporen müssen erst unter dem Einsatz von viel Druck, Wasser und Chemikalien aufgebrochen werden, bevor die fossilen Rohstoffe gefördert werden können. Die Auswirkungen für die Umwelt im allgemeinen und das Grundwasser im besonderen beunruhigen viele Bürger diesseits wie jenseits des Atlantiks. Im US-Bundesstaat New York, einem der wenigen, der bisher von der neuartigen Gasförderung, dem sogenannten Fracking (von Hydraulic Fractoring, »aufbrechen«), verschont geblieben ist, steht die Umweltbewegung kurz davor, entsprechende Projekte dauerhaft zu verhindern.

Wie es aussieht, spielt die Zeit den Gegnern dieser Abbaumethode in die Hände, denn die Euphorie könnte sich als kurzlebig erweisen. 40 Prozent der US-Erdgasförderung kommt inzwischen aus den Schiefergasvorkommen, und für 2017 wird der Aufstieg des Landes zur weltweit größten Fördernation vorhergesagt. Einige unabhängige Geowissenschaftler warnen indes, daß dieser Status nicht lange zu halten sein wird.

So zum Beispiel David Hughes, der 32 Jahre für den kanadischen Geologischen Dienst gearbeitet hat und seine Zweifel kürzlich in einem Artikel im angesehenen Fachblatt Nature zusammenfaßte. Hughes hat die Daten von 65000 Bohrlöchern unter die Lupe genommen und stieß auf eine ernüchternde Realität. Im Durchschnitt waren die jeweiligen Lagerstätten schon nach fünf Jahren erschöpft. Aus dem US-Staat Michigan sind Beispiele von ursprünglich sehr ergiebigen Bohrlöchern bekannt, aus denen schon nach einem halben Jahr nur noch die Hälfte der anfänglichen Menge herauszuholen war. Allein um das Förderniveau der letzten Jahre aufrechtzuerhalten, müßten also jährlich 13000 neue Bohrlöcher abgeteuft werden.

Das hört sich nicht gerade billig an. Hughes schätzt den finanziellen Aufwand auf 42 Milliarden US-Dollar (32,3 Milliarden Euro) pro Jahr. Damit ließe sich dieses Niveau nur halten, wenn der Gaspreis schon bald wieder erheblich anzieht. Das 2012 geförderte Schiefergas hatte nämlich am US-Markt lediglich 32,5 Milliarden US-Dollar eingebracht. Entsprechend denken einige Energiekonzerne schon darüber nach, das Gas per Flüssiggastanker zu exportieren. In Europa oder Ostasien ließe sich mehr erzielen. Steht also dem Industrieland USA eine Karriere als Rohstofflieferant für die aufstrebenden Nationen Asiens bevor? Wenn, dann keine besonders langlebige. Erfahrungsgemäß steigt der Aufwand an Kapital, Energie und Arbeit, der für die Ausbeutung einer Lagerstätte betrieben werden muß, im Laufe der Jahre immer weiter an.

Der Grund für die derzeit niedrigen Preise in den USA ist der schnelle Ausbau der Förderung und das damit verbundene große Angebot. Der durch den Boom bedingte Preisverfall hat inzwischen dazu geführt, daß manche Firma am Rande der Profitabilität arbeitet. Gebe es nicht hier und da auch etwas Erdöl in den unkonventionellen Lagerstätten und nicht nur die flüssigen Bestandteile des Gases, die sich ebenfalls vermarkten lassen, dann wäre vermutlich schon das eine oder andere Projekt pleite gegangen.

In diesen Zusammenhang ist die Informationspolitik der Förderfirmen nicht gerade vertrauenerweckend. Einerseits werden extrem optimistische Angaben über Umfang und Wert der Funde veröffentlicht. So soll zum Beispiel allein das Utica Feld unter Ohio und einigen benachbarten Bundesstaaten 500 Milliarden US-Dollar wert sein. Andererseits mangelt es aber an unabhängigen Informationen, die eine Beurteilung dieser Angaben erlauben. In Ohio verbietet ein neues Gesetz der dortigen Regierung ausdrücklich, die vierteljährlichen Förderdaten zu veröffentlichen, die sie von der Industrie erhält. Oft werden die Daten erst nach über einem Jahr der Öffentlichkeit zugänglich.

Das ist nicht nur ein Problem für die allgemeine Öffentlichkeit, die sich kein realistisches Bild von der Zukunft der Energieversorgung machen kann, sondern auch ein ökonomisches. Mit den vermutlich übertriebenen Angaben werden die Grundstücks- und Pachtpreise in astronomische Höhen katapultiert und zugleich Geld an den Börsen eingeworben. Sollten sich irgendwann die Erwartungen als übersteigert erweisen, dann platzt die nächste Spekulationsblase. Einige Beobachter erwarten schon, daß die Folgen mit denen des Hypotheken-Crashs von 2007/2008 zu vergleichen sein werden, der seinerzeit seine Schockwellen durch die Weltwirtschaft schickte, und von dem sich die EU und Nordamerika noch immer nicht erholt haben.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 05. März 2013


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