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Alles im Rahmen

Wie oft muß gefoltert werden, damit der "Tatbestand Folter" erfüllt ist? Untersuchungen in den USA

Von Alexander Bahar *

Im Frühjahr 2004 gingen die Fotos von mißhandelten und gefolterten Gefangenen aus dem US-Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad um die Welt gingen. Damals erklärte die ­Bush-Regierung, unterstützt von den Medien und der Demokratischen Partei, die ans Licht gekommenen Untaten seien das Werk einiger »gesetzloser« Elemente, »fauler Äpfel«. Deren Handeln, so hieß es unisono aus dem Pentagon und dem Weißem Haus, stehe in keinerlei Zusammenhang mit der Invasion und Besetzung des Irak oder dem US-Verhör- und Gefängnissystem, das sich völlig im gesetzlichen Rahmen bewege.

Sündenböcke

In der Folge wurden zahlreiche Todesfälle in US-Gewahrsam sowohl im Irak als auch in Afghanistan bekannt. Es tauchten immer mehr Beweise auf, daß diese verbrecherischen Praktiken nicht nur von den dortigen US-Kommandeuren gebilligt und gefördert worden waren, sondern daß Pentagon und Geheimdienste sie ausgearbeitet und das Weiße Haus sie selbst legalisiert hatte. Trotzdem wurde am Ende nur eine Handvoll niederrangiger Soldaten und Reservisten vor Gericht gestellt und bestraft: Sie fungierten als Sündenböcke, um die weit schwerer wiegenden Verbrechen der politischen und militärischen Führung unter den Teppich zu kehren.

Heute ist die Bush-Regierung Geschichte, und US-Präsident Barack ­Obama hat sich verbal von der Folter distanziert und bei der Verfolgung dieser Verbrechen »Transparenz« versprochen. Ungeachtet dessen bedienen sich er und sein Justizminister Eric Holder im Umgang mit den Taten faktisch der Taktik ihrer Vorgänger. Sprechern des Justizministeriums zufolge ist Holder zu dem Schluß gelangt, daß sein Haus nicht um eine Untersuchung der CIA-Folteraktivitäten herumkommt. Der Druck hierfür wird im Laufe des Monats wahrscheinlich noch zunehmen, wenn - auf Gerichtsbeschluß hin - ein Bericht des CIA-Generalinspekteurs veröffentlicht werden muß. Im Fokus der Untersuchung sollen unter anderem Agenten stehen, die »Gefangene weit über die Richtlinien des Justizministeriums hinaus der Wasserfolter unterworfen hätten«, so die Los Angeles Times (9.8.).

Dabei stützt sich Holder auf eines der sogenannten Foltermemoranden, die seine Vorgänger im Justizministerium hatten erstellen lassen. Dieses stellt im August 2002 bezüglich der Wasserfolter (»Waterboarding«) fest: »Zu häufiges Wiederholen« sei »nicht erfolgversprechend, weil die Technik im allgemeinen nach mehreren Wiederholungen ihre Wirksamkeit verliert«. Die LA Times vermutet weiter, daß vor allem zwei Fälle untersucht werden sollen: der von Abu Zubaida, den man dieser Foltertechnik im August 2002 mindestens 83 Mal unterzogen hatte, und der von Khalid Scheich Mohammed, der im März des gleichen Jahres 183 Mal auf diese Weise gefoltert worden war.

Nun sieht Holders Plan für die zu errichtende Untersuchungskommission offensichtlich vor, das »zu häufige Wiederholen« der Folter zu verfolgen, doch den Tatbestand an sich zu ignorieren. Motto: Solange sich die angewandten Verhörpraktiken im Rahmen der vom Justizministerium gebilligten Vorgaben bewegten, kann von Folter keine Rede sein. Damit sollen all diejenigen in Regierung, Militär und Geheimdienstapparat entlastet werden, die diese Praktiken angeordnet und gebilligt haben. Bekanntlich hatten führende Vertreter der Bush-Regierung, darunter Vizepräsident Richard Cheney, die damalige nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, Pentagonchef Donald Rumsfeld, CIA-Direktor George Tenet, Justizminister John Ashcroft und andere, die auch an Zubaida und Khaled Scheich Mohammed angewandten Methoden bis ins Detail gutgeheißen. ­Bush selbst bestätigte, daß er darüber genau Bescheid wußte und sie ausdrücklich billigte.

Differenzen im Apparat

Mit diesem jüngsten Winkelzug im Umgang mit dem Foltererbe der Bush-Administration macht sich die Regierung Obama deren Behauptung, die erlaubten Methoden - von Waterboarding über das Aufhängen an den Fesseln bis zum Einsperren in kleine Kisten mit Insekten - seien in Wirklichkeit gar keine Folter, stillschweigend zu eigen. Ob es zu den angekündigten Untersuchungen kommen wird und ob sie zu Verfahren führen werden, ist nach wie vor unsicher. Es gibt in dieser Frage große Differenzen im Staatsapparat. Militär und Geheimdienste sprechen sich immer vehementer gegen jegliche weitere Enthüllungen oder Ermittlungen aus. Dabei bedienen sie sich des Arguments, Untersuchungen gegen CIA-Agenten wegen »exzessiver« Folterungen behinderten die Arbeit und stärkten den Terrorismus. Sie stellten deshalb eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar.

* Aus: junge Welt, 19. August 2009


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