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Exzessive Gewalt

Nach "offenkundigem Selbstmord" in Guantánamo stellt sich die Frage: Dauern Mißhandlungen von Gefangenen an?

Von Alexander Bahar *

Der 31 Jahre alte Mohammad Ahmed Abdullah Saleh Al Hanashi habe »offenkundig Selbstmord« begangen, teilten die US-Streitkräfte am vergangenen Mittwoch mit. Worauf sich diese Einschätzung gründet, wurde nicht berichtet. Nach Angaben des Militärs hatte sich der Jemenit, dessen Leichnam nach erfolgter Autopsie inzwischen in den Jemen überstellt wurde, bis Mitte Mai im Hungerstreik befunden. Die US-Marine kündigte eine Untersuchung der Ursache und Umstände von Hanashis Tod an, die Regierung des Jemen verlangte eine vollständige Aufklärung. Sollte sich die Darstellung des US-Militärs bestätigen, so wäre es der fünfte dokumentierte Fall von Selbsttötung in dem US-Sonderlager auf Kuba.

David H. Remes, ein Rechtsanwalt, der noch 16 andere jemenitische Guantánamo-Häftlinge vertritt, sagte, Hanashi sei einer von sieben Gefangene gewesen, die in der psychiatrischen Abteilung des Lagers festgehalten und dort zwangsernährt worden seien. Die Obama-Regierung, die vor zwei Wochen im Kongreß mit ihrem Plan gescheitert war, das Sonderlager zu schließen, ließ verlauten, dieses sei nun ein gut geführtes Gefängnis, das internationalen Standards entspreche. Die Anwälte der Gefangenen sowie Menschenrechtsorganisationen verweisen demgegenüber auf die nach wie vor trostlosen Haftbedingungen. So würden viele Gefangene weiterhin in Einzelhaft gehalten. Viele Häftlinge seien verzweifelt, so David H. Remes, und sähen sich in ihren Hoffnungen auf die von Präsident Obama versprochene Wende getäuscht.

Mitte Mai hatte der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón Ermittlungen aufgenommen, um herauszufinden, wer in Guantánamo gefoltert und wer die Folterer zu ihren Taten angestiftet hat. Dabei stehen erstmals auch die sogenannten Immediate Reaction Forces (IRF) oder Emergency Reaction Forces im Fokus einer Untersuchung: Einheiten des US-Militärs, die auf die kleinsten Regelverstöße und Zeichen von Widerstand mit exzessiver Gewaltanwendung reagieren. Von den Häftlingen werden diese mit Helmen und schweren Schutzanzügen ausgestatteten Strafkommandos deshalb auch als »Extreme Repression Forces« bezeichnet. In Guantánamo operieren sie als extralegale Terrorschwadronen außerhalb der Verhörräume.

IRF-Teams schlagen Gefangene brutal zusammen, zwängen ihre Köpfe in Kloschüsseln, brechen ihnen die Knochen, attackieren ihre Augen bis hin zur Blendung, pressen ihre Hoden, urinieren auf ihre Köpfe, schlagen ihre Köpfe gegen den Betonboden und fesseln sie an Händen und Füßen -- manchmal lassen sie Gefangene stundenlang in qualvollen Positionen gefesselt zurück. Die Mitglieder dieser Teams seien darin trainiert worden, »Gefangene in kürzester Zeit brutal zu bestrafen«; zur »Rechtfertigung« dieser Prügelorgien dienten »lächerliche Vorwände«, sagte Scott Horton, einer der führenden Experten für US-Militär- und Verfassungsrecht. Allein »bis zu 15 Personen haben versucht, sich infolge der Mißhandlungen durch IRF-Beamte in Camp Delta zu töten«, so die spanische Untersuchungskommission.

Trotz Präsident Obamas Anweisung, Folter zu beenden, sollen die IRF-Teams in Guantánamo nach wie vor sehr aktiv sein, stellte das Center for Constitutional Rights (CCR) in einem Ende Februar veröffentlichten Bericht fest. Die Gefangenen lebten in ständiger Angst vor physischer Gewalt. Einer der Guantánamo-Anwälte, Ahmed Ghappour, sagte gegenüber Reuters (25.2), seine Klienten hätten sogar von einer »Steigerung des Mißbrauchs« seit der Wahl Obamas zum US-Präsidenten berichtet, einschließlich »Schlägen, dem Verrenken von Gliedmaßen, dem Einleiten von Pfefferspray in geschlossene Zellen, dem Besprühen von Klopapier mit Pfefferspray und der übermäßig gewaltsamen Zwangsernährung von Gefangenen, die sich im Hungerstreik befinden«.

Im April gelang es Mohammad Al-Qurani, einem 21 Jahre alten Gefangenen aus dem Tschad, den arabischen TV-Sender Al-Dschasira anzurufen, wobei er ebenfalls schwere Mißhandlungen auch unter der neuen US-Regierung beschrieb. In einem anderen Fall, ebenfalls nach Obamas Inauguration, wurde der Gefangene Khan Tumani den Angaben seines Anwalts zufolge von einem zehnköpfigen IRF-Team massiv verprügelt und mit Reizgas traktiert, nachdem er Exkremente an die Wand seiner Zelle geschmiert hatte, um gegen seine Behandlung zu protestieren.

Das CCR hat die Obama-Regierung aufgefordert, den Einsatz von IRF-Teams in Guantánamo sofort zu beenden.

* Aus: junge Welt, 8. Juni 2009


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