"Wir haben wieder Rückenwind"
Die US-Friedensbewegung konzentriert sich auf den Militär-Etat *
Die US-Friedensbewegung bringt sich nach einer Phase der Neuorientierung wieder ins Spiel. Judith LeBlanc organisiert für ihre Organisation »Peace Action« die Gegenkonferenz gegen den NATO-Gipfel Mitte Mai in Chicago. Sie arbeitet im Auftrag der größten US-Friedensgruppe »Peace Action«. Mit ihr sprach Max Böhnel.
nd: Was wird sich auf dem Gegengipfel gegen das NATO-Treffen in Chicago tun?
LeBlanc : Wir von »Peace Action« haben uns mit einer anderen großen traditionellen USA-Friedensgruppe, dem »American Friends Service Committee«, zusammengetan, um den Gegengipfel »NATO Free Future« auf die Beine zu stellen. Insgesamt sind es jetzt 39 Gruppierungen aus der Friedens- und sozialen Bewegung, die zur Konferenz einladen. Es wird 28 Workshops geben, die sich mit NATO, Militarismus, USA-Außenpolitik und internationalen Alternativen befassen. Ein paar Workshops werden von friedenspolitischen Experten aus anderen NATO-Ländern geleitet. Wie es in Europa schon länger Tradition ist, wird dem Gegengipfel eine Demonstration folgen.
Außerdem wird es zahlreiche unorganisierte Straßenaktionen geben. Unter anderem werden Kriegsveteranen, die in Afghanistan eingesetzt waren, den Versuch anstellen, den NATO-Generälen ihre Kriegsorden zurückzugeben. Viele von uns werden das erste Mal direkt vor Ort mit der NATO in Berührung kommen. Wir haben hier nicht die Erfahrung und die Nähe zur NATO, die Ihr in Europa habt - zur USA-Außenpolitik und zum hiesigen Militär-Industrie-Komplex natürlich schon, aber nicht gegen den Militärverbund selbst.
Nach den Massenmobilisierungen gegen den Irakkrieg unter Bush ist es, seit Obama regiert, ziemlich ruhig geworden um die USA-Friedensbewegung. Erwacht sie jetzt wieder?
Die Friedensbewegung ist nie eingeschlafen, noch wurde sie von Obama »abgeschaltet«, wie oft behauptet wurde. Wir mussten uns schlichtweg neu orientieren. Unter Bush sah ein großer Teil der Bevölkerung den Irakkrieg als großes Problem an. McCain wollte im Wahlkampf Bushs Politik weiterführen. Dann kam im Wahlkampf Obama mit dem Versprechen, ein Datum für den Truppenabzug festsetzen. Die Wahl Obamas und die Niederlage von McCain spiegeln in gewisser Weise auch die Mobilisierungserfolge der USA-Friedensbewegung wieder.
Zudem schlug 2008 die Wirtschaftskrise richtig hart zu. Für Viele wurden Arbeitslosigkeit und generell wirtschaftliche Themen die wichtigsten Themen. Ein neues politisches Terrain war entstanden, auf dem wir unsere unsere Taktik anpassen mussten. Was seit der Wahl Obamas erfolgte, finde ich schon beachtlich. Für die Gewerkschaften, die Umweltschutzbewegung, die Friedens- und Bürgerrechtsbewegung hatte die die Obama-Wahl ja zunächst Orientierungslosigkeit bedeutet. Wir haben inzwischen wieder Rückenwind.
... und einige erfolgreiche Aktivitäten entfaltet bzw. Aktionen gestartet?
Wir haben mehr als 100 000 Mitglieder und sind in 30 Bundesstaaten vertreten. Von daher können wir uns durchaus immer wieder bemerkbar machen. Es gelang uns in den letzten Jahren in einigen Städten, Bündnisse auf die Beine zu stellen, die die Themen Militarismus, Krieg und Wirtschaftskrise zusammenfassen. Wir konnten mehrere Stadtratsversammlungen zu Resolutionen veranlassen. Dahinter steckt der Versuch, den Wahlkampf friedenspolitisch zu nutzen. Denn gleichzeitig zum Präsidentschaftswahlkampf findet ja auch der Wahlkampf um Sitze im Kongress und im Senat in Washington statt.
Wo liegen die Schwerpunkte von »Peace Action« im laufenden Wahlkampf?
Unser Schwerpunkt ist dabei das massive Budget für das Pentagon, das sich seit »911«, seit den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahr 2001, verdoppelt hat. Der Militär-Industrie-Komplex in den USA ist inzwischen in der Lage, die staatliche Ausgabenpolitik zu kontrollieren. Uns geht es um die Verschiebung der Budget-Prioritäten: Die Pentagon-Milliarden müssen in die Infrastruktur und in die Sozialpolitik des Landes gesteckt werden. Dazu ist Druck auf Abgeordnete, die die Haushalte ja verabschieden müssen, unabdingbar. Allerdings bedeutet das für uns harte Klein- und Überzeugungsarbeit. Der Militär-Industrie-Komplex brauchte 50 Jahre, um die Haushaltspolitik in seinen Würgegriff zu bekommen. Jetzt mobilisiert die extreme Rechte noch weiter, um die Kürzungs- und Sparpolitik weiter zu treiben mit dem Ziel, dem Pentagon noch mehr zur Verfügung zu stellen. Zur Zeit gehen 58 Prozent des Staatshaushalts an das Verteidigungsministerium. Der Aufbau einer Gegenbewegung wird realistischerweise ebenso lang dauern. www.natofreefuture.org
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 9. Mai 2012
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