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US-irakische Fassaden

Die USA unterstützten jahrzehntelang den Diktator Saddam Hussein - Neue Dokumente

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag, den wir der kritischen Schweizer "Wochenzeitung" (WoZ) entnommen haben.


Von Lotta Suter

Neu veröffentlichte Dokumente belegen im Detail, wie dieselben US-Politiker, die heute das Ende von Saddam Hussein feiern, jahrzehntelang den Aufstieg des Diktators ermöglichten und unterstützten.

Saddam Hussein sei ein «Hitler, der die eigenen Leute vergast», und nur dank den USA sei die Menschheit jetzt von diesem Bösesten aller Bösen befreit, triumphierte US-Präsident George Bush nach der Gefangennahme des irakischen Diktators Mitte Dezember. Doch die USA haben den Irak erst dann besetzt, als die Massenvernichtungswaffen, die Saddam Hussein mithilfe früherer US-Regierungen aufgebaut hatte, von der Uno vernichtet oder sonstwie wertlos geworden waren. Vor zwanzig Jahren jedoch, als der Diktator seine Feinde im Iran und im kurdisch dominierten Norden des Irak «fast täglich» mit Nervengas traktierte, wie der US-Geheimdienst CIA berichtet, schaute die US-Regierung nicht bloss weg, sondern versicherte Saddam Hussein ihrer ungebrochenen Unterstützung.

Noch bevor der damals eben wieder gewählte US-Präsident Ronald Reagan den Irak Ende 1984 von der Liste terroristischer Länder nahm, verkauften US-Firmen mit Wissen ihrer Regierung Saddam Hussein so militärtaugliche Güter wie 2000 schwere Laster (Januar 1984). Ein Jahr später genehmigte die Reagan-Regierung den Verkauf von 60 Helikoptern der Marke Hughes, die in der Folge für das Versprühen der Nervengase verwendet worden sind. Und noch in den letzten fünf Jahren vor dem ersten Golfkrieg lieferten die USA dem Mann, den sie jetzt «Hitler» nennen, Waffen und Waffentechnologie für 1,5 Milliarden Dollar.

Kein Geringerer als der amtierende Verteidigungsminister Donald Rumsfeld reiste 1983/84 als damaliger US-Spezialgesandter zweimal nach Bagdad und schüttelte auch Saddam Hussein persönlich die Hand. Als diese Besuche vor kurzem bekannt wurden, sagte Rumsfeld, er habe bei dieser Gelegenheit lediglich Hussein wegen seiner Gasangriffe warnen und rügen wollen. Doch neu deklassifizierte Dokumente, archiviert und kommentiert vom unabhängigen National Security Archive (s. unten), belegen, dass Rumsfeld an dem besagten Treffen im Dezember 1983 beim irakischen Diktator um ein günstiges Investitionsklima für die US-Ölindus-trie buhlte und das Nervengas mit keinem Wort erwähnte.

Als der US-Senat Mitte März 1984 auf internationalen Druck hin endlich den Einsatz von chemischen Waffen durch den Irak offiziell verurteilte, schickte der damalige Aussenminister George Shultz Rumsfeld zum irakischen Kollegen Tarik Asis, um die über den plötzlichen Gesinnungswechsel ihrer Bündnispartner erstaunte und empörte irakische Regierung zu besänftigen. In seinem Instruktionsschreiben an Rumsfeld betonte Shultz, dass die Rüge des US-Parlaments quasi PR in eigener Sache sei und keine «proiranische/antiirakische Geste». Shultz: «Unser Interesse, erstens einem Sieg des Iran zuvorzukommen und zweitens die bilateralen Beziehungen mit dem Irak weiterhin zu verbessern, und zwar so schnell und so weit, wie das der Irak will, bleibt unverändert bestehen.» Was genau Donald Rumsfeld dann an diesem 26. März 1984 zu Tarik Asis gesagt hat, weiss man nicht, da das Protokoll des Treffens vorläufig noch als geheim klassifiziert ist. Ein Jahr später, im März 1985, äusserte der irakische Diktator jedenfalls König Hussein aus Jordanien gegenüber, er sei «sehr befriedigt über den gegenwärtigen Stand der Zusam-menarbeit mit den USA».

Doch im September 1988 trübte sich die Beziehung Irak–USA erneut. Nach dem schrecklichen Giftgasangriff auf die kurdische Bevölkerung von Halabja im Frühjahr drohte der US-Senat mit ökonomischen Sanktionen gegen den Irak. Hussein Kamil, der irakische Indus-trieminister und ein Schwiegersohn Saddam Husseins, tobte über den erneuten Verrat der Amerikaner und die «Vermischung von Politik und Business». Die bereits damals im Irak tätige US-Firma Bechtel hingegen wusste Politik vom Geschäft zu trennen: Falls es zu Sanktionen käme, würde sich Bechtel halt Lieferanten aus andern Ländern als den USA suchen, um ihr Zwei-Milliarden-Projekt – eine riesige Kunststofffabrik – dennoch fertig zu stellen.

Erstes pikantes Detail: Der damalige Aussenminister Shultz war von 1974 bis 1982 Präsident der Bechtel-Gruppe – und sitzt heute noch, 83-jährig, im Bechtel-Verwaltungsrat. Zweites Detail: Die damals sanktionsunwillige Firma Bechtel war nicht nur eines der ersten Unternehmen, die sich nach dem Einmarsch der US-amerikanischen Truppen in den Irak im letzten April von der Regierung Bush einen Ein-Milliarden-Auftrag für den Wiederaufbau ergatterten – Bechtel hat sich soeben eine zweite Scheibe von 1,82 Milliarden Dollar gesichert.

Würde Saddam Hussein öffentlich der Prozess gemacht, wären Leute wie George Shultz und Donald Rumsfeld Kronzeugen. Doch die Politik hat in den USA noch ein kürzeres Gedächtnis als anderswo. Ihre hauptsächliche Doktrin ist, wie der US-Intellektuelle Noam Chomsky das nennt, der Kurswechsel. Im Fall des Irak ist es vielleicht nicht einmal der Kurs, der geändert werden soll, sondern lediglich die Tapete, das, was die Briten in ihrer Kolonialzeit die «Arabische Fassade» nannten.

Deklassifizierte Dokumente US-AmerikanerInnen haben aufgrund des Freedom of Information Act (FOIA) Anrecht auf Einsicht in Akten der Regierung. Allerdings liegt es im Ermessen des jeweiligen Justizdepartements, den Anfragen stattzugeben. Doch Präsident Bush will offizielle Dokumente «wenn immer möglich zurückhalten». Schon im Januar 2001, als zehntausende von Dokumenten aus der Amtszeit von Präsident Ronald Reagan (sowie seiner Regierungsmitglieder Dick Cheney und Donald Rumsfeld) routinemässig öffentlich werden sollten, fand die neue Regierung Mittel und Wege, die Zugänglichkeit der Texte zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Einen (On-line-)Überblick der bisher geheimen Regierungsdokumente liefert das unabhängige Forschungsinstitut National Security Archiv: www.gwu.edu/~nsarchiv


Aus: Wochenzeitung WoZ, 15. Januar 2004


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